Chaos bei den Berliner Grünen: Vorsitzende verzweifelt gesucht

Tanja Prinz, einzige Kandidatin für den Landesvorsitz, ließen die Grünen spektakulär durchfallen. Ein nächster Anlauf soll die Partei aus der Krise holen.

Portrait Tanja Prinz

„Vielen Dank, frohe Weihnachten.“ Tanja Prinz nach der gescheiterten Wahl zur Landesvorsitzenden Foto: Christophe Gateau/dpa

BERLIN taz | Kampfkandidaturen, zornig das Podium verlassende Redner, heftige Anschuldigungen – all das haben die Grünen schon erlebt. Was sich aber derzeit in ihrem Berliner Landesverband abspielt, ist neu: Weil eine Vorsitzwahl am Samstag gleich dreimal scheiterte, geht der Landesparteitag an diesem Mittwoch in die Verlängerung. Der Hintergrund ist diffiziler als die Kluft zwischen Realos und linkem Parteiflügel: Hier verläuft eine zweite Konfliktlinie mitten durch das Realo-Lager. Eine große Rolle spielt dabei die Interpretation der Berlinwahl vom 12. Februar 2023 und der Verlust der Regierungsbeteiligung.

Am Samstag war eine Realo-Bewerberin, die sich bei einer flügelinternen Vorabstimmung Mitte November durchgesetzt hatte, beim Parteitag durchgefallen – ohne Gegenkandidatin und das drei Mal. Über 70 Prozent der Delegierten stimmten gegen die 44-jährige Tanja Prinz: Nicht nur die im Landesverband dominierenden Parteilinken lehnten sie ab, sondern auch Realo-Delegierte. Gemäß den ungeschriebenen Regeln der Partei, wonach jeder Flügel einen Platz in der Doppelspitze besetzt, hätte das linke Lager die Realo-Vorauswahl akzeptieren müssen. Doch anders als die Frauenquote ist das nicht in der Satzung festgeschrieben und nicht verbindlich.

Parteilinke und kritische Realos rieben und reiben sich an Forderungen von ihr und einer sie tragenden Gruppierung aus dem mitgliederstarken Bezirk Berlin-Mitte: Die drängen aus ihrer Sicht zu radikal auf einen bürgerlicheren Kurs in der Innenpolitik. Bei der Parteilinken hingegen sind Abgeordnete wie der innenpolitische Sprecher im Landesparlament zu finden: Der bezeichnete 2022 den in Tübingen wiedergewählten Boris Palmer nach der Wahl als „ersten AfD-Oberbürgermeister“.

Verpatzte Wahl trotz guter Umfragen

Aus Sicht der Realos hat die bisherige Parteispitze das Wahlziel verpatzt, erstmals in Berlin die Regierende Bürgermeisterin und damit bundesweit die erste grüne Ministerpräsidentin zu stellen. Zweimal lagen die Grünen vor den Wahlen zum Landesparlament – im September 2021 und bei der Wiederholungswahl 2023 – in Umfragen deutlich über 20 Prozent. Doch im Februar landeten sie nur auf Platz 3.

Bei einem kleinen Parteitag kurz danach, als der Regierungsverlust schon absehbar war, jedoch keine Wahlniederlage, blieb harte Kritik an Spitzenkandidatin und Reala Bettina Jarasch aus. Stattdessen feierte sich der Landesverband dafür, mit 18,4 Prozent fast sein historisch bestes Ergebnis geholt zu haben. Teile der Realos – wie eben Prinz – sahen das anders: Die Partei hat aus ihrer Sicht mit einem Linkskurs bürgerliche Wähler vergrault. Dazu gehört die von Jarasch verantwortete Sperrung einer Einkaufsstraße in der Innenstadt, die sogar Thema bei „Anne Will“ wurde.

Trotz ablehnender Worte Richtung CDU kamen sich Jarasch und der CDU-Landesvorsitzende und heutige Regierungschef Kai Wegner bei Sondierungsgesprächen inhaltlich sehr nahe. Doch Wegner, der gegenüber der taz Schwarz-Grün „meine Traumkoalition“ nannte, fehlte die Sicherheit, dass die grüne Basis einem solchen Bündnis zustimmen würde. Er entschied sich für Schwarz-Rot.

Die Realos verweisen darauf, dass die Grünen in anderen Großstädten weit besser abschneiden – in München etwa waren sie bei der Landtagswahl im Oktober mit 30,7 Prozent stärkste Partei. „18,4 Prozent sind nicht das Ende der Fahnenstange in Berlin“, sagte Prinz Ende November im taz-Interview. Die sie tragenden Teile des rund 12.500 Mitglieder starken Landesverbands drängen auf einen Kurs, der sich auf diese Formel konzentrieren lässt: Mehr Baden-Württemberg statt Kreuzberg. Im Südwesten Deutschlands stellt die Partei ihren einzigen Ministerpräsidenten, in Kreuzberg regieren die Grünen einen nach ironischer Selbstbeschreibung „links-grün versifften Sektor“.

Nach intensiven Gesprächen machten die Realos am Dienstagmorgen öffentlich, wer beim zweiten Anlauf am Mittwoch antreten und von der Parteilinken getragen werden soll: Die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr, die schon von 2016 bis 2021 mit ihrem linken Co-Vorsitzenden Werner Graf ein anerkanntes Spitzenduo bildete, soll den Landesverband zumindest vorübergehend bis Mai 2024 führen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.