Debatte über Einwanderung: Nicht nur sagen, wie es nicht geht

In der Migrationsdebatte wird die verfehlte Bildungs-, Arbeits- und Wohnpolitik den Geflüchteten angelastet. Es geht um Projektionen statt Probleme.

Kinderfahrräder, Plastiktüte und Wasserflasche im Wartebereich eines Ankunftszentrums für Geflüchtete

Kinderfahrräder im Ankunftszentrum für Geflüchtete aus der Ukraine im Ex-Flughafen Berlin-Tegel Foto: Emmanuele Contini/imago

Die neueste Lieferung kommt von CDU-Chef Friedrich Merz. Viele Kinder, „die die deutsche Sprache nicht beherrschen“, überfordern „aktuell unser Bildungssystem“. Übervolle Klassen gingen dann „zulasten aller Kinder“, sagte Merz in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung. Zuvor hatte sein Vize Carsten Linnemann ebenfalls einen härteren Kurs in der Flüchtlingspolitik angemahnt: „Wir sind überfordert. Junge Menschen gehen nicht mehr zur Schule, weil die Lehrer fehlen. Wir brauchen 350.000 Kitaplätze. 800.000 Wohnungen fehlen.“

Jetzt sind die Flüchtlinge also an allem schuld, am Leh­re­r:in­nen­mangel, am Erziehe­r:innen­mangel, an fehlenden Wohnungen. Dabei sind die Probleme der Infrastruktur vor allem auf den demographischen Rückgang der hiesigen Erwerbsbevölkerung, eine verfehlte Wohnungsbaupolitik und Immobilienspekulation, die Urbanisierung und andere Gründe zurückzuführen. Wenn in manchen Projektionen die Geflüchteten jetzt zu Sündenböcken werden, ist höchste Aufmerksamkeit angesagt.

Wir erleben zurzeit eine Verschiebung des Diskurses, ein Re-Framing, eine Umdeutung, die sich auch in der Ampel-Regierung beobachten lässt. Die Bundesregierung steht durch das Schüren der Anti-Flüchtlingshysterie durch die Union unter Druck und will vor allem Handlungsfähigkeit demonstrieren, wie man am neuen Gesetz zur Verschärfung von Abschiebungen sieht.

Laut Gesetzentwurf geht die Regierung davon aus, dass die Anzahl der Abschiebungen durch die Maßnahmen im Gesetz pro Jahr um rund 600 Personen steigen wird. Dafür kommt ein Gesetz, dass Grundrechte massiv beschneidet und den Behörden unter anderem gestattet, schon vor der ersten Anhörung die Handys von Asylbewerber.innen auszulesen. Ein Armutszeugnis.

Nicht hilfreich

Nächste Woche soll eine Ergänzung dieses Gesetzes beschlossen werden. Diese Regelung soll die Arbeitsaufnahme für Geflüchtete erleichtern. Das ist gut. Aber die Differenzierungen, die dabei vorgenommen werden, sind nicht hilfreich. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte, wer von den Geflüchteten „nicht arbeiten möchte und keinen anderen Schutzgrund hat“, der müsse „zurückgeführt“ werden können. Das Problem der Geflüchteten ist aber nicht die Arbeitsunwilligkeit, sondern es ist schwer, eine Arbeit zu finden, die man mit der Schulbildung, den beruflichen Kenntnissen aus dem Herkunftsland und fehlenden Deutschkenntnissen machen kann. Im ersten Jahr des Aufenthalts in Deutschland haben daher nur 7 Prozent der Geflüchteten eine Arbeit. Nach sechs Jahren üben dann mehr als die Hälfte einen Job aus.

Habeck differenziert zwischen Asyl­be­wer­be­r:in­nen, die einen Fluchtgrund haben, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist. Eine solche Differenzierung ist populär, kann aber nicht alle aktuellen Fragen beantworten. Sowohl die eine Million Ukrai­ne­r:in­nen als auch die Menschen aus Syrien und Afghanistan, die derzeit den größten Anteil der Asyl­be­wer­be­r:in­nen ausmachen, verfügen über akzeptierte Fluchtgründe.

Die eigentliche Frage also lautet: Was tun wir, wenn mehrheitlich Geflüchtete aus Kriegs- und Krisengebieten, aus Diktaturen kommen, die einen akzeptierten Fluchtgrund haben und durch die sich die Gemeinden überfordert fühlen, die nicht noch ein Containerdorf aufstellen und noch mehr Geflüchtete irgendwie in Schulen und Kitas unterbringen wollen?

Es geht nicht darum, ob die Mehrheit der Ankommenden einen hier akzeptierten Fluchtgrund hat oder nicht. Die Frage vielmehr ist: Wie viel sind wir bereit zu teilen? Wer in den Spiegel guckt, sieht Hilfsbereitschaft und deren Grenzen. 2015 war die Solidarität mit Geflüchteten aus Syrien groß, 2022 die Hilfsbereitschaft gegenüber Ukrai­ne­r:in­nen auch, jetzt ist die Stimmung mancherorts am Kippen. Das Asylrecht ist nicht nur eine Frage einer allgemein gültigen Moral, sondern auch der Teilungsbereitschaft und der konkreten Zahlen, leider.

Hysterie mildern

Am besten wäre es, die aktuelle Hysterie in der Flüchtlingsfrage würde von alleine verschwinden. Etwa dann, wenn die Zahl der neu ankommenden Geflüchteten in der nächsten Zeit niedrig bleibt, die Ukrai­ne­r:in­nen besser integriert werden und man sich ansonsten anderen sozialen Fragen zuwendet wie dem Arbeitskräftemangel zum Beispiel. Die Hysterie dürfte aber auch gemildert werden, wenn man pragmatisch über Möglichkeiten der Begrenzung redet und deren Nebenwirkungen benennt.

Man könnte die Liste der sicheren Herkunftsländer erweitern und deren Bür­ge­r:in­nen im Gegenzug die Einreise bei einer Arbeitsaufnahme erleichtern, ohne Anspruch auf Sozialleistungen. So ähnlich hat man es ab 2016 mit den Westbalkanstaaten gemacht.

Eine weitere Möglichkeit liegt im Vorschlag der EU-Kommission, Asylverfahren von Be­wer­be­r:in­nen aus Ländern mit niedriger Schutzquote auszulagern an die EU-Grenzen, um die hiesigen Kommunen zu entlasten. Der Preis dafür wären allerdings Lager mit Gestrandeten, falls sich überhaupt Länder finden, die an den Außengrenzen solche Zentren einrichten.

Man könnte auch nicht anerkannten Geflüchteten, die nur über eine Duldung verfügen, die Sozialleistungen versagen, wie es in vielen EU-Ländern der Fall ist, ihnen aber eine Arbeitserlaubnis gewähren. Als Nebenwirkungen sähe man viel Verelendung und mehr ausländische Obdachlose auf den Straßen.

Weitere Vorschläge sind also willkommen. Nur: Sagen, wie es nicht geht, das gilt nicht. Und heldenhaft wird es auch nicht.

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