Debatte um Jugendgewalt: SPD-Attacke auf Koch

Mit Altkanzler Schröder bläst die SPD zum Angriff auf Hessens Landeschef Koch. Sie präsentiert sich als wahre Hüterin innerer Sicherheit und stellt Koch als Blender hin.

Die SPD will sich von Koch nicht in die Enge treiben lassen. Altkanzler Schröder hilft Bild: dpa

HANNOVER taz Ist das jetzt schon Angriff oder noch Verteidigung? Gerhard Schröder steht am Sonntagabend auf einem SPD-Empfang im Neuen Rathaus von Hannover und redet ausnahmsweise mal nicht über Putin oder Gazprom. Der Altkanzler stürzt sich mitten hinein ins deutsche Wahlkampfgetümmel. Er knüpft sich Roland Koch vor.

"Dieser merkwürdige Mensch da sollte wirklich vor der eigenen Tür kehren", sagt Schröder. Er wirft Hessens Ministerpräsident vor, über 1.000 Stellen bei der Polizei gestrichen zu haben. Er verweist darauf, dass die Straftaten junger Rechtsradikaler 2007 um 10 Prozent zugenommen haben. Er ruft genüsslich aus, dass er Koch und Merkel noch nie darüber reden gehört habe. "Das legt den Verdacht nahe", so Schröder, "dass es ihnen nicht um den Schutz der Menschen geht, sondern in altbewährter Weise um das Schüren von Ängsten. Wer so agiert, der sollte aufhören, von Integration zu reden."

Die Genossen, die sich im Rathaus versammelt haben, strahlen. Ihr alter Hannoveraner Freund Gerd, der sich sonst so rar macht in der eigenen Partei, steht wieder mal an ihrer Seite. Das tut ihnen gut, Agenda 2010 hin oder her. Sie übersehen in dem Moment jedoch die Frage, die sich dem Beobachter geradezu aufdrängt: Geht das Kalkül von Roland Koch nicht erst recht auf, wenn jetzt sogar schon Schröder über Jugendkriminalität redet, reden muss?

Das ist ja für die gesamte SPD die Frage der Stunde. Wie soll sie auf die schamlose Wahlkampfkampagne des hessischen Ministerpräsidenten reagieren? Soll sie auch über Jugendkriminalität reden - und damit Koch indirekt recht geben, der ja behauptet, ein von der SPD tabuisiertes Thema aufgegriffen zu haben? Soll sie lieber schweigen - und Koch damit allein das Feld überlassen? Und wie rettet sie darüber ihren eigenen Wahlkampfhit: die Unterschriftenkampagne für einen allgemeinen Mindestlohn?

Nach anfänglicher Sprachlosigkeit, nach vorsichtigen Angriffen auf Koch zum Jahresanfang, hat sich die SPD am Montag zu einer neuen Taktik entschlossen. Sie lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Attacke. "Rechtspopulismus" wirft Parteichef Kurt Beck der Union vor. "Wir sind die Angreifer und die Union schlägt wild wie ein Ertrinkender um sich."

Die SPD hat eigens die Tagesordnung ihrer Vorstandsklausur in Hannover geändert. Sie stellt immer noch das Thema "Gute Arbeit" samt ihrer Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn in den Mittelpunkt; dazu beschließt sie ein Zehn-Punkte-Papier mit weitgehend bekannten Zielen. Die SPD-Führung redet aber auch über Jugendkriminalität und erarbeitet eine Koch-Gegenstrategie. Deren Kern: Die Sozialdemokraten sind die wahren Hüter der inneren Sicherheit.

Der zweiseitige Beschluss dazu liest sich, als sei Otto Schily in den Parteivorstand zurückgekehrt. "Wir wollen null Toleranz gegen Gewalt", steht da. "Wir kämpfen hart gegen Kriminalität und Gewalt und gegen deren Ursachen." Die SPD listet darin eine Reihe ihrer Klassiker auf: gleiche Bildungschancen für alle, Ganztagsschulen, Jugendarbeit, Ausbildungsperspektive für jeden Jugendlichen, konsequente Integrationspolitik mit klaren Regeln und fairen Chancen. Das Signal: Jugendkriminalität ist ein soziales, kein Ausländerproblem.

Im Kampf dagegen will die SPD keine schärferen Gesetze, sondern nur die konsequente Anwendung bestehender Paragrafen. Dazu unterbreitet sie zwei konkrete Vorschläge: Die Strafverfahren sollen beschleunigt werden. Der ermittelte Tatverdächtige soll binnen einem Monat angeklagt und verurteilt werden. Und der Strafvollzug soll schneller kommen. Insbesondere verurteilte Intensivtäter sollen ihre Haft innerhalb von vier Wochen antreten.

Zur Gegenstrategie der SPD gehört auch, Hessens Ministerpräsident mit dessen eigener Regierungsbilanz auf dem Feld der inneren Sicherheit zu konfrontieren. Ob Beck, Vizekanzler Steinmeier oder Generalsekretär Hubertus Heil - alle scheinen sie über Nacht zu hessischen Polizeiexperten geworden zu sein. In Hannover referieren sie wieder und wieder die für Koch wenig schmeichelhaften Zahlen: 1.186 gestrichene Stellen bei Hessens Polizei seit 2003. 130 abgebaute Stellen bei Richtern und Staatsanwälten. Sämtliche Mittel für Präventionsmaßnahmen gestrichen. 80 Prozent der jungen Straftäter in Hessen werden rückfällig. "Koch ist der Sicherheitsversager in Deutschland", sagt Heil.

Kann der Angriff der SPD Kochs Kampagne neutralisieren? Die Genossen wissen es nicht. Sie warten gespannt auf die Umfragewerte der nächsten Woche. Aber die Parteiführung hat zumindest die erste Lehre jeder Gegenkampagne beherzigt: Keine Panik verbreiten, den eigenen Laden beruhigen.

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