Der designierte Präsident und das Netz: Gauck schreibt wie ein Außenseiter

Joachim Gauck schreibt im Vorwort für eine Studie über Internetnutzung, das Netz bedrohe Grundrechte. Er selbst scheint allerdings ein Netz-Laie zu sein.

Noch zu sehr aus der Papier-Ära, um ein digitaler Einheimischer zu sein: Joachim Gauck. Bild: dpa

Das „Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet“ (Divsi) stand in dieser Woche vor einem Problem: Es hatte das renommierte Sinus-Institut gebeten, die digitale Gesellschaft in soziale Milieus einzuteilen, doch gerade als es Zeit war, die daraus entstandene Studie der Öffentlichkeit vorzustellen, stand das Divsi ohne seinen Schirmherren Joachim Gauck da. Dieser war plötzlich mal wieder zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt gemacht worden.

Gauck hatte vor seiner Nominierung aber noch Zeit, das Vorwort der Studie zu schreiben, das ein interessantes Licht auf sein Verhältnis zum Internet wirft. Damit nicht wieder die halbe Nation das komplette Zitat herauszusuchen braucht, gibt es den entscheidenden Absatz direkt in voller Länge:

„Das weltweite Internet bietet alle Voraussetzungen, um die in den ersten zehn Artikeln unserer Verfassung verankerten Grundrechte aller Bürger in diesem Land auszuhöhlen. Dies gilt insbesondere für das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit in Artikel Fünf – eine wesentliche Grundlage unserer funktionierenden Demokratie – und es gilt letztlich auch für den Kernsatz unserer Verfassung, den Artikel Eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Erklärende Worte darüber, wie oder warum das Netz unsere Grundrechte bedroht, findet man in Gaucks Vorwort nicht. Anscheinend dachte der Autor – bei Vorworten in Studien darf man zurecht die Frage stellen, ob sie auch wirklich derjenige geschrieben hat, dessen Foto daneben steht – der Absatz würde sich von selbst erklären. Tut er aber nicht.

Kaum ein Grundrecht bedroht

Wie kann das Internet „insbesondere“ die Meinungs- und Pressefreiheit aushöhlen? „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ So lautet der erste Satz dieses Grundrechtes. „Und dem Internet sei dank“, so könnte man ihn sinnvoll ergänzen, „hat heute nicht nur jeder das Recht dazu, sondern auch die Möglichkeit.“

Das einzige der ersten zehn Grundrechte, das tatsächlich durch das Internet bedroht wird, ist Artikel Zehn, in dem das Brief- und Postgeheimnis festgelegt ist. Bei anderen Grundrechten spielt das Internet entweder keine Rolle, etwa bei der Religionsfreiheit, oder scheint diese Rechte sogar noch zu stützen.

Man könnte zum Beispiel mal die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo fragen, ob das Internet ihrer Meinung nach die Versammlungsfreiheit bedroht. Oder nehmen wir das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, wie es in Artikel Zwei festgelegt ist.

Das Internet hat vielen Menschen überhaupt erst die Möglichkeit gebracht, ohne großen Aufwand Gleichgesinnte zu treffen, und so ihre Persönlichkeit zu entfalten – auch wenn das im Einzelfall bedeutet, sich Chatroulette-Schwänze anzusehen. Welche Entfaltungsmöglichkeiten uns das Netz genommen hat oder nehmen könnte, ist dagegen schwer nachzuvollziehen.

Ein digitaler Außenseiter?

Der zitierte Absatz wurde dem Vorwort einer Studie entnommen, welche die digitale Gesellschaft in soziale Milieus unterteilt. Doch in welche dieser Gruppen kann man unseren künftigen Bundespräsidenten denn nun einordnen?

Auf den ersten Blick sieht alles danach aus, dass Gauck dem Milieu der ordnungsfordernden Internet-Laien angehört – also dem Milieu der digitalen Außenseiter, das dem Netz generell mit Skepsis begegnet und nach einem starken Staat schreit, der es in die Schranken weist. Damit würde man Gauck aber nicht gerecht.

Nirgendwo in seinem Vorwort erwähnt er den Staat oder verlangt von ihm, das Netz zu regulieren. Ganz im Gegenteil appelliert er an die Verantwortung des einzelnen Nutzers: „Die Unendlichkeit im Netz hört spätestens dort auf, wo wir klären müssen, wie viel Risiko, wie viel Verantwortung und wie viel Freiheit meiner Aktivitäten im Netz ich mir selbst zutraue. Eine Entscheidung, die letztlich jeder User für sich allein treffen muss.“

Gauck stellt also die Verantwortung des Einzelnen in puncto Sicherheit über die Verantwortung des Staates. Damit ist er weit vom Milieu der ordnungsfordernden Internet-Laien entfernt. Man trifft diese Einstellung sogar meist bei digitalen Eingeborenen an. Zu denen kann Gauck zwar schon alleine aus Altersgründen nicht zählen, man darf aber dennoch hoffen, dass dem künftigen Bundespräsidenten nicht nur die Freiheit im analogen Raum wichtig ist.

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