Die FDP vor ihrem Parteitag: Tiefe Ratlosigkeit

Die FDP steckt in einem Dilemma. Seit den Achtzigern verkümmert ihre Programmatik. Vor dem Parteitag: ein Hin und Her. Ein Antrag zu Westerwelle wurde jetzt zurückgezogen.

Es ist angerichtet: Die Halle in der Messe Rostock, wo sich die FDP zu ihrem Parteitag trifft. Bild: dpa

ROSTOCK taz | Feigheit kann man Christian Lindner nicht vorwerfen. Wenige Tage vor der Wahl eines neuen FDP-Vorsitzenden hat der Generalsekretär die Frage aufgeworfen, die sich angesichts des Niedergangs seiner Partei viele Beobachter stellen: "Wozu Liberalismus?" Unter dieser Überschrift skizzierte Lindner in einem Gastbeitrag für die FAZ, was jene Partei, die sich als Hüterin des Liberalismus darstellt, eigentlich noch will. Oder genauer, warum sie noch jemand wählen soll.

Obwohl die FDP mittlerweile 63 Jahre alt ist, greift Lindner auf kein einziges identitätsbildendes Ereignis der Parteigeschichte zurück. Stattdessen muss Adam Smith, der Erfinder der Theorie von der "unsichtbaren Hand des Marktes" zur Begründung des Liberalismus her halten. Smith war Schotte und starb 1790.

Das Dilemma der FDP: Seit den achtziger Jahren verkümmerte ihre Programmatik zusehends, bis nur noch die blanke Forderung "Mehr Netto vom Brutto" übrig blieb. Als diese uneingelöst blieb, demontierte die Partei ihren allgegenwärtigen Vorsitzenden. Nun hat die Partei nicht nur kein Thema, sonder auch kein Image. Die FDP ist ratlos.

Die FDP will an diesem Freitag den neuen Wirtschaftsminister Philipp Rösler zum Parteivorsitzenden wählen. Dazu kommen die Liberalen zu einem dreitägigen Bundesparteitag in Rostock zusammen. Der 38-jährige Rösler löst Guido Westerwelle ab, der nach fast zehn Jahren nicht mehr für die FDP-Spitze kandidiert.

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Die rund 600 Delegierten stimmen auch über Röslers neue Führungsmannschaft ab, mit der er die Liberalen aus der Krise holen will. Als neuer Vize soll neben der früheren Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auch Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow in die Parteispitze aufrücken. Nach den Wahlen will Rösler am Samstag in einer Grundsatzrede den künftigen Kurs der FDP abstecken. Inhaltlich wird der Parteitag die Positionen der FDP zur Energiewende, zur Euro-Stabilität und zur Bildungspolitik festlegen.

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Für großen Ärger im Vorfeld des Parteitags hatte ein Vorstoß des Berliners Martin Lindner gesorgt. Lindner hatte eine geheime Abstimmung über den Verbleib Westerwelles im Amt des Außenministers beantragt. Nach Bekanntwerden von Martin Lindners Westerwelle-Antrag hatten andere FDP-Politiker dem Berliner Wirtschaftspolitiker damit gedroht, dass er seinen Posten als Stellvertreter von Fraktionschef Rainer Brüderle gleich wieder verlieren könnte, wenn er den Antrag aufrecht erhalte. Nach einem Gespräch mit Brüderle ließ Lindner den Vorstoß fallen.

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Trotz des personellen Umbaus kommt die FDP laut einer Umfrage für das ARD-Morgenmagazin aus dem Stimmungstief nicht heraus. 61 Prozent der Deutschen sind demnach der Meinung, dass mit der FDP verlässliche Politik nicht mehr möglich sei. 86 Prozent glauben, dass die Partei sich mehr mit sich selbst beschäftigt anstatt mit den Problemen Deutschlands. Nur 30 Prozent sehen die FDP mit dem designierten Vorsitzenden Rösler auf dem richtigen Weg. (dpa)

Bei der Suche nach Inhalten wird Lindner fündig beim Datenschutz. Doch dieses Thema haben schon die Grünen besetzt. Die Förderung frühkindlicher Bildungsangebote erklärt der Generalsekretär mit der "Stärkung von Persönlichkeiten". Doch mit unterschiedlichen Begründungen plädieren inzwischen alle Parteien für mehr Geld für die Kleinsten. Die FDP kommt zu spät.

Keine Antworten

Diese tiefe Ratlosigkeit hat viele Gründe. Auf die Frage, was Liberalismus in Deutschland ausmacht und wofür er streiten soll, hat die FDP nie eine Antwort gefunden. Das Problem der Partei ist älter als sie selbst.

Ihre Vorgänger bieten der FDP bei ihrer Sinnsuche auch keine Orientierung. In der Weimarer Republik rückte die national-liberale Deutsche Volkspartei (DVP) nach dem Tod ihres Vordenkers Gustav Stresemann nach rechts und versuchte noch kurz vor ihrem Ende, sich bei den Nazis anzubiedern. Die linksliberale Deutsche Staatspartei (DStP) bestand nur drei Jahre und war bei ihrem Ende 1933 nur noch mit fünf Abgeordneten im Reichstag vertreten. Sie stimmten für das "Ermächtigungsgesetz" Hitlers.

Eher braun als schwarz-rot-gold gefärbt

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Partei von unten nach oben. Erst drei Jahre nach dem Zusammenbruch fanden ihre regional unterschiedlichen Teile in der Freien Demokratischen Partei zusammen. Die Frage der deutschen Einheit beschäftigte auch sie. "Im Unterschied zur SPD jedoch war die nationale Ausrichtung der FDP in einigen Regionen jedoch mehr braun als schwarz-rot-gold gefärbt." So schreibt es der Potsdamer Politologe Jürgen Dittberner, selbst Parteimitglied, in seiner Chronik "Die FDP".

In ihren ersten Jahrzehnten verstand sich die Partei im Kontrast zum Koalitionspartner CDU/CSU als Garantin der Trennung von Staat und Kirche. Doch deren Einfluss ist geschwunden, und heute fordern nicht einmal mehr die Jungen Liberalen, dass der Gottesbezug in der Präambel Grundgesetz gestrichen werden müsse.

Liberale Themen nicht glaubhaft besetzt

Wenn heute von einer Rückkehr der FDP zu ihren Wurzeln die Rede ist, dann sind damit zumeist die Jahre von 1969 bis 1982 gemeint. Während der Koalition mit der SPD gewann das erste und bisher letzte Mal der sozialliberale Flügel die Oberhand. Ostpolitik, Reformen in den Bereichen Bildung, Familien- und Strafrecht sowie betrieblicher Mitbestimmung veränderten die Bundesrepublik.

Dreißig Jahre später gibt es kaum jemanden in der Partei, der diese Themen glaubhaft besetzen könnte. Zudem ist der Bürgerrechtspartei FDP auf diesen Feldern mit den Grünen längst ein mächtiger Konkurrent erwachsen.

So bleibt das alte und neue Feld - der Markt, dessen "überlegene Weisheit" Christian Lindner noch heute lobt. Diese Weisheit vergisst seine Partei, sobald es um die Interessen der Stammwähler geht. Zu den ersten Maßnahmen nach ihrem Regierungsantritt 2009 zählte es, niedergelassene Ärzte vor unliebsamer Konkurrenz durch Medizinische Versorgungszentren zu schützen. Apotheker bewahrte sie vor den Segnungen des Marktes, indem sie den Versandhandel mit Medikamenten stark erschwerte. Steuerberater erhielten ebenso Steuererleichterungen wie Firmenerben und Hoteliers.

Wenn der neue Parteichef am Samstag mit einer programmatischen Rede vor die rund 600 Delegierten tritt, wird er den Druck spüren, der auf seiner Partei lastet. Seine Parteifreunde werden ihm zujubeln. Aber die Frage, wozu Deutschland die FDP noch braucht, wird Philipp Röslers Amtszeit prägen. Nur, wenn er darauf eine zeitgemäße Antwort findet, hat seine Partei noch eine Zukunft.

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