Der Hausbesuch: In Kanada war sie noch nie

Eleonora Zickenheiner hatte als Kind Äpfel dabei, heute erforscht sie alte Sorten. Dazwischen überwand sie Schüchternheit und entlarvte Plagiate.

Eleonora Zickenheiner unterwegs mit ihren Ziegen auf einer kleinen Straße in hügeliger Landschaft

Ziegen, Schafe, Hund: Eleonora Zickenheiner führt ihre Tiere vorm Schwarzwaldpanorama aus Foto: Stefan Pangritz

Die Tür zur Wohnküche ist mit alten Inselbüchern, beim Öffnen der Tür klappen die Bücher auf und zu.

Drinnen: Die mit Büchern beschlagene Tür zum Wohnzimmer Foto: Stefan Pangritz

Im Apfelbaumgarten bekommen die älteren Apfelbäume ein Namensschild

Draußen: 250 Apfelbäume, darunter auch die Sorte „Goldparmäne“ Foto: Stefan Pangritz

Als Kind wurde sie „herumgereicht“. Die Angst, ihr Zuhause erneut zu verlieren, macht sie erpressbar.

Draußen: Sanft geschwungene Hügel umgeben das Haus. Sie sind überzogen von hellgrünem Frühlingsgras, die Bäume hingegen, darunter 250 Apfelbäume in großen Töpfen, sind im April noch im „Mausohrstadium“, wie Eleonora Zickenheiner es nennt. Die Knospen wirken samtig, als wären sie mit zartem Fell überzogen. Das schütze vor Nachtfrösten, sagt Zickenheiner. Hinter ihrem abseits gelegenen Haus steigt der Blauen sanft an, 1.165 Meter liegt sein Gipfel über dem Meeresspiegel. Hier wohnt sie mit ihrer Tochter Sandra, fünf Ziegen, zwei Schafen, einem Pony, einem Esel, drei Pfauen, einem Hund. Auch Katzen? „Ja, auch.“

Drinnen: Wozu vier separate Zimmer für Küche, Bad, Büro und Wohnzimmer? Bei Zickenheiner findet das alles in einem Raum statt. Hier wird gekocht, gegessen, musiziert, gearbeitet, gebadet, Fernsehen geguckt – und alles mit grandiosem Panorama bis zu den Alpen, denn die südliche Zimmerwand ist verglast. Es ist ein dreidimensionaler Wimmelbildraum. Überall gibt es etwas zu entdecken. Die einzelnen Möbelstücke sind teils geerbt, teils selbstgemacht. Die Zimmertür wurde mit angenagelten Büchern verziert, die Esstischplatte ist eine alte Kassettentür. Auf der Terrasse vor der Fensterfront sonnt sich ein Pfau.

Ihre Pläne: 2019 ist Eleonora Zickenheiner mit ihrer Tochter und Gerhard, „meinem Bald-Ex-Mann“, auf den Hügel im Schwarzwald in das ehemalige Jugendheim gezogen. Vorher hatte er, der Architekt ist, das Haus umgebaut. Eleonora Zickenheiners Plan: dort eine Ziegenkäserei zu gründen. „Ich hatte schon vorher nebenberuflich eine in St. Märgen, wo ich wohnte“, sagt sie, die damals als promovierte Bildungswissenschaftlerin und akademische Oberrätin an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg arbeitete und Plagiatsforschung betrieb.

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Seine Pläne: Ihr Bald-Ex-Mann, ihre „große Liebe“, wollte den Ziegenkäse und den Apfelwein vertreiben und am Fuße des Blauen eine Straußenwirtschaft eröffnen; einen temporären Ausschank also, wie es ihn in Süddeutschland vielerorts gibt. Für die Liebe hat Eleonora Zickenheiner ihren Job an der Hochschule aufgegeben, um auf den Berg zu ziehen. „Irgendwie war Zeit für was Neues.“ Aber dann kam, „am Tag, als ich eingezogen bin“, der Anruf. Gerhard Zickenheiner erfuhr, dass er als Nachrücker in den Bundestag in Berlin berufen wird. Für die Grünen.

Planänderung: Eleonora Zickenheiner war sofort klar, dass sie die Ziegenkäserei, die Straußenwirtschaft und alles, was an einem gerade umgebauten Haus noch zu tun ist, nicht alleine stemmen kann. Kommt hinzu, dass sie fürchtete, das politische Mandat ihres Mannes im 900 Kilometer entfernten Berlin könnte ein Beziehungskiller sein. Und das war es dann ja auch. Um ihrer Liebe trotz der Entfernung ein Fundament zu geben, sagte sie, sie wolle einmal im Monat eine Woche in Berlin sein. „Aber nicht, um dort zu shoppen oder zum Friseur zu gehen. Ich suchte mir eine Aufgabe.“

Die Aufgabe: Agrarökologie hat Eleonora Zickenheiner immer schon interessiert. Im Laufe ihres Studienlebens hat sie doch nicht nur Bildungswissenschaften, sondern auch Psychologie, Humangenetik und Biologie studiert, wurde zudem als Studentin in die Ethikkommission berufen. Ihr neues Projekt sollte mit Äpfeln zu tun haben, weil sie Äpfel liebte und weil diese sie, neben ihrer Intelligenz, gerettet hätten, wie sie sagt.

Sie stellte einen Forschungsantrag, bewarb sich damit um ein Doktorat an der Humboldt-Universität in Berlin. Sie wollte erforschen, welche historischen Apfelbäume den Klimawandel am besten bestehen können. Welche gesundheitlichen Eigenschaften die verschiedenen Apfelsorten haben. Und wie man die Leute dazu bekommt, wieder wurzelechte Apfelbäume zu pflanzen, also solche, die nicht auf eine Veredelungsunterlage gepfropft sind. „Fünf oder sechs Apfelsorten beherrschen heute den Markt, wo es früher 2.500 gab.“ Ihre Anträge wurden bewilligt, seither ist sie zum zweiten Mal Doktorandin. Die Ehe hat es nicht gerettet.

Die Apfelesserin: Aber warum ist sie so von Äpfeln fasziniert? „Ich habe meine Intelligenz eingesetzt, um Vermeidungsstrategien zu finden. Ich war doch ein schüchternes Kind“, antwortet Zickenheiner. Nur: der Zusammenhang zwischen Apfelforschung und Schüchternheit erschließt sich so immer noch nicht. Sie erklärt, dass sie als Kind immer Äpfel in ihrer Schürzentasche hatte. Bestand die Gefahr, dass jemand sie ansprach, hatte sie schon den Apfel in der Hand und biss hinein. „Das gab mir Zeit, mich zu sammeln.“ Ihre Antworten indes waren einsilbig. „Ich war so: schriftlich 1, mündlich 6. Eigentlich habe ich nicht gesprochen; ich war doch ein Heimkind.“

Das Heimkind: Sie sei auf dem Rücksitz eines VW-Käfers gezeugt worden, Ende der 60er Jahre, „ein herumgereichtes Kind“. Pflegefamilien, Heime, zwischendurch Kontakt zur Oma, auch zur Mutter. Bei der Oma lernte sie lesen. Sie musste das Fernsehprogramm kennen, wegen der Serie „Der Mann in den Bergen“ mit der Hauptfigur Grizzly Adams – die liebte sie. Der Mann war in die Wildnis geflohen, weil man ihn verfolgte, dabei war er unschuldig. Tiere spielen eine große Rolle dabei. Einmal, noch in der Kindergartenzeit, sei sie von einer schlimmen Pflegefamilie weggelaufen. Sie wollte nach Kanada. Davon hatte sie in ihrer Lieblingsserie wieder und wieder gehört. Aber sie fand keine Straßenschilder, auf denen Kanada stand. Da habe sie einen Polizisten gefragt, wie sie dorthin komme. Das war’s. „Ich war noch nie in Kanada, aber ich habe es ja fast hier“, sagt Eleonora Zickenheiner und zeigt auf die Landschaft vor dem Fenster.

Demütigung: Weil sie aus dem Heim kam, sei sie in der Schule von Lehrerinnen gedemütigt worden. Das habe sie verstummen lassen. Allerdings setzte sie durch, dass sie aufs Gymnasium darf. Dort verschaffte sie sich Respekt, etwa mit der Wespenschule, die sie auf dem Schulgelände eröffnete. „Als ich so 12 oder 13 war, dachte ich, das ist nicht fair, wie mit mir umgegangen wird.“ Und bald danach schließt sie sich einer Straßentheatergruppe an, und plötzlich war das Sprechen leichter.

Die Bibliothekarin: Ihre Hauptretterin aber sei die Bibliothekarin in der Stadtbibliothek von Marl gewesen. „Ach, leihst du wieder Bücher für deine kranke Mutter“, habe sie immer gesagt und sie, schon als sie noch Grundschülerin war, in die Erwachsenenabteilung geschickt. Sie habe viel über Tiere gelesen, Sachbücher auch. Und die Bibel zwei Mal. „Die Bibel?“, fragt die Tochter im Teenager­alter, die mit im Raum sitzt. „Da stehen mitunter ganz interessante Sachen drin“, sagt Zickenheiner.

Plagiat: Nach dem Abitur studierte sie erst Psychologie, „aber es war nicht mein Ding“. Über Umwege landete sie in der Bildungswissenschaft und bei der Plagiatsforschung. Theologen übrigens, so ihre Studie, bei der 2.000 Abschlussarbeiten durchforstet wurden, seien die, die am meisten plagiierten. Noch nicht mal absichtlich. Sie wollen ihre Arbeiten mitunter mit Zitaten, etwa von Päpsten, aufhübschen. Weil die als Stellvertreter Gottes das Wort Gottes sprächen, bestehe, meinen die Studierenden, keine Notwendigkeit, Zitate auszuweisen, weil es für Gott keine Quellen gebe. „Da sieht man auch, was an den Unis nicht vermittelt wird“, sagt Zickenheiner.

Kopf und Herz: Intelligenz ist das eine. Gefühle sind das andere. Bei ihren Studien und Forschungen habe sie immer MentorInnen gefunden, die sie förderten, angefangen bei der Bibliothekarin. Und in der Liebe? Ist sie da eher gestolpert? Sie widerspricht. Von der Beziehung zum Vater der Tochter bliebe viel Gutes. Und dass Gerhard Zickenheiner ihre große Liebe war, davon bliebe eben das Große. Sie sagt es, obwohl sie gerade sehr verzweifelt ist. Denn als es um die Formalien der Trennung ging, kaufte sie ihm das Haus ab, nicht wissend, dass es Baumängel gebe. Kondenswasser bilde sich und mittlerweile sei Schwamm im Gebäude. „Man muss es abreißen“, sagt sie. Weil der Architekt ihr Mann ist, noch, ist er nicht regresspflichtig. Sie hatte Angst, wieder ihr Zuhause zu verlieren, deshalb sei sie auf den Deal eingegangen. „Meine Art zu lieben hat mich ruiniert.“

Und was meint Gerhard Zickenheiner dazu? Da stritten sich eben zwei Menschen, das werde vor Gericht entschieden, sagt er am Telefon und legt grußlos auf.

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