DER WAHLKAMPF UND SEINE HELFER: Bratlinge im Blitzlicht der Lokalpresse

Im Endspurt vor der Landtagswahl in Niedersachsen geben die Kandidaten noch einmal alles. Jede Hand wird geschüttelt, jede Kamera genutzt - im Hintergrund immer dabei: die Wahlhelfer

Stephan Weil isst eine unappetitlich aussehende Mischung aus Gemüse und Soße - Wahlhelferin Bianca Leufgen freuts. Bild: GUDRUN DREWS

LÜNEBURG taz | Stephan Weil ist zu spät. Bianca Leufgen schaut nervös auf ihre SPD-rote Uhr. Als wenige Augenblicke später ihr Handy blinkt, lächelt die 25-Jährige, lauscht kurz dem Anrufer und verkündet. „Er ist beim Uni-Präsidenten und kommt gleich zu uns.“ Der Spitzenkandidat der SPD für die niedersächsische Landtagswahl hat sich für ein Essen in der Mensa der Leuphana Universität in Lüneburg angemeldet. Ins Gespräch mit Studenten und den Jusos will er dabei kommen.

Für den Bürgermeister von Hannover sind solche Termine seit einem Jahr Alltag. Auf seiner Wahlkampftour versucht er mühevoll, an Bekanntheit zu gewinnen. Außerhalb der Landeshauptstadt wissen auch knapp einen Monat vor der Wahl noch nicht alle Menschen, wer dieser Weil eigentlich ist. „Das ist eher ein Wahlkampf der Themen. Wofür Stephan Weil steht, werden wir heute hoffentlich vielen erklären“, sagt Leufgen. Seit einem Jahr ist sie im Vorstand der Jusos Lüneburg, seit zwei Jahren in der SPD – aus politischem Interesse und Überzeugung für die Positionen, wie sie selbst sagt.

Wie eine karrierebewusste Parteisoldatin wirkt die 25-Jährige dabei nicht, auch wenn an diesem Vormittag Turnschuhe, Blazer und Halstuch passend zur Partei-Veranstaltung rot leuchten. Berufspolitik hält sie für nicht sonderlich erstrebenswert. „Ich möchte Lehrerin werden und gute Krankenpfleger ausbilden“, sagt Leufgen. Zur Politik kam sie eher aus Frust. Das Vorhaben Medizin zu studieren, scheiterte an einem „nur“ durchschnittlichen Abitur. Bildungschancen, Studiengebühren, Turbo-Abitur, über solche Dinge redet sie sich gern in Rage. David McAllister, ehemaliger Ziehsohn und Nachfolger von Christian Wulff als Ministerpräsident, stehe nicht für eine gerechte Bildungspolitik.

Dann ein weiterer Anruf, Stephan Weil stehe nun vor der Mensa. Mit einem Lächeln steht Leufgen auf, rückt das Halstuch zurecht und streicht durch die kurzen schwarzen Haare. Auch ihre Juso-Kollegen sind aufgesprungen, der Wahlkampf kann beginnen. Der SPD-Kandidat begrüßt alle freundlich mit Handschlag und reiht sich brav hinter die Studenten in die Mensa-Schlange ein. Auffallen würde er normalerweise kaum, graue Haare, freundliches Lächeln, ein leichter Schatten unter den Augen, er wirkt sympathisch, bodenständig, aber nicht gerade charismatisch. Aber das ZDF-Kamerateam sorgt für ein wenig Aufmerksamkeit und zwei schweigsame Männer in schwarzen Anzügen und Kabeln im Ohr mustern das Geschehen mit etwas Abstand.

Weil nutzt die Zeit in der Schlange für etwas Smalltalk – Nachhaltigkeit als Schwerpunkt an der Leuphana, Studiengebühren und die eigene Jura-Studienzeit in Göttingen. Das Mikrofon des Kamerateams ist immer in der Nähe, die politischen Botschaften sitzen. Schon wenige Meter hinter dem Trubel sind die Themen andere, zwei Studentinnen diskutieren angeregt über die letzte, offensichtlich zu schwere Statistikprüfung und anstehende Hausarbeiten.

Vorne bestellt Weil vegetarische Bratlinge, Reis und eine unappetitlich aussehende Mischung aus Gemüse und Soße, seinen Wahlhelfern spendiert er artig das Essen. Noch ein wenig Zeit bleibt zum Reden und für ein paar Bissen im Blitzlicht der Lokalpresse, dann drängt eine nervös wirkende Pressesprecherin zum Aufbruch. Zu tun gibt es für Weil und sein Team noch genug, wie ein Dialog zwischen einem Studenten und dem Leibwächter deutlich macht.

„Ey, wer ist das?“

„Stephan Weil.“

„Kenn ich nicht.“

„Der Oberbürgermeister von Hannover.“

„Ach, Hannover – Da war ich noch nie.“

„Und der SPD-Kandidat für die Landtagswahl.“

„Krass, kenn ich nicht.“

Der Pulk aus Presse, Leibwächtern und Wahlkämpfern ist verschwunden, 30 Minuten, ein paar zahme Fragen zur Hochschulpolitik, man ist ja einer Meinung, und ein bisschen Dialog, hauptsächlich mit den eigenen Parteimitgliedern. Nur ein Transparent mit der SPD-nahen Forderung „Studiengebühren abschaffen“, entrollt von der Bildungsstreik-Hochschulgruppe, bleibt zurück und natürlich Mensa-Alltag mit Studenten, die über ihre Prüfungen schimpfen und etwas müde im Essen stochern. Draußen lächelt Leufgen trotzdem. „Ich habe nicht viel mehr Zeit erwartet, aber ich glaube, wir konnten uns austauschen und Präsenz zeigen. Außerdem war es interessant, mit Stephan Weil persönlich zu sprechen und etwas über seine Person und Erfahrungen zu hören.“

Für Leufgen war es längst nicht der letzte Termin in diesem Wahlkampf. Ihre Landtagsabgeordnete Andrea Schröder-Ehlers hat die Jusos schon um Hilfe gebeten, vor allem für den langen Atem auf den letzten Metern, wie Leufgen es nennt. Außerdem hat sie auf dem Bundesparteitag in Hannover Peer Steinbrück die Hand geschüttelt und eine Woche davor ihre erste Podiumsdiskussion vor Berufsschülern hinter sich gebracht. „Zum Glück war das Thema Bildungspolitik – ich bin zufrieden mit mir. Es war eine tolle Erfahrung“, sagt sie.

Das Gefühl, etwas verändern zu können, habe sie definitiv, auch außerhalb des Wahlkampfes, sagt Leufgen und erzählt von einem erfolgreichen Antrag der Jusos in Lüneburg. „Wir haben erreicht, dass die Schaffung von regionalen Beratungsstellen für Rechtsextremismus in das SPD-Programm aufgenommen wurde.“ Gerade arbeitet sie an einem Positionspapier zum Verbot von Tabakwerbung im Kino, Themen, mit denen sie sich auch privat stark auseinandersetzt. Trotz allem Engagement für die Sache sehnt sie den Wahlsonntag, am 20. Januar, schon ein wenig herbei. „Mir fehlen die freien Tage und das Feiern gehen, das kam deutlich zu kurz“, sagt sie und wirkt etwas müde.

Zehn Stunden pro Woche Parteiarbeit neben Vollzeitjob und Studium schlauchen. Doch viel Zeit zum Ausruhen hat Leufgen nicht, zwei Monate nach der Landtagswahl startet der Bundestagswahlkampf.

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