Deportation von Roma und Sinti: Am Ort der Täter

Die Ausstellung „Aus Niedersachsen nach Auschwitz“ ist dort zu sehen, wo die Verfolgung organisiert wurde: in der Polizeidirektion Hannover.

Auf einem langen Flur laufen zwei Männer der Kamera entgegen, auf einem im Vordergrund Plakat steht: Aus Niedersachsen nach Auschwitz. Die Verfrolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit

Auf diesen Fluren wurden die Deportationen organisiert: Ausstellungsplakat in der Polizeidirektion Foto: Michael Matthey/dpa

HANNOVER taz | Es ist nicht mehr ganz nachzuvollziehen, welche dieser Büros die Herren belegt hatten. Aber irgendwo an diesen Fluren saßen sie, die Kripo-Beamten der „Dienststelle für Zigeunerfragen“. Für die war nämlich nicht die Gestapo zuständig, sondern die Kriminalpolizei, die damit zum Teil schon im Kaiserreich befasst war.

Anders als die Gestapo, die durch die Nürnberger Prozesse zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt wurde, was die Entfernung der Beamten aus dem Dienst zur Folge hatte, gab es hier kaum Konsequenzen zu befürchten. „Das Schlimmste, was den Herren unseren Recherchen zufolge passiert ist, war die frühzeitige Pensionierung“, sagt der Historiker Boris Erchenbrecher bei der Eröffnung der Sonderausstellung „Von Niedersachsen nach Auschwitz“ in den Räumen der Polizeidirektion Hannover.

Die heute noch genutzte Polizeidirektion ist ein trutziges Schlösschen mit allerlei Prunk und Zierrat, erbaut zwischen 1900 und 1903 für das „Königlich Preußische Polizeipräsidium“ am Waterlooplatz. Im angegliederten Polizeigefängnis sind einige Zellen so klein, dass sie umgebaut werden müssen, um heute noch auch nur einen einzigen Gefangenen aufnehmen zu dürfen – im Männer­trakt ist das schon geschehen, beim Frauentrakt steht das noch aus, er darf deshalb am Ende des Ausstellungsrundgangs mitbesichtigt werden.

Damals belegte man die Zellen mit 10 bis 15 Personen. Politische Häftlinge verschwanden darin genauso wie Sinti und Roma und alle anderen, die dem NS-System nicht genehm waren. Auch die demütigenden und sadistischen rassenkundlichen Untersuchungen und Vermessungen fanden hier statt. Die Erfassung und Festsetzung, die Sammlung in Lagern und die Zwangssterilisationen wurden aus diesem Gebäude in Gang gesetzt.

Prompt abrufbare Vorurteile

Von alldem erzählt die Ausstellung genauso wie von den langen Kontinuitäten – von der Verfolgung seit dem Mittelalter, dem ungebrochenen Fortleben rassistischer Stereotype lange nach dem Krieg, dem endlosen Kampf um Anerkennung und Entschädigung.

„Ich habe in meinen 40 Dienstjahren immer wieder Vertretungsstunden in verschiedenen Schuljahrgängen mit dem Thema bestritten“, erzählt der pensionierte Lehrer Reinhold Baaske in seinem Vortrag zur Ausstellungseröffnung. Baaske hat als Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Leben der Sinti und Roma in Niedersachsen die Ausstellung mitkonzipiert.

„Es war erstaunlich, wie prompt all diese Stereotype und Vorurteile abrufbar waren – nahezu unverändert in all diesen Jahren und obwohl kaum einer dieser Schüler je bewussten Kontakt zu Sinti und Roma gehabt hatte.“

Die Ausstellung ist nicht neu, 2003 war sie zum ersten Mal im niedersächsischen Landtag zu sehen, 2017 noch einmal gründlich überarbeitet worden, 2018 – zum 75. Jahrestag der Deportationen der norddeutschen Sinti und Roma war sie erstmals in Bergen-Belsen zu sehen. Jetzt erst ist der neue Begleitband erschienen.

Die Erfassung und Festsetzung, die Sammlung in Lagern und die Zwangssterilisationen wurden aus diesem Gebäude in Gang gesetzt

Die Ausstellung entstand auf Anregung des Niedersächsischen Verbandes Deutscher Sinti, in Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Beratungsstelle für Sinti und Roma und dem Historischen Seminar der Leibniz-Uni Hannover.

Sie konzentriert sich auf die Verfolgungsgeschichte der NS-Zeit, versucht behutsam die Stimmen und Erinnerungen der Opferfamilien einzubringen, die lokalen und regionalen Bezüge mit alten Fotos möglichst anschaulich zu machen.

Das scheint auch notwendig, denn viele Dinge sind selbst historisch Interessierten kaum bekannt: Wie etwa der Gedenkort im Altwarmbüchener Moor, dem Ort des hannoverschen Sammellagers, wo zum 80. Jahrestag der größten Deportation Kränze und Blumen niedergelegt wurden.

Ein hölzernes Tor mit der Aufschrift „Das Tor zu Auschwitz war das Tor zur Hölle“ und den Namen der Deportierten erinnert hier an die Verfolgung. Sonst ist nicht viel übrig von dem Wagenplatz, an dem erst die Verfolgten und nach dem Krieg erneut die Überlebenden zusammengepfercht wurden.

Begrenzt zugänglich

Für die Öffentlichkeit sind die Text- und Bildtafeln in den Gängen der Polizeidirektion allerdings nur begrenzt zugänglich: Sie bleibt bis zum 30. März. Interessierte können sich per Mail an gedenkstaette@region-hannover.de anmelden, um sich jeweils dienstags oder donnerstags zwischen 17 und 19 Uhr durch die Ausstellung führen zu lassen.

Schulklassen können die Ausstellung an diesen Tagen auch zwischen 10 und 12 Uhr besuchen. In der restlichen Zeit soll sie vor allem für interessierte Polizeiangehörige zugänglich sein. „Für die Kollegen werden ebenfalls Führungen angeboten“, versichert die Pressestelle.

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