Devo-Abschiedskonzert in Berlin: Männer ohne Berührungsangst

Keine Satisfaktion: Die US-New-Wave-Band Devo beschließt ihre Farewell-Tour in Berlin. Und verspricht weitere 100 Jahre De-Evolution.

Männer in gelben Anzügen mit der Aufschrift Devo auf der Bühne

Devo in ihren gelben Jumpsuits auf der Abschiedstour Foto: Tom Little/Reuters

BERLIN taz | Ganz vereinzelt sind Energy Domes schon draußen zu sehen, in der Schlange am Einlass der Zitadelle in Berlin-Spandau: Diese meist roten, runden, ring-terrassierten Plastikkopfbedeckungen, die die US-Band Devo 1980 erstmals feilgeboten hat, anlässlich der Tour zu ihrem Album „Freedom of Choice“. Angeblich sind diese Hüte angelehnt an babylonische Tempelarchitektur und geeignet, Orgon-Energie zu binden; ja, die von Wilhelm Reich. Auch von ihrer Liebe zu Bauhaus-Design und Lego haben die Devo-Gründer in diesem Zusammenhang schon gesprochen.

Drinnen werden diese entfernten Verwandten von Blumentöpfen auch verkauft, 35 Euro pro Stück, genauso viel kosten die 50-Jahre-Devo-T-Shirts. Daneben gibt es signierte Drum-Felle, also für richtiges Schlagzeug, aber die sind dann doch teurer, 250 Euro das Stück. Der kleine Ausflug an den – Achtung! – Devotionalienstand ergibt Sinn, weil er mehr als bei anderen Bands erzählt über diese nun also Farewell sagenden New-Wave-Nerds. Gegründet 1973 in Akron, Ohio, damals Welthauptstadt des Autoreifens.

Devo-Songs haben Punk-Drive und klingen zugleich nach Fahrstuhlmusik, Gegen- trifft Massenkultur, Avantgarde-Wissen fällt mit billigen Industrieerzeugnissen zusammen, Protest mit doppelbödiger Affirmation: Klaro, dass widersprüchliche Elemente auch bei manchen Punk-und-Folgendes-Zeitgenossen im Spiel gewesen waren. Devo aber sind damit bis ins Begleitprogramm der Olympischen Spiele gelangt.

Denn wenn sie eines immer waren, dann ist die Band scheinbar ohne jede Berührungsangst: Sie kooperieren mit Nike und Coca-Cola, umarmen das Neue, feiern den Reiz der Oberfläche. In ihrer Musik, aber vielleicht noch mehr all dem Drumherum, den Videoclips, Computerspielen und Plastik-Actionfiguren hallen 20er-Jahre-Avantgarde und 50er-Jahre-Wohlstandsversprechen wider, der Soundtrack zur Weltherrschaft des Brillenträgers mit Elektrobaukasten, auch Kindern zugänglicher Quatsch und gleich darauf wieder gallige Dystopie. Denn die De-Evolution, dieses Konzept hinter dem Namen, das auftaucht in so vielen ihrer Texte und Titel, ist ja gar nichts Gutes – eher der Rückfall des Menschen in die Barbarei.

Ist die De-Evolution real?

Eine Idee, geboren aus profunder Enttäuschung über das Ende des 60er-Jahre-Aufbruchs im Kugelhagel an der Kent State University: Unter den vier dort von Nationalgardisten erschossenen Stu­den­t:in­nen waren Freun­d:in­nen von Devo-Gründer Gerald Casale. Er sprach vom 4. Mai 1970, dem „Kent State Massacre“, wiederholt als dem Tag, an dem er aufhörte, Hippie zu sein – eine Aussage, die mit Vorsicht zu genießen ist, wie so vieles im Devo-Kosmos.

„Wie viele von euch glauben, dass De-Evolution real ist“, fragt Gerald V. Casale, mehr als 50 Jahre später, das Berliner Publikum am Dienstagabend. „Vielleicht nicht so sehr da, wo ihr seid. But in the United States, we’re drowning in filth.“ Blitzen da einfach gekränkte Liberale hervor hinter all den Schichten von Konzeptkunst, Ironie, Maskerade? Sie wechseln mehrfach die Outfits an diesem Abend, erinnernd an die Epochen der Bandgeschichte, auf den Bühnenhintergrund projizieren sie Collagen ihres immer auch visuellen Outputs, dann wieder riesengroße Textauszüge.

Etliche Hits werden am Ende gespielt worden sein, auch der tatsächliche, „Whip It“. Aber wichtiger wohl für viele im annähernd vollen Freilichtrund sind die Hits der Herzen: „Uncontrollable Urge“ und „Gut Feeling“, das heute sicher nicht mehr genauso vorstellbare „Mongoloid“, die Dekonstruktion von „(I can’t get no) Satisfaction“, „Smart Patrol/Mr DNA“ und das Devo-Stück überhaupt: „Jocko Homo“ mit seinem Call-and-response „Are we not men?/We are Devo!“

Im Publikum sind alte Punk- und neue Hipster-Outfists zu identifizieren, sogar ganze Familien sind da: Väter mit kleinen Töchtern, die sich auf „die gelben Anzüge“ freuen. Der grau gewordene XTC-T-Shirtträger mit Frau und erwachsener Tochter, beide so begeistert wie textsicher: Wer hat da wen eingeladen?

Der letzte Abend der ersten 50 Jahre Devo

Vor dem Einlass plaudern mittelalte VIP-Karteninhaber, angereist aus Hamburg und Leverkusen. Überraschend, dass sie finden, damals in den 1980ern, das sei wenigstens noch Musik gewesen, nicht wie in den 1990ern dann nur noch Techno. Kennen diese Leute überhaupt das Album, auf dem Devo einen Schwung alter Hits entwaffnend ehrlich als „E-Z-Listening“ inszeniert haben?

Pünktlich viertel nach acht beginnt die Band, als Vorprogramm haben wir ein sehr stilsicheres DJ-Set zu hören bekommen: mit Songs von Pere Ubu, auch aus Ohio; Spizz Energi, Gang of Four, solche Sachen – das wird auch denen mit den VIP-Tickets gefallen haben.

Nicht genau eine Spielfilmlänge später ist die Show vorbei, keine Zugabe. Im Finale aber hat ein alter Bekannter seinen Auftritt, „Boji Boy“, eine von Devos vielen Kunstfiguren: Es sei dieser Abend in Deutschland ein besonderer. So hätten sie hier ja einst ihr Debütalbum aufgenommen (mit Brian Eno in Conny Planks legendärem Studio nahe Köln). Und es sei der letzte Abend der ersten 50 Jahre Devo, hören wir – aber auch der erste der nächsten 100. Mal ­sehen, was da noch kommt.

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