Der Hamburger SV: Eine Bilanz: Saison zu Ende, HSV streitet weiter

Die Hamburger wissen nicht, was sie im Profifußball wollen, und tragen ihre Konflikte mit Indiskretionen aus. Ein Teil der Medien spielt Vorstand und Trainer. Die Mannschaft spiegelt das Drama auf dem Rasen.

"Mich informiert ja auch keiner": Ex-HSV-Trainer Armin Veh. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Bundesligasaison ist zu Ende, auch die des Hamburger Sportvereins. Es wird nicht mehr Bundesliga-Fußball gespielt, aber alles andere geht weiter. Vor allem der Streit. Der Streit unter den Aufsichtsräten, der Streit zwischen einem Teil der nicht organisierten Fans, die Bernd Hoffmann und Katja Kraus zurück haben wollen, und einem Teil der organisierten Fans, der Streit zwischen den Supporters und Teilen des Aufsichtsrats. Der Streit zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden Ernst-Otto Rieckhoff und den Supporters. Es ist wie in der Saison, vielleicht ist es sogar noch besser, denn der Fußball stört nicht mehr beim Streiten.

Podiumsdiskussionen, Interviews, Mails, Geheimdokumente, von drei Millionen Euro minus hört man Munkeln, als Resultat der Saison 2010/ 11.

Der Streit muss weiter gehen, denn es ging ja nie um die Personen, die nun weg sind, also die Vorstände Hoffmann oder Kraus, es ging ja immer um die Frage, wie sich der Hamburger SV in einer der kommerzialisiertesten Branchen verhält, die der Kapitalismus kennt, dem Profifußball. Macht er nur mit? Treibt er die Entwicklung voran? Ist er defensiv? Oder zieht er sich gar aus dieser unmoralischen aber lustigen Branche zurück? Und welche Konsequenzen haben das Mitmachen, Vorantreiben, die Defensive, der Rückzug?

Der Streit wurde als Auseinandersetzung um Hoffmann und Kraus geführt, weil man über das Eigentliche: "Was will der HSV im Profifußball?" nicht sprechen darf. Denn das Eigentliche macht Angst, weil es an die Grundfesten rührt. Und das traut sich dann doch keiner.

Die vergangene Saison hatte mit Fußball nur am Rande etwas zu tun. Diese Saison brachte den Verein einen Schritt weiter: Der Streit brach offen aus. Es wurde nicht über das eigentliche Thema gesprochen, aber das offen.

Die Mannschaft hielt dem HSV den Spiegel vor und stellte eine Version dessen, was sich im Club abspielte, auf den Rasen des Volksparks. Das war nicht schön, aber wahrhaftig. Die Spieler wussten nicht, was sie tun sollen, der Verein weiß es ja auch nicht.

Als Trainer Armin Veh erkannte, wo er da gelandet war, versuchte er, unter Wahrung seiner Würde, aus der Sache heraus zu kommen. Das war schwerer als Spiele zu gewinnen. Er betrachtete sich als Trainer auf Abruf, sein Vorgesetzter Bernd Hoffmann war ein Vorstandsvorsitzender auf Abruf, der Sportchef Bastian Reinhardt ein Sportdirektor auf Abruf.

Veh reagierte auf diese Situation, indem er etwas Neues einführte: Er sagte bei Pressekonferenzen die Wahrheit. Einfach so. Er informierte darüber, dass niemand mit den Spielern über auslaufende Verträge spricht. Dass niemand mit ihm spricht. Als er seinen Rücktritt bekannt gab und ein Journalist fragte, ob er den Aufsichtsrat informiert habe, murmelte Veh: "Warum? Mich informiert ja auch keiner."

Ein Teil der Hamburger Medien zeigte Desinteresse an solchen Äußerungen. Größer war das Interesse, als quasi-Vorstand oder quasi-Trainer mitzumischen und vom Streit zu profitieren. Peter Wenig, der Sportchef des Hamburger Abendblatts, führte in seiner Zeitung Vertragsverhandlungen für Matthias Sammer, einen der vielen Kandidaten für den Posten des HSV-Sportdirektors. Wenigs Angebot lautete: 2,5 Millionen Euro per anno. Trotz Wenigs selbstlosem Einsatz blieb Sammer Sportdirektor beim DFB. Wie undankbar!

Ein Teil der Hamburger Medien wird von Teilen des HSV-Aufsichtsrats mit Informationen gefüttert. Warten wir ab, wie Frank Arnesen, der nun Sportdirektor geworden ist, mit Indiskretion umgeht. Arnesen ist vom FC Chelsea gewohnt, dass die erste Sorge der Verantwortlichen dem Wohl des Clubs gilt, und nicht dem eigenen. Die Informationspolitik englischer Clubs ist restriktiv, beim HSV flüstert jeder Aufsichtsrat, mit wem er will und aus, was ihm nützt.

Michael Oenning, der Assistent Vehs, ist Cheftrainer geworden. Nach einem der vielen schlechten Spiele am Saisonende ließen ihn einige Aufsichtsräte im Pressekonferenz-Raum zum Rapport antreten. Der Schauspieler Marek Erhardt und der Journalist Manfred Ertel sind auch so etwas wie Trainer.

Die viel beschworene Verjüngung der Mannschaft wurde dadurch eingeleitet, dass die eigenen Talente den Club verlassen haben: Tunay Torun, 21, Maxim Choupo-Moting, 22, auch Änis Ben-Hatira, 22, gehen möglicherweise. Sie haben kein Vertrauen mehr in Versprechungen. Wer will es ihnen verdenken?

Müssen die Talente eben vom FC Chelsea ausgeliehen werden: Patrick van Aanholt, 20, und Gal Kakuta, 19, sind im Gespräch. Der 19-jährige Mittelfeldspieler Jacopo Sala aus Italien wird kommen und Michael Mancienne (23), der bei Chelsea in der Defensive war, ist bereits am Dienstag in Hamburg gelandet, um seinen Vier-Jahres-Vertrag zu unterzeichnen. Zudem soll der Verein vor der Verpflichtung eines dritten Nachwuchsspielers von Chelsea stehen. Am Montag werde der 19 Jahre alte Türke Gökhan Töre beim HSV zum Gesundheitscheck erwartet.

Der HSV bemühte sich auch um Nils Petersen (Energie Cottbus), Torschützenkönig der Zweiten Liga. Geht aber zu Bayern München. Der HSV war an Mehmet Ekici interessiert, der geht zu Werder Bremen.

Die Alten, Frank Rost, Zé Roberto und Ruud van Nistelrooy, sind weg. Nistelrooy, der Ex-Weltfußballer, Torschützenkönig der niederländischen, englischen und spanischen Liga, ist ein Beispiel für HSV-typische Fehlerketten. Nistelrooy, 34, Real Madrid, wird ob seines großen Namens von Bernd Hoffmann verpflichtet. Ein Fehler. Die lokalen Medien feiern ihn, die Fans erwarten Wunderdinge. Das gibt Hoffmann Recht, das hilft ihm.

Erst trifft der Spieler, dann nicht mehr, verletzt sich, trifft kaum noch, dann kommt ein Angebot von Real Madrid. Nistelrooy bittet um seine Freigabe, ein paar Euro hätte der HSV auch noch bekommen. Nistelrooy muss bleiben - der nächste Fehler. Er spielt wie ein gebrochener Mann. Der HSV schmückt sich gern mit großen Namen, wie man sie pflegt, weiß keiner, wie man sie kaputt macht, schon.

Beim HSV fehlt es an manchem, auch an Infrastruktur. "Sieht von außen alles gut aus", lautete Frank Arnesens vernichtendes Urteil nach einem seiner ersten Besuche in Hamburg. Was beim HSV nicht fehlt, ist der Streit über das Verhältnis von Tradition und Kommerzialisierung, der in allen Profivereinen tobt. Er ist nicht zu lösen. In der Vergangenheit hat dieser Streit den Verein angetrieben, er hat Hoffmann und Kraus zu kreativen Lösungen wie dem umstrittenen "Anstoß(3)", dem Deal mit dem Investor Klaus-Michel Kühne oder dem innovativen "Hamburger Weg" geführt. Er kann den HSV in Zukunft auch zerreißen.

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