Chauvinistische Politiker: Die ganz alltägliche Anmache

Angrapschen, spitze Bemerkungen, .... Sexismus ist im Politikbetrieb allgegenwärtig. Neu ist, dass die Mackerkultur in den Medien an Boden verliert.

Der Herrenwitz ist auf dem Rückzug. Um die Hirsche wird es einsam. Bild: reuters

Da gibt es einen ehemaligen Wirtschaftsminister. Von dem heißt es, dass die diplomatischen Vertretungen bei seinen Auslandsreisen angewiesen wurden, keine weiblichen Angestellten allein mit ihm im Raum zu lassen, weil seine Übergriffe gefürchtet waren. Da gibt es auch den grünen EU-Parlamentarier, der seine Praktikantin angegrabscht haben soll. Und da ist schließlich der SPD-Spitzenpolitiker, der es nicht lassen kann, im kleinen Kreis spitze Bemerkungen über den Frauen-Arbeitskreis seiner Partei abzulassen.

Solche Geschichten machen in vielen Redaktionen schon seit Jahren die Runde. Selten aber wurde darüber geschrieben. Der Bericht der jungen Kollegin Laura Himmelreich im aktuellen Stern über ihre Begegnung mit dem FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle beim Dreikönigstreffen der Partei vor einem Jahr bildet da eine Ausnahme.

Aber wie alltäglich ist der Sexismus im Berliner Politikbetrieb?

Klar ist, dass es hierzulande keine dauerbrünftigen Spitzenpolitiker wie Silvio Berlusconi oder Dominique Strauss-Kahn gibt, die mit ihren Übergriffen für Schlagzeilen sorgen. Auch hat sich Rainer Brüderle nicht strafbar gemacht. Ist sein abendlicher Aussetzer an der Hotelbar deshalb überhaupt ein Skandal?

Der Stern hat in seiner am Donnerstag erschienen Ausgabe unter dem Titel „Der Herrenwitz“ ein Porträt des neuen FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle veröffentlicht. Die Autorin Laura Himmelreich beschreibt darin eine Situation am Abend des Dreikönigstreffen 2012. Brüderle habe unter anderem in einer Hotelbar auf ihren Busen geguckt und gesagt: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“

Brüderle selbst, seine Partei und seine Fraktion wollten am Donnerstag nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Zahlreiche FDP-Politiker aber kritisierten den Stern. Der thüringische Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth twitterte, er werde künftig nur noch mit „alten grauen Redakteuren“ sprechen. Die Vorsitzende der FDP-Frauenorganisation, Doris Buchholz, sagte: „Ich weiß nicht, warum die Journalistin ein ganzes Jahr wartet und jetzt so eine Story daraus macht.“

Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn verteidigte den Text. Der erste Eindruck, den die 29-jährige Autorin vor einem Jahr von Rainer Brüderle gewonnen habe, sei „im Laufe der Zeit bei weiteren Beobachtungen und Begegnungen“ bestätigt worden. Es scheine ein „wiederkehrendes Verhalten“ zu sein. (taz/epd/dapd/dpa/afp)

taz/epd/ dpa/dapd/afp

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Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy findet: Nein. „Es zeugt für mich von einem merkwürdigen Berufsverständnis, als Journalistin um Mitternacht an einer Hotelbar ein offizielles Gespräch mit einem Politiker führen zu wollen.“ Es liege doch auf der Hand, dass das ein nicht öffentliches Gespräch gewesen sei, sagte Edathy der taz. „Wenn die betroffene Journalistin das Geschehen als übergriffig empfunden hat, hätte sie das schon vor einem Jahr öffentlich machen können.“

„Brüderle wird man so nicht kurieren“

Annette Bruhns sieht das anders. Die Redakteurin beim Spiegel ist Vorsitzende des Netzwerks Pro Quote, das sich für mehr Frauen in journalistischen Führungspositionen einsetzt. Es sei gut, dass nun über den Sexismus in Politik und Medien diskutiert werde, sagt Bruhns. „Brüderle wird man so nicht kurieren. Aber sicher müssen Männer mehr nachdenken.“

Sie ist zuversichtlich, dass der alte Herrenwitz à la Brüderle auf dem Rückzug ist. „In den Redaktionen entscheiden männliche Chefredakteure“, sagt sie. „Aber es kommen immer mehr Frauen in Führung, und mit ihnen verliert die dumpfbackige Mackerkultur an Boden.“ Deshalb wundere es sie nicht, dass der Stern nun eine 29-jährige Kollegin über die Anmache von Rainer Brüderle schreiben lasse. Chauvinismus sei inzwischen ein salonfähiges Thema.

Noch aber ist der politische Betrieb sehr männlich dominiert, der Medienbetrieb auch. Selbst der Stern gibt zu, dass in „manchen Redaktionen junge, attraktiven Frauen strategisch eingesetzt werden.“ Eine gewisse Nähe zwischen Politikern und Journalisten wird außerdem von beiden Seiten gesucht. Abends versackt man dann eben gemeinsam an der Hotelbar. Politiker reden dann freier – und stecken einem Journalisten dann womöglich eine Story.

Dildo mit der Post

Früher war der Sexismus in Politik und Medien auch sicher krasser. Darüber berichtete die ehemalige Spiegel-Redakteurin Ursula Kosser in ihrem Buch „Hammelsprünge“, das im vergangenen Jahr herauskam. Darin erzählte sie über Sex und Macht zu Zeiten der Bonner Republik. Einmal erhielt sie von einem Abgeordneten per Post eine Dildo. Auf einem beigelegten Kärtchen stand: „Auf gute Zusammenarbeit“. Dieses Buch, sagt Pro-Quote-Chefin Bruhns, war der erste „Tabubruch“.

Aber hat sich der Tonfall wirklich so viel geändert – jetzt, wo immer mehr Frauen in der Politik und im Journalismus eine wichtige Rolle spielen? Und ist Brüderle mit seiner alkoholisierten Anzüglichkeit und seinen abgestandenen Herrenwitzen also ein Auslaufmodell?

Brüderle stammt ja nicht nur aus dem männlich dominierten Wirtschaftsflügel seiner Partei und aus dem Südwesten der Republik, wo die Uhren noch etwas anders gehen. Er gehört auch einer anderen Generation an. Schwer vorstellbar, dass jüngere Parteikollegen wie Philipp Rösler oder Christian Lindner ähnliche Sprüche reißen.

Doch auch Peer Steinbrück, der SPD-Kanzlerkandidat, ließ immer mal wieder Zweifel daran aufkommen, ob er Frauen wirklich auf Augenhöhe begegnet. Seit seiner Nominierung fordert er zwar Lohngleichheit für Frauen und Männer sowie moderne Arbeitszeitmodelle für Familien. Aber in sein Kompetenzteam berief er keine einzige Fachfrau. Und bei einer Jubiläumssendung zu „60 Jahren Tagesschau“ kommentierte er Einspieler aus dem Archiv. Dann nannte er die Nachrichtensprecher, die er besonders geschätzt habe. Zwei Männer – und „Ellen Arnhold – aus ästhetischen Gründen“.

Nerd-Sexismus bei den Piraten

Das zweifelhafte Verdienst, das Thema Sexismus im Politikbetrieb auf die Agenda gehoben zu haben, gebührt aber der Piratenpartei. Erst vor einer Woche hatte die Journalistin Annett Meiritz im Spiegel beschrieben, wie sie innerhalb der Partei als Hure abgestempelt wurde. Doch schon zuvor musste die Partei sich mit der Frage befassen, ob es bei ihnen besonders frauenfeindlich zugeht. Mal bezeichnete deren Berliner Abgeordneter Gerwald Claus-Brunner die Frauenquote als „Tittenbonus“, mal titulierte sein Fraktionskollege Alexander Morlang eine Piratin als „Exfickse“.

Der nerdige Sexismus 2.0 kommt nicht weniger ordinär daher als seine analogen Vorläufer. Er ist allerdings im wörtlichen Sinne unverschämter. Die Übergriffe finden nicht mehr an der Hotelbar oder im Hintergrundgespräch statt, sondern gern im Internet, vor aller Augen – beispielsweise bei Twitter. Diese Transparenz hat dazu geführt, dass die Piraten als Sexistenpartei am Pranger stehen.

Allerdings gibt es in der Partei auch eine Gegenbewegung: Piratinnen und Piraten, die nicht bereit sind, frauenfeindliches Verhalten weiter zu tolerieren. In Berlin arbeiten die Piraten zur Zeit an einer Nulltoleranz-Initiative, die einen offensiven, kompromisslosen Kurs im Umgang mit Sexisten in den eigenen Reihen verlangt. Eine der Forderungen: Im „Sinne der Transparenz und der Vorbeugung“ sollten künftig sämtliche Vorfälle öffentlich gemacht werden.

Einer der Mitinitiatoren ist der Berliner Bezirksabgeordnete Felix Just. Bei einem Arbeitstreffen habe der Landtagsabgeordnete Morlang unlängst eine Politikerin mal eben so als „Blondfotze“ tituliert, berichtet der 31-jährige Softwareentwickler. Für ihn und seine Basis-Arbeitsgruppe stehe fest: „Das werden wir uns nicht mehr bieten lassen.“ Just machte den Vorfall darum bewusst publik. „Ich glaube nicht, dass es bei den Piraten weniger oder mehr Sexismus gibt als in anderen Parteien“, sagt er. Aber die Piraten sollten klarer damit umgehen. „Den Shitstorm“, sagt er selbstbewusst, „halte ich schon aus.“

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