Debatte Uniproteste: Bildung tut not

Die Uniproteste fangen erst an - wer die Absichten der Modernisierer erkennen will, gucke auf das Hamburger Reformdesaster.

Die Nöte sind ja nicht neu: Dass die Proteste gegen eine debakulöse Bildungspolitik gerade an den Universitäten in diesen Tagen es sogar in die Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF schaffen, dass auch über diese Medien Worte wie "Bologna, "Bachelor" und "Master" in die öffentliche Erörterung gelangt sind, liegt in erster Linie am Grad der Verzweiflung, die sich unter Studierenden und - teilweise - auch Lehrenden und Forschenden an den Hochschulen des Landes breitmacht. Denn es ist ja wahr: JedeR Auszubildende im - beispielsweise - Frisörhandwerk, im Ökoeinzelhandel oder im Gesundheitsbereich kann die Qualifikationsgänge ins Erwerbsleben mit gewogenerer Unterstützung absolvieren als irgendeinE StudierendeR an den Universitäten. Wer keine Angehörigen an Universitäten hat, sollte wissen: Um jedes Stück Papier muss gekämpft werden, die Bibliotheken sind häufig auf vorgestrigem Stand - alles im allem müssen Studierende sehr rasch den Eindruck gewinnen, eigentlich nicht willkommen zu sein.

Dass jetzt, als oberste Bildungspolitikerin, Annette Schavan, die Gründe für den beginnenden Aufruhr quasi ins Alberne zieht und Studierenden eine gewisse Verstocktheit attestiert, kann auch so verstanden werden: Gut, dass sie in dieser Weise argumentiert - da ahnt man, wohin die Bildungsreise gehen soll. Das Credo des am Mittwochabend verstorbenen Soziologen Ralf Dahrendorf aus den Sechzigerjahren, wonach Bildung ein Bürgerrecht zu sein hat, wird heutzutage gravierend und täglich verletzt.

Wofür Schavan und eine Fülle weiterer Bildungspolitiker ihrer Couleur mit Macht einstehen, ist das Gegenteil dessen, was der sozialliberale Wissenschaftlers Dahrendorf empfahl: Bildung ist nur als Exzellenzfantasie vorstellbar, eine Disziplin, die züchtigt und im Zaum hält, die nichts als Module kennt und Bildung als bürgerliche Selbstermächtigung und Mühe zur Erkundung der Welt denunziert.

Schavan und die ihren geben freilich ihre Absichten nie offen kund. Wer sich tatsächlich ein Bild von den Zielen der neoliberal-konservativen Revolution an den Hochschulen machen will, muss den Konflikt um die Präsidentin der Hamburger Universität genauer studieren. Er ist keine Personalie, wobei wünschenswert bleibt, dass man sie im Sinne einer baldigen Demission löst, um Schaden von der Universität abzuwenden. Monika Auweter-Kurtz, eine Raketenforscherin aus dem Schwäbischen, wurde von der unionsdominierten Wissenschaftsnomenklatur ausgesucht, um das demokratische Erbe der hanseatischen Universität zu zerstören. In der keineswegs einem linkslibertären Bildungsbegriff anhängenden FAZ sprach die inzwischen in Berkeley lehrende, einst in Hamburg forschende Philosophin Dorothea Frede am 17. Juni gar von einem "Vernichtungswillen" der Präsidentin.

Man muss dem Headhunter dankbar sein, der der konservativ-technokratischen Elite der Hansestadt diese Kaderin aus den Ingenieursniederungen nahebrachte. Sie machte alle Fehler, die man als Präsidentin machen konnte - vor allem versuchte sie, diese Universität in einen Apparat umzugestalten, in dem von oben nach unten durchregiert wird.

Aber Auweter-Kurtz, eine extramediokre Figur, sagt eben auch, was sich viele Bildungsmanager und -politiker nicht zu äußern trauen: Exzellenz sei für Universitäten vor allem eine Frage der Forschung, nicht der Lehre. Und: Exzellenz sei nur im naturwissenschaftlichen Bereich zu gewinnen. Sozial- und geisteswissenschaftliche Disziplinen mag sie auch aus persönlichen Gründen verachten, eventuell ist sie nicht sehr begabt, über die Funktionsweisen von Apparaturen hinauszudenken. Festzuhalten aber bleibt: Sie spricht Soziologie, Geschichts- und Politikwissenschaft wie auch der Philosophie jede Fähigkeit zur Exzellenz ab - denn sie müssen messbar sein, und nämliche Fächer seien dies nicht.

Auweter-Kurtz ist als eine Bildungsmanagerin kenntlich geworden, die nur roh und schroff ausspricht, was Kader wie sie wohl denken: Vorzüglichkeit, überhaupt Akademisches über Ingenieurhaftes hinaus, ist nur, was hinterher blinkt, pufft, leuchtet oder im Mikroskop Eindruck hinterlässt. Dass das jedem Bildungsbegriff, der überhaupt Sinn macht, zuwider sein muss, liegt auf der Hand. In den USA, angeblich das Land des universitär Idolischen gerade bei deutschen Bildungsfunktionären, ist hingegen undenkbar, sich auf einen akademischen Fächerreigen verlassen zu wollen, der lediglich Technoides zu qualifizieren ermöglicht. Auweter-Kurtz mag auch menschlich für viele Angehörige der Hamburger Uni eine Zumutung sein - mehr als 120 ProfessorInnen verlangen ihren Rücktritt -, mehr noch zählt, dass sie für eine Universität der Ahnungslosigkeit steht. Sie will, ganz im Sinne der hässlich-technischen Vernunft von Technokraten, keine Reflexion mehr ermöglichen. Sie hasst alles, was 68 als Selbsterkenntnischancen mit zu etablieren ermöglicht hat: eine Wissenschaft, die keinem anderen Zweck dient als der Suche nach Wahrheit - und ein solcher Begriff muss kritisch sein, sonst verfehlt er diesen Zweck grundsätzlich.

Universität der Ahnungslosen

Was die Hamburger Groteske um eine stark überforderte, beinah bemitleidenswert schwache Präsidentin aber zeigt, ist, dass die Bildungsproteste dieser Tage noch viel zu lasch ausfallen. Es müsste Besetzungen geben, Verweigerungen - denn es geht nicht nur um bessere Labor- und Institutsausstattungen, um Kopierer und Bleistifte, sondern um Partizipation und Demokratie, um Mitsprache und Passion. Es geht um eine Bildung, die die Immatrikulierten nicht wie in der Schule zwingt, Stoff zu büffeln, sondern sich von ihm verführen zu lassen. Bachelor und Master sind in diesem Sinne nur Chiffren einer Bildungspolitik, die vor Gebildetheit Angst hat - und nur für Arbeitsmärkte ausbildet, die diese Ausgebildeten nicht nötig hat. Gesucht werden nämlich Menschen, die intellektuell fähig sind, über ihre fachspezifischen Horizonte hinauszudenken. Eine Figur wie Auweter-Kurtz war, möchte man hoffen, nur die personalpolitische Fehlbesetzung, die strauchelnd aussprach, was andernorts diskreter exekutiert wird: Exzellenzansprüche als Ausschluss aller, die wirklich Bildung suchen - und nicht nur Scheine. JAN FEDDERSEN

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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