Der IS und Anschläge mit Autos: „Davor haben sie die größte Angst“

Mit der drohenden Niederlage in Syrien und Irak setzt der IS auf Angriffe auf Zivilisten. Die Terrormiliz hat das Auto als besonders effektive Waffe entdeckt.

Ein stark beschädigter LKW, davor ein Polizist

Der Anschlag von Nizza am 15. Juli 2016 Foto: dpa

Im Herbst 2015 saß der bengalische IS-Dschihadist Abu Mariam al-Bangali in einem Auto in der Nähe der irakischen Stadt Tikrit. Das Auto war mit Sprengstoff beladen und Abu Mariam nahm sein Bekennervideo auf – er versuchte dabei Muslime auf der ganzen Welt gegen „Abtrünnige“, „Ungläubige“ und „Polytheisten“ aufzuhetzen.

Es war ein emotionaler Aufruf, doch der intensivste Augenblick war, als Abu Mariam mit einer Maschinenpistole in der Hand in die Kamera schaute und fragte: „Trotz all ihrer Waffen und all ihrer Technologien, wisst ihr, wovor sie am meisten Angst haben?“

Er griff nach dem Lenkrad und beantwortete seine eigene Frage: „Dieses Auto, eine Märtyrer-Operation. Davor haben sie die größte Angst!“

Nachdem er das Video aufgenommen hatte, tötete sich Abu Mariam al-Bangali, der mit bürgerlichem Namen Neaz Morshed Raja hieß und ein Student der Deakin Universität in Australien war, bei einem Selbstmordattentat auf Schiiten im Irak mit einer unbekannten Zahl von Opfern. Der sogenannte Islamische Staat veröffentlichte sein Video erst viele Monate später, im Mai 2017. Seitdem erinnern mich Anschläge mit Autos immer wieder an seine Worte: „Dieses Auto […] Davor haben sie die größte Angst!“

Nizza, Berlin, London

Die Autobombe ist eine der innovativsten und tödlichsten Waffen des modernen Terrorismus. Mike Davis bespricht sie ausführlich in dem Buch „Buda's Wagon“, doch das neueste Kapitel dieser Geschichte schreibt derzeit die Terrormiliz IS. Ein Instrument des erbarmungslosen und willkürlichen Terrors wird vor unseren Augen perfektioniert: Das Fahrzeug muss jetzt gar nicht mehr mit Sprengstoff geladen werden, um tödlich zu sein. Diese Waffe wurde in Nizza eingesetzt, und in Berlin und London. Und nun haben wir sie wieder in Barcelona gesehen.

In der dritten Ausgabe des IS-Onlinemagazins Rumiyah werden solche Autoangriffe schaurig detailliert besprochen: „Obwohl es ein wesentlicher Teil modernen Lebens ist, begreifen nur Wenige das tödliche und zerstörerische Potential eines Kraftfahrzeuges und die Möglichkeit, damit eine hohe Opferzahl zu erzielen, wenn es wohlüberlegt eingesetzt wird. Die Methode eines solchen Angriffes ist, ein Auto mit hoher Geschwindigkeit in eine Versammlung von Ungläubigen zu stürzen und dabei ihre Körper mit dem harten Autorahmen zu zerschmettern, während man sich vorwärts bewegt und eine Spur der Verwüstung hinterlässt – unter Reifen und Fahrwerk zermalmt man ihre Köpfe, Körper und Gliedmaßen.“

Der Lieferwagen, der beim Anschlag in Barcelona genutzt wurde, passt zu den Anweisungen, die der IS an seine Unterstützer herausgibt: Um eine hohe Zahl an Toten zu erreichen, sollte ein einfach lenkbares Auto mit erhöhtem Fahrgestell genutzt werden. Auch das Stehlen von Ausweisen, um damit einen Wagen zu mieten, wie es wohl in Barcelona geschah, wird explizit empfohlen. Das Musterbeispiel eines solchen Angriffes bleibt jedoch der Anschlag im Juli 2016 in Nizza mit einem LKW, bei dem 86 Menschen starben und Hunderte verletzt wurden.

Direkte IS-Beteiligung

Schon seit Monaten bezeichnet der IS solche Angriffe als eine „gerechte Terrortaktik“. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass die Geheimdienst-Einheit des IS, Emni, inzwischen vor allem auf solche Angriffe setzt, insbesondere in Europa. In der arabischen Bekennerbotschaft des IS zum Anschlag in Barcelona ist die Rede von einer „Sicherheitsdienst-Quelle“ – ein Hinweis auf eine direkte Beteiligung der geheimen IS-Einheit.

Auch wenn dies noch nicht bestätigt ist, ist es höchstwahrscheinlich, dass IS-Verbindungspersonen – wie auch bei früheren Angriffen – die Dschihadistenzelle von Barcelona dirigierten. Die Ermittlungen europäischer Sicherheitsdienste zu früheren Angriffen haben gezeigt, dass solche Kontakte die wichtigste Verbindung zwischen dem IS in Syrien und Irak und den meist unabhängig agierenden und vor Ort radikalisierten Tätern in Europa sind.

Für Sicherheitsdienste ist es besonders schwierig, mit einer solchen Konstellation umzugehen. Keine Behörde der Welt – egal wie mächtig oder ressourcenreich – ist dafür ausgerüstet ein Auto aufzuhalten, das auf offener Straße Fußgänger rammt. Wie Mike Davis bereits folgerte, ist das Auto damit eine „allgegenwärtige Waffe der urbanen Massenvernichtung“, die in der Praxis gefährlicher ist als biologische oder chemische Waffen.

Tasneem Khalil, 36, ist ein schwedisch-bengalischer Journalist. Seit mehreren Jahren verfolgt er die Entwicklung des IS. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch „Jallad: Death Squads and State Terror in South Asia“ bei Pluto Press.

Die europäische Polizeibehörde Europol warnt schon seit Längerem vor genau dieser Gefahr: Mit der drohenden militärischen Niederlage des IS in Syrien und Irak werden die Terrormiliz und ihre Unterstützer vermehrt auf spektakuläre Angriffe im Westen setzen und dabei Alltagsgegenstände wie Autos oder Messer verwenden.

Wir sehen einer Zukunft entgegen, in der der IS nicht mehr durch die Verwaltung eines „Kalifats“ eingeschränkt ist und vermehrt darauf setzen kann, was Dschihadisten wie Abu Mariam al-Bangali wirklich in Fahrt bringt: Der Massenmord an Unschuldigen. Der Anschlag in Barcelona ist nur ein Vorgeschmack dieser Zukunft.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.