Der zeozwei Wochenüberblick #4: VW und die Deutschen

Die Fünf-Minuten-Lektüre für Ökofreunde und Ökohasser: Informativ und unterhaltend, empathisch und bissig, intellektuell und populär.

Funktionieren Deutsche wie die VW-Abgassoftware? Bild: dpa

Wie der Deutsche ist, immer noch wie früher oder inzwischen ganz anders, das wird in diesen Tagen verstärkt diskutiert. Bisher kommt der Diskurs kaum über Klischees oder Verklärungen hinaus. Im Gegensatz zu den Verlautbarungen, die selbst Grüne Politikerinnen tätigen, hat es das sogenannte „Sommermärchen” nicht gegeben, also die gesellschaftspolitisch aufgeladene Interpretation der Fußball-WM 2006.  

Das war sehr schön damals. Aber es war nicht die Geburt eines „anderen Deutschlands”, sondern eine Party von Fans, die sich feiern wollten und die naheliegende Form der Gegenwart nutzten, die affirmative Identifikation mit einem Fußballteam. Es gibt auch kein „Septembermärchen”. Das eine ist mit dem anderen nur partiell zu vergleichen, nämlich in der Sehnsucht rauszugehen und sich in einer Gemeinschaft zu spüren.

Aber der Kern ist ein komplett anderer: Bei der Fußball-WM ging es um das Paradigma der Gegenwart: Sich selbst etwas Gutes zu tun. Bei der Willkommenskultur geht es emotional und faktisch darum, anderen etwas Gutes zu tun. Die Hyperkompensations-Kritiken meist ausländischer Kritiker vom krampfhaft gut sein wollenden Deutschen scheinen mir im „Dann ist das nicht mehr mein Land”-Sinne Angela Merkels absurd. Wer hilft, der hilft. Das zählt.

Interessant ist aber die Ermächtigungsfrage: Im Gegensatz zum Klimawandel oder der Situation in Syrien kann der Mensch sich hier selbst ermächtigen. Er kann losziehen und konkret und aktuell etwas verändern und verbessern. Danach kann er wieder nach Hause gehen. Es bedeutet nicht, dass der „Deutsche” nun in jeder Situation das Gute tun wird. Mal tut er es. Und dann tut er es nicht.

In diesem Kontext hat Mark Siemons in der FAS (27. September) einen spannenden Gedanken aufgeworfen: Funktionieren Deutsche genauso wie die Volkswagen Abgas-Software? Die Autos mit Betrugssoftware können unterscheiden, ob sie einem behördlichen Tests unterzogen werden oder ob sie im Normalbetrieb sind. Werden Sie getestet, reduzieren sie die gesundheitsgefährdenden Stickoxide. Werden Sie nicht getestet, hauen sie das Zeug raus, weil sie dann andere Prioritäten verfolgen: Ohne Abgasreinigung hat das Auto mehr Leistung und braucht weniger Sprit.

Übertragen hieße das, dass Deutsche ihre „nationalen Stereotypen”, wie Siemons das nennt, dann einsetzen, wenn es ihnen nutzt. Qualität. Verlässlichkeit. Und neuerdings eben auch Moral. Wir bezeichnen uns als ökologisches Role Model, aber wenn nicht hingeschaut wird, schalten wir den Ökofaktor aus. Insofern wäre VW prototypisch. Nicht nur für die Wirtschaft, sondern für die Politik und leider auch die Gesellschaft. Also für uns.

Fragen, Beiträge, Themenscouting? unfried[at]taz[dot]de

zeozwei auf Twitter folgen? @zeozwei

Den zeozwei Wochenüberblick von zeozwei-Chefredakteur Peter Unfried können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.

Gibt es überhaupt Klimapolitik? Nein, gibt es nicht, sagt Jürgen Maier. Erfolge kommen durch Konfrontation. Der Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung in einer Debattenserie zur UN-Klimakonferenz von Paris in klimaretter.info.

VW-Betrug: Neu ist das alles nicht. taz-Redakteur Jost Maurin recherchierte bereits 2014 die Methoden der Autoindustrie: „Hinsichtlich der Stickoxide von Dieselfahrzeugen 'versagt die momentane Gesetzgebung' räumt die EU-Kommission auf taz-Anfrage ein.“

Klimakonferenz in Paris: Der wöchentliche Überblick, welche Länder welche Klimaschutzversprechen für Paris eingereicht haben. Jetzt mit Brasilien, das die Botschaft senden will: Schaut her, wir tun mehr.

Shell hat als letzter westlicher Energiekonzern die Ölsuche in der Arktis eingestellt. Zumindest bis auf weiteres. Begründung: Zu teuer, zu wenig Unterstützung durch die Politik.

• Jeb Bush, Republikanischer Präsidentschaftskandidat, will den Clean Power Plan von Präsident Obama abschaffen, falls er ins Amt gewählt wird. Er steht auf Öl.

Das Flüchtlingsproblem ist nicht zu lösen, wenn wir die Fluchtursachen nicht angehen. Wir müssen vernetzt denken und Krieg, Armut und die Klimaveränderung in den Blick nehmen. Wir müssen die Erde in einen Abkühlungsprozess bekommen. Das heißt: Stopp mit der Nutzung der klimagasemittierenden Wirtschaftszweige.“

Hans Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group.

In Deutschland werden jährlich mehr als 2,8 Milliarden Coffee to go-Becher verbraucht, meldet die DUH. 2,8 MILLIARDEN. Für ihre Herstellung sind laut DUH 64.000 Tonnen Holz, 1,5 Milliarden Liter Wasser, 11.000 Tonnen Kunststoff und eine Energiemenge notwendig, mit der sich eine Kleinstadt ein Jahr lang versorgen ließe. Das könnte man mit einer Kultur der mitgebrachten Mehrweg-Becher leicht ändern. Aber wie bringt man sich dazu?

Thomas Edlinger: Der wunde Punkt (Suhrkamp). Hat sich die Kritik verrannt? Will sie überhaupt noch auf etwas hinaus - außer sich gut zu fühlen, wie schlecht alles ist? Aus dem Pathos der Weltveränderung ist ein Dauerzetern über die Schlechtigkeit der Welt geworden, diagnostiziert Edlinger. Großartige Analyse.

10. Oktober, Berlin, Freihandel. Großdemo: TTIP und CETA stoppen. 12 Uhr, Washingtonplatz

 

15. Oktober, Nürnberg, Vegetarismus und Veganismus, Infoabend, 18.30. Restaurant Mariposa, Mostgasse 6.

 

That wraps it up for today. Until next week: Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars.