Der Spießer ist der andere: Solidarität mit Eigenheimbesitzern

Die Probleme von Hausbesitzern auf dem Land lassen viele Linke in der Stadt kalt. Dabei ist, wer ein Haus besitzt, noch lange nicht reich.

Ein Haus mit Gartenzwergen und Deutschlandfahne

Das Eigenheim hat in der linken Szene keinen guten Ruf Foto: Stefan Jaitner/dpa

Irgendwo bei Tolstoi – ich glaube in der „Auferstehung“ – gibt es einen jungen Adligen, an den ich in letzter Zeit häufiger denken muss. Der ist wie gesagt jung und außerdem noch ein Grundeigentümer, der mit der Abschaffung des Grundeigentums sympathisiert. Die Details habe ich vergessen, aber ich erinnere mich noch gut an meine Überraschung darüber, wie vor rund 120 Jahren jemand seine Privilegien so sonderbar gegenwärtig hinterfragt hat. Und vor allem fühle ich mich auch persönlich betroffen davon, wie pubertär er dabei gezeichnet wird von einem Autor, der’s von der Sache her ja gar nicht anders sieht.

Adlig bin ich nun zwar nicht, Grundeigentümer hingegen schon. Inzwischen sogar mehrfach: Als ich aus der Großstadt raus aufs Land zog, habe ich mir dort ein Haus gekauft. Und gerade erst vergangene Woche habe ich den dritten Teil eines zweiten geerbt, weil nach dem Tod meines Vaters nun sämtliche Vorfahren hinfort und die überschaubaren Reste des familiären Hab und Guts bei mir und meinen Schwestern aufgelaufen sind. Reich macht mich das nicht, ich habe nur mehr zu tun als vorher.

Das mit dem Eigenheim ist in meiner Bubble schon politisch ein Reizthema, ganz sicher aber obendrein auch ein Stadt-Land-Problem: Die Solidarität urbaner Linker mit bis an den Hals verschuldeten Fa­mi­li­en­grün­de­r:in­nen im Umland geht jedenfalls hart gegen null. Und wer aus der Kleinstadtsiedlung über existenzielle Krisen angesichts reihenweise implodierender Baufinanzierung klagt, kriegt immer noch höchstens Häme zu spüren, obwohl sich die Lage seit Monaten zuspitzt. So was gilt meinen Stadt­freun­d:in­nen als Luxusproblem – hier draußen allerdings sind die Ei­gen­tü­me­r:in­nen im Durchschnitt sicher nicht wohlhabender als zur Miete wohnende Stadtmenschen.

Die Verhältnisse auf dem Land sind kompliziert und im Einzelfall bestimmt auch wirklich mal bourgeois. Als Faustregel empfiehlt sich aber trotzdem: Wer von Papas Geld Berliner oder Hamburger Mieten zahlen kann, sollte in Sachen Privilegien und Eigentum auf dem Land grundsätzlich erst mal die Klappe halten.

Ich mache mir jedenfalls Sorgen um meine verschuldete Nachbarschaft und ihre steigenden Zinsen

Offen bleibt allerdings die Frage, warum bauchlinke Ignoranz mich gerade in dieser Angelegenheit so wütend macht. Vielleicht weil mich das Gelaber sonst kaum betrifft? Oder liegt es doch daran, dass ich im Herzen schon auch selbst einen irrational heftigen Ekel gegenüber Grundeigentum hege und gegen Menschen, die davon leben, dass sie in fünfter Generation irgendwelches Land geerbt haben, mit dem andere tatsächlich etwas anfangen können und die ihnen darum ständig Pacht rüber­schieben?

Denn natürlich ist das eine der vulgärsten Formen des Mitverdienens an fremder Arbeit. Auch wenn Marx das Ganze im Kapital ja doch fast liebenswert beschreibt als „einen Teil des produzierten Mehrwerts aus der Tasche des Kapitals in seine eigene hinüberzuführen“.

Aber egal: Ich mache mir jedenfalls Sorgen um meine verschuldete Nachbarschaft und ihre steigenden Zinsen und halte das auch für eine Frage dringend gebotener Solidarität statt nur ein bisschen Mitgefühl. Es ist jedenfalls ganz sicher zu kurz gedacht, den Kampf um bezahlbaren Wohnraum allein als Duell zwischen mittellosen Mie­te­r:in­nen und freidrehenden Wohnungsgesellschaften zu begreifen. Wahrscheinlich rührt daher irgendwie auch mein Tolstoi-Unbehagen. Weil diese Scheinwidersprüche und Selbstzweifel ja gar nicht pubertäres Empfinden sind, sondern nach wie vor ungelöste Probleme des Klassenkampfs.

Also: Wer von der Sparkasse nicht reden will, soll auch von Vonovia schweigen? So ähnlich jedenfalls. Richtig catchy sind die Parolen der ländlichen Mittelschicht leider noch nicht, aber das kann kein Grund sein, sie der FDP zum Fraß vorzuwerfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.