Debatte Justiz in China: Die saubere Partei

Den Mordprozess gegen die Frau von Bo Xilai zu manipulieren war für die KP relativ einfach. Im Internet für Ruhe zu sorgen ist da schon schwieriger.

Das absolut vorrangige Interesse der KP ist es, ihr Ansehen zu schützen: Polizist sichert die Straßen vor dem Prozess gegen Gu Kailai. Bild: dapd

Gu Kailai, die Ehefrau des in Ungnade gefallenen Politbüromitglieds Bo Xilai, muss für den Giftmord am britischen Geschäftsmann Heywood lebenslang in Haft. So lautet die gängige Interpretation der vom Gericht verhängten „bedingten Todesstrafe“ in Chinas größtem Politskandal seit der gewaltsamen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989.

Das Gericht hatte in seiner Verhandlung am 9. August den komplexen Fall bereits nach sechs Stunden beendet und wichtige Zeugen gar nicht erst geladen. Gus Anwälte hätten der Anklage nicht widersprochen, hieß es lapidar bei der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua.

Der auffällig kurze Prozess hat mit rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu tun. Er verhöhnt Rechtsstaatsdialoge, wie sie Deutschland und andere seit Jahren mit China führen. Doch auch Großbritannien, das mit zwei Diplomaten dem Prozess beiwohnte, oder die USA, deren Konsulat Fluchtort des Bo-Vertrauten und Expolizeichefs Wang Lijun war, haben bisher nichts zur Transparenz beigetragen.

Das absolut vorrangige Interesse der KP ist es, ihr Ansehen zu schützen. Je mehr über Amtsmissbrauch im Umfeld des an die Spitze drängenden einstigen Politbüromitglieds Bo bekannt würde, desto mehr Chinesen würden merken, dass es kein Einzelfall ist, sondern ein fundamentaler Systemfehler. Und das ausgerechnet vor dem parteiinternen Machtwechsel beim 18. Parteitag im Herbst. Rechtsstaatlichkeit hat die über dem Gesetz stehende Partei noch nie interessiert.

Verbindung zur Partei wird verschwiegen

Das Strafmaß für Gu ist ein Kompromiss und reflektiert eine Gratwanderung der Partei zwischen zwei Übeln. Hätte Gu die nach chinesischen Gesetzen für Mord vorgesehene uneingeschränkte Todesstrafe bekommen, wäre noch viel stärker aufgefallen, dass ihr Mann im Verfahren nicht präsent war. Bo, der an unbekanntem Ort unter Arrest steht, wurde weder als Zeuge vernommen, noch soll sein Name im Prozess überhaupt genannt worden sein. Dabei ist es wahrscheinlich, dass er in den Mord involviert war.

Dagegen hätte eine mildere Strafe für Gu als die nominale Todesstrafe in der Öffentlichkeit noch mehr Misstrauen geweckt und den verbreiteten Verdacht weiter bestärkt, die Parteiführung messe Kriminalität in ihrem Umfeld mit zweierlei Maß. Entsprechend versuchte die Partei den Fall, so gut es ging, zu entpolitisieren.

Gu Kailai im Gericht am Tag der Urteilsverkündung. Ihr Mann Bo Xiliai wurde vom Prozess ferngehalten. Bild: reuters

Das Mordmotiv wurde nicht in korrupten Praktiken einer hohen Kaderfamilie gesucht, sondern angeblich hatte Gu als Mutter ein allzu menschliches Bedürfnis, ihren angeblich vom Mordopfer bedrohten Sohn zu schützen. Dieses edlere und individuellere Motiv wie auch Gus Geständnis sollen eine Umwandlung der Todesstrafe in lebenslänglich angemessen erscheinen lassen.

Mindestens ebenso wichtig war es, den Prozess abzukürzen, damit er in keine allzu große zeitliche Nähe zum Parteitag gerät. Hätte man Gu einen Anwalt wählen lassen, hätte das eine für die Partei unangenehme Verlängerung bedeutet. Womöglich wären auch unangenehme Details an die Öffentlichkeit gekommen.

Alles Wichtige wurde vertuscht

Um Distanz herzustellen, sowohl zur starken Medienpräsenz in der Hauptstadt Peking als auch zum Tatort Chongqing – hier hat Bo starke Anhänger –, verlegte man den Prozess in die Provinzstadt Hefei. Und es hat funktioniert. Der kurze Prozess ließ die für die KP belastenden Hintergründe im Dunkeln. So blieb nicht nur das Tatmotiv von Gu unklar, sondern auch, ob ihr Mann etwas wusste oder an dem Mord beteiligt war. Dabei ist kaum vorstellbar, dass Bo mit alldem nichts zu tun hatte.

Nebulös blieb auch das Verhältnis zwischen dem Mordopfer und Bos Familie. Kam es zwischen Gu und Heywood über ein korruptes Geschäft zum Streit? Oder hatte Heywood der Familie geholfen, große Summen illegal erworbenen Vermögens außer Landes zu bringen, und erpresste sie dann mit seinem Wissen?

Ironischerweise hatte sich der populistische Bo zuvor den Ruf eines unerbittlichen Korruptionsbekämpfers erworben. Rund 700 Menschen, darunter lokale Widersacher und Kritiker, hatte er verhaften lassen. 70 erhielten die Todesstrafe. Genauso wie der ehrgeizige Bo gnadenlos gegen Widersacher vorging, wurde der Mordfall jetzt genutzt, um ihn im parteiinternen Machtkampf auszuschalten.

Auffällig schnell wurde Bo aus dem Politbüro entfernt. Hätte man Interesse gehabt, den Fall aufzuklären, dann wäre die Vorladung seines Sohns unerlässlich gewesen. Doch Guagua steht beispielhaft für die Privilegien der Kinder hoher Kader. Deshalb sollte er nicht auftreten.

Die Grenzen des Politbüros

In dem Skandal dürfte das Verfahren gegen Gu für die KP der leichtere Teil sein. Bo werden bisher nur ungenannte „Disziplinarverstöße“ vorgeworfen, über welche die Partei selbst richtet. Sollte es zu keiner Anklage gegen Bo kommen, würde sich die Partei allzu deutlich über das dann nur für die normale Bevölkerung geltende Recht stellen.

Bo anzuklagen – dann wohl mit sicherem zeitlichen Abstand nach dem Parteitag – aber birgt das Risiko, das Ansehen der Partei zu beschädigen und damit ihre Herrschaft zu untergraben. Deshalb wird dieser schwierige Part erst mal vertagt – bis der Machtwechsel in trockenen Tüchern ist und die künftig Mächtigen sicher im Sattel sitzen.

So sehr die Partei um Schadensbegrenzung durch Informationskontrolle bemüht ist, dank Internet und der in China boomenden Mikroblogs ist das nicht mehr so einfach. So waren es Blogger, die die Flucht von Bos Vertrautem Wang ins US-Konsulat in Chengdu publik machten und so den Skandal als Erste aufdeckten. Trotz Zensur diskutieren Chinesen im Internet den Fall. Dort fragt man sich etwa, ob die auf den offiziellen Prozessfotos gezeigte rundliche Angeklagte überhaupt die sonst als schlank bekannte Gu Kailai ist.

Zwar nutzen auch Parteikreise längst das Internet für ihre Machtkämpfe, und die Parteiführung lässt in ihrem Sinne Blogs verfassen. Doch zeigt der Prozess auch, dass die Öffentlichkeit nicht mehr so leicht zu manipulieren ist. Chinas KP wird sich der Debatte über ihren Amts- und Rechtsmissbrauch noch stellen müssen.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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