Debatte Wohnungsnot: Flüchtlinge, beseitigt den Leerstand!

Sie leben in Turnhallen, obwohl überall Gebäude leerstehen. Lasst Flüchtlinge den Leerstand bewohnen und instandsetzen.

Ein Kran über einem verfallenem Gebäude

Eines von vielen leerstehenden Gebäuden in Berlin. Warum können nicht Flüchtlinge hier einziehen und das Gebäude ausbauen? Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

Bezahlbare Wohnungen fehlen – vor allem in Städten. Durch die Flüchtlinge wird die Wohnungsnot noch verschärft. Viele Kommunen setzen nun auf Neubau und werden dafür Grünflächen versiegeln. In Berlin soll die Elisabeth-Aue, ein Landschaftsschutzgebiet im Norden, bebaut werden und auch das Tempelhofer Feld. Das ist das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. In einem Volksentscheid 2014 hatten die Berliner und Berlinerinnen entschieden, dass es unbebaut bleiben soll. Der Berliner Senat will nun die Flüchtlinge, die zu Tausenden in den Hangars des Flughafens untergebracht sind, instrumentalisieren, um diesen Volksentscheid zu kippen.

Preiswerte Wohnungen werden in Berlin zweifellos gebraucht. Der Plan des Senats indes scheint wohlkalkuliert und spielt Investoren in die Hände. Nicht nur ein Stück Grün soll verschwinden, sondern auch die Kränkung, dass sich die Bevölkerung beim Volksentscheid gegen die Plänen des Senats stellte.

Große Neubaukomplexe bedeuten immense Kosten für die Kommunen und Profite für Investoren und Banken. Müssten verantwortungsbewusste Gemeinden nicht eher kleinteilige Alternativen finden, die lokalen Firmen Aufträge bringen? Eigenbau wäre so eine preisgünstige Alternative. Die künftigen Bewohner und Bewohnerinnen bauen an ihren Unterkünften mit – vom ersten Provisorium bis zur festen Wohnung. Wie das gehen soll? Indem Flüchtlinge und Wohnungssuchende den enormen Leerstand in Berlin, aber auch in anderen Städten beziehen und nach und nach umbauen und instandsetzen. Menschenwürdig ist es nämlich nicht nur, Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf, sondern auch sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten.

Bekannt ist, dass die den Flüchtlingen aufdiktierte Erwerbslosigkeit sozial gravierende Folgen hat, von denen Depression, Aggression oder Delinquenz drei Extreme darstellen. Fünf Jahre sind Asylsuchende in der Regel arbeitslos, bevor sie eine Beschäftigung finden. Obschon die Hirnforschung doch belegt, dass tätige Menschen zufriedenere Menschen sind.

Von einer Gesetzgebung, die Integration vom Potenzial der Flüchtlinge denkt, ist man in Deutschland weit entfernt: Studien- und Berufsabschlüsse des Herkunftslandes werden in aller Regel nicht anerkannt. Viele Asylsuchende würden gern Geld verdienen, um bei einem eventuellen Frieden mit gewissen Ressourcen in die Heimat zurückkehren zu können. Stattdessen werden sie in jahrelange Warteschleifen geschickt.

Notfalls Häuser besetzen

Asylbewerbern und -bewerberinnen muss endlich die Möglichkeit gegeben werden, das Warten tätig auszufüllen. Würden Flüchtlinge, aber auch arbeitslose Einheimische, in umbaubedürftigen, leerstehenden Gebäuden untergebracht, die sie – unter Mithilfe von Architekten, einheimischen Handwerksbetrieben und GeschäftsführerInnen – renovieren und sanieren, könnte eine ganz andere soziale Dynamik entstehen.

Viele Probleme wären so in Angriff genommen: das Wohnungsproblem, das Beschäftigungsproblem, der Erhalt von Grünflächen, die für Gemeinschaftsgärten genutzt werden könnten. Auch der ungerechten Verteilung von Steuergeldern im Bausektor könnte entgegengewirkt werden. Denn nach den gängigen Modellen bauen Investoren steuerbegünstigt und subventioniert sozialen Wohnraum, der ihnen oder auch den Banken am Ende gehört. Die Subventionen, die in die Instandsetzung fließen, kämen indes den Handwerkern, den Kommunen und denen, die in den Häusern wohnen, zugute. Nicht zuletzt könnten sogar die Ressentiments gegen die Flüchtlinge gemindert werden.

Woher kommt unsere Sprachlosigkeit gegenüber Populisten? Ein Essay von Arno Frank in der taz.am wochenende vom 20./21. Februar. Außerdem: Schanna Nemzowa ist die Tochter des russischen Politikers Boris Nemzow, der vor einem Jahr ermordet wurde. Sie lebt in Deutschland im Exil. Ein Gespräch. Und: Ein glitzerndes Kapitel Popgeschichte – ein Besuch bei den Caufner-Schwestern, einem One-Hit-Wonder aus der DDR. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Selbsthilfe seitens von Zuwanderern oder von Menschen, die sich mit prekären Wohn- oder Arbeitsverhältnissen herumplagen, ist so neu nicht. Beispiel Ostdeutschland: Als die alte Baumwollspinnerei in Leipzig-Lindenau nach der Wende zumachte, eigneten sich Studierende das weitläufige Fabrikareal an und bauten es auf eigene Faust um. Kleine Rad-, Leder- oder Holzwerkstätten wurden gegründet. Lindenau ist ein heute angesagtes Viertel.

Auch die Hausbesetzer im Westberlin der 1980er Jahre waren Zugezogene, Studentinnen und Wehrdienstverweigerer. Aus Wohnungsnot besetzten sie leer stehende Mietshäuser. Die waren vorher gezielt entmietet worden, um sie abzureißen und durch für Investoren renditeträchtige und Politiker prestigeträchtige Neubauten ersetzen zu können.

Die Do-it-yourself-Sanierungen der Besetzer verschoben die Akzente: Das neue Wort „Instandbesetzung“ wurde erfunden. Es kam an. Es dauerte damals nicht lange und die senatseigene Wohnungsgesellschaft BeWoGe bot einer Kreuzberger Bürgerinitiative 40 leere Wohnungen zur Instandsetzung an.

In London stehen 80.000 Gebäude leer

Studierende im norditalienischen Turin haben an diese Aktionsform angeknüpft. Sie begannen vor zwei Jahren Häuser im ehemaligen olympischen Dorf zu besetzen. Die Gebäude standen leer. Die Studierenden suchten nach Unterkünften für Flüchtlinge aus Afrika. Die hatten in Libyen gearbeitet, bis sie vor dem dortigen Bürgerkrieg fliehen mussten. Viele von ihnen waren Bauarbeiter.

Neubau von Massenwohnraum ist keine Lösung, solange die Investoren und Banken dies nur als Spekulations- oder Renditeanlage benutzten. Spekulation fördert den Leerstand. In London stehen allein 80.000 Gebäude leer, obwohl es einer der teuersten Immobilienmärkte der Welt ist. Etwa 35.000 Häuser sind dort besetzt, darunter auch Villen rund um den Hydepark. Wahrscheinlich werden sie als Objekte der Geldwäsche genutzt, vermutet Paul Palmer, der Beauftragte für leere Häuser im Londoner Bezirk Westminster. Er unterstützt die Hausbesetzer, die die leeren Villen immerhin bewohnen und instand halten.

Die Instandbesetzungen in den 1980er Jahren in Berlin waren extrem erfolgreich. Viele Besetzenden konnten ihr Wohnverhältnis legalisieren, wurden Eigentümer oder Mieter.

In Berlin gibt es enorm viel Leerstand. Oft sind es Geschäftsgebäude, ehemalige Arbeitsämter, Sparkassengebäude, Schulen und Fabrikkomplexe – viele davon nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut. In anderen Städten ist der Leerstand ebenso hoch. Flüchtlinge aber werden in Provisorien oder Turnhallen untergebracht.

Studien belegen: Vor allem die Männer leiden unter der ihnen aufdiktierten Erwerbslosigkeit. Deshalb wäre es so sinnvoll, Flüchtlinge und andere arbeitslose Menschen bei der Sanierung von Leerstand einzubinden. Do-it-yourself kann Menschen das Selbstwertgefühl zurückgeben, das durch Flucht, Vertreibung oder gesellschaftliche Umbrüche zerstört wurde. Es würde auch den ansässigen Handwerkern Aufträge geben, denn manche Gewerke wie die Elektrik, die Heizanlagen oder die Dacheindeckung müssen von anerkannten Betrieben gewährleistet werden. Aber viele Innenarbeiten erledigen die künftigen Bewohner selbst. Wird zudem ökologisch saniert, schaffen die Flüchtlinge nicht nur für sich Werte, sondern für die Allgemeinheit. Und sie schützen indirekt Grünland, das nun nicht bebaut, sondern beackert und begärtnert werden kann. Übersetzer und Sozialarbeiter sollten übrigens auch mit eingebunden werden.

Die Instandbesetzungen in den 1980er Jahren in Berlin waren extrem erfolgreich. Viele Besetzenden konnten ihr Wohnverhältnis legalisieren, wurden Eigentümer oder Mieter. Etwa im Haus Bülowstraße 52. Der Landschaftsplaner Matthias Bauer wohnt seit 1982 dort. Er erzählt, dass Instandbesetzen nicht nur Spaß gewesen sei. Der von den Bewohnern aufzubringende Arbeitsumfang war genau festgelegt. Es sei eine ziemliche Knochenarbeit gewesen. Aber es lohnte sich auch für die Kommune, denn rund um ehemals besetzte Häuser sind in Berlin sozial äußerst stabile Nachbarschaften entstanden, die für die Verbesserung des Wohnumfeldes Verantwortung übernahmen. Matthias Bauer etwa ist einer der Protagonisten, die sich für den Erhalt des Grüns auf der angrenzenden Eisenbahnbrache einsetzten und es in einen Park mit integrierten Interkulturellen Gemeinschaftsgärten verwandelten.

Bebauen und beackern

Eigenarbeit-Siedlungen entstanden in Berlin und auch an anderen Orten insbesondere nach Ende des Kriegs 1870/71, der viele Soldaten und Witwen unversorgt zurück ließ. Obdachlos errichteten sie auf Brachen ihre Bretterbuden. Viele der Hütten waren von einem akkurat angelegten Gemüse- und Blumengarten umgeben.

Ebenezer Howard schrieb 1896 das Grundlagenwerk zu dieser Bewegung: „Gartenstädte der Zukunft“ heißt es. Anfänglich fand es zwar keinen Verlag, aber zumindest Nachahmer. Die ersten Garden-Cities, die nördlich von London ab 1903 errichtet wurden, brachten den Durchbruch. Berlin wurde zusammen mit London ein Zentrum der internationalen Gartenstadtbewegung, wo sich Menschen in Wohngenossenschaften zusammen schlossen mit ausreichend Land für Selbstversorgung.

Nach dem Ersten Weltkrieg ging es überall los. Der General-Sekretär der Deutschen Gartenstadtgesellschaft, Hans Kampffmeyer, wurde nach Wien geholt. Die Hungersnot nach dem Krieg zwang Tausende Wiener und Wienerinnen nun, sich selbst zu versorgen: überall entstanden Kleingartenkolonien. Da die Nachkriegskrise mit hohem Wohnungsnotstand einher ging, lebten die Leute dann auch im Winter in den Lauben. So entstand, was in Wien „die Brettldörfer“ genannt wurde. Schließlich forderten die Arbeiter und Erwerbslosen, dass ihren Baugenossenschaften – und nicht den Bauherren von Mietskasernen – die öffentlichen Mittel von Staat und Kommune für den Ausbau der Hütten zu festen Häusern in Gartensiedlungen gegeben werden solle. Tatsächlich gelang es der Genossenschaft Altmannsdorf-Hetzendorf binnen fünf Jahren 1131 Häuser in 100 qm großen Selbstversorgergärten zu bauen.

All diese Modelle sind auf heute übertragbar. Die Flüchtlinge, die nun hierher kommen, sind nach einem Bericht in der Zeit nicht mehrheitlich Akademiker, sondern bis zu 90 Prozent von ihnen waren als Zimmerer, Schlosser, Maurer tätig – oder als Bauern. Ein riesiges Handwerkspotential von dort triff auf massenhaft Leerstand hier. Die Bauern und Gärtnerinnen unter ihnen wiederum könnten mit Alten, Kindern und Kranken grüne Hinterhöfe und interkulturelle Gärten anlegen

Kurzum: Kommunen brauchen unorthodoxe Lösungen. Und Flüchtlinge brauchen Wohnraum, Arbeitsraum, Gärten und nicht nur Schutzraum, der sie isoliert.

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