Die Parteien zur Wahl: Was wollen die denn alle?

WAHL Die große Frage ist schon beantwortet: Klaus Wowereit bleibt im Amt. Jetzt geht es nur noch um die Stärke der jeweiligen Parteipositionen in den kommenden fünf Jahren. Ein Überblick über das Angebot.

Buntes Angebot Bild: dpa

Der Spagat zwischen bezahlbaren Mieten und einer Autobahn für die Wirtschaft

In den Feuilletons ist derzeit ein Lobgesang auf Berlin nach dem andern zu lesen. Tenor: Es sind die billigen Mieten und die Freiräume, die die Stadt so attraktiv machen - aber auch so anfällig für Kostenexplosion und Verdrängung. Auch in den weniger elaborierten Wahlprogrammen ist das Thema angekommen, wenn auch sehr unterschiedlich.

In die Mühen der Ebene geht lediglich die Linke. Sie schlägt einen ganzen Strauß an Instrumenten (Verbot von Zweckentfremdung, Umstrukturierungssatzung) vor, das Leben in Berlin bezahlbar zu halten. Nach zehn Jahren Regierungsbeteiligung klingt freilich vieles unglaubwürdig. Die SPD hingegen verzichtet fast gänzlich aufs Detail. Wenn Klaus Wowereit Berlin versteht, soll wohl die Botschaft lauten, kann man ihm vertrauen. Die Grünen landen irgendwo im Mittelfeld. Die Konjunktur des Themas Mieten bekommt auch die Stadtentwicklung zu spüren, die unter "ferner liefen" rangiert. Grüne und Linke wollen das Rathausforum nicht bebauen und auf dem Flughafen Tempelhof nichts überstürzen. Für die SPD ist Stadtentwicklung dagegen längst Teil der Wirtschaftspolitik - siehe A 100. Keine guten Aussichten also für Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. So sie denn weitermachen darf. WERA

Wenige konkrete Antworten und mehr Personal für die Pflege

Schon mal den Wahl-O-Mat durchgespielt? Für Verfechter sozialer Gerechtigkeit ist da nicht viel zu holen. Gerade mal zwei der 38 Thesen stellen originäre Sozialthemen zur Disposition. Wie aber stehen die Parteien zu Fragen des würdevollen Alterns und der per UN-Konvention eingeforderten gesellschaftlichen Teilhabe von Behinderten? Wer hat ein Konzept gegen die Armut von 180.000 Berliner Kindern?

Die Programme geben nur halbwegs konkrete Antworten: Grüne, Linke und SPD versprechen mehr Personal für den Pflegebereich und setzen sich für den Ausbau des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Behinderung ein. Linke und Grüne wollen kostenlose Freizeit- und Bildungsangebote auf Kinder von Familien ausweiten, deren Einkommen knapp über Hartz IV liegt. Ihr Vorzeigeprojekt öffentlich geförderter Beschäftigungssektor (ÖBS), mit dem gemeinnützige Jobs für Langzeitarbeitslose finanziert werden, will die Linke natürlich erhalten. SPD und Grüne vermeiden das Reizwort ÖBS und kleiden reichlich abstrakte Aussagen stattdessen in andere schöne Worte. Das hat Ihnen bei der Wahlentscheidung nicht geholfen? Wie gesagt: Soziale Gerechtigkeit ist bedauerlicherweise kein Wahlkampfthema. MAH

Die längst geschlagenen Schlachten und die eingeschlafenen Füße

In ihrem Leitbild einer transparenten, bürgernahen Großstadtpolizei sind sich die drei linken Parteien ziemlich einig. Kontroversen kommen auch kaum auf, weil die großen Schlachten in der Innenpolitik von Rot-Rot seit 2002 geschlagen worden sind: Der Polizeiapparat ist verschlankt. Unnötiger Ballast wie Reiterstaffel, Polizeiorchester und Freiwillige Polizeireserve sind abgeworfen. Sogar die Kennzeichnungspflicht für Polizisten ist eingeführt.

Wenn es Unterschiede in den Wahlprogrammen von SPD, Linken und Grünen gibt, dann sind diese marginal: Die Grünen wollen einen unabhängigen Polizeibeauftragten als Beschwerdestelle einrichten. Bei den Linken heißt das unabhängige Untersuchungsinstanz zur Überprüfung von Polizeiübergriffen. Die SPD will keins von beidem.

Von den Konservativen hätte man erwartet, dass sie sich als Law-and-Order-Partei zu profilieren suchen. Nix da. Allgemeinplatz reiht sich an Allgemeinplatz. Konkret wird es nur bei den 250 Polizisten, die die CDU zusätzlich einzustellen verspricht - käme sie an die Macht. Zur Videoüberwachung heißt es lapidar: "Muss ausgeweitet werden". Selbst zu den Autobrandstiftungen - immerhin der Wahlkampfhit von Frank Henkel - fällt den Schwarzen nur die Forderung ein: "Autonome Gewalttäter müssen mit aller Härte verfolgt und bestraft werden". Da schlafen einem ja die Füße ein. PLU

Mehr Geld für die Schulen als Konsens und die Privatisierungsideen der FDP

Mehr Geld für Bildung, mehr Lehrer, Instandsetzung maroder Schulgebäude, gemeinsames Lernen bei individueller Förderung, bedarfsgerechtes Platzangebot bei Kitaplätzen und gute Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern: Hier unterscheiden sich die Wahlprogramme von Grünen, Linken und SPD nur minimal. SPD-Bildungssenator Jürgen Zöllners Schulstrukturreform will keiner mehr rückgängig machen, und auch die von der rot-roten Koalition eingeführten kostenlosen drei Kita-Jahre wollen weder Grüne noch CDU noch FDP zurücknehmen.

Die CDU fordert ein klareres Profil für Sekundarschulen und das Ende der "systematischen Benachteiligung von Gymnasien". Klarer sind die Forderungen nach der Abschaffung des Losverfahrens bei der Vergabe von Oberschulplätzen und der finanziellen Gleichstellung der privaten Schulen. Wer eine ganz andere Bildungspolitik wünscht, muss FDP wählen. Bildung steht bei ihr nicht nur ganz weit vorne im Programm: Die Liberalen wollen Kitas wieder komplett in freie Trägerschaft übergeben. Privatschulen sollen finanziell besser gefördert und damit zu "entgeltfreien Bürgerschulen" werden, Schulen in öffentlicher Trägerschaft sollen in private übergehen. Schulen sollen über Budget, Profil und Personalentscheidungen selbst bestimmen. Bildungssenator wird trotzdem auf keinen Fall jemand von der FDP. AWI

Autobahnbau als Umweltschutz oder der differenzierte Umgang mit den Treibhausgasen

Am eindeutigsten in Sachen Umweltpolitik steht im Wahlprogramm der CDU: Auf dem Flughafen Tegel siedeln sich nach dessen Schließung Forschungseinrichtungen an, auf den Straßen fahren mehr Elektroautos. Und dann steht noch auf Seite 15: "Die Stadtautobahn A 100 wird auch als aktive Umweltschutzmaßnahme vom Autobahndreieck Neukölln bis zur Straße Am Treptower Park verlängert."

Wenig erstaunlich, dass allein die Grünen die Bandbreite der Umweltpolitik im Wahlprogramm ausschöpfen und von einem Ökosiegel für nachhaltigen Tourismus bis hin zu energetischer Sanierung bei Gebäuden so ziemlich alles reinschreiben, was irgendwie mit Umwelt zu tun hat. Offen bleibt, mit wem sie das durchsetzen wollen. Unterschiede gibt es beim Thema Energie: Soll Berlin 2050 nur noch 5 Prozent der 1990 verursachten Treibhausgase ausstoßen (Grüne), dürfen es 15 Prozent sein (Linke) oder gibt es gar kein konkretes Ziel (SPD)? Auch wie ein landeseigenes Stadtwerk, das sich alle drei wünschen, aussehen soll, wie ökologisch der dort produzierte Strom ist und ob in Berlin mehr als ein Windrad steht, hängt davon ab, welche Parteien regieren. Das mit der Ökohauptstadt bliebe dann für die übernächste Legislatur. SVE

Die existenziellen Fragen und das personelle Vakuum

Schlechte fünf Jahre waren es nicht, in denen Klaus Wowereit (SPD) auch die Kulturpolitik verantwortete. Besonders die kulturellen Leuchttürme, die großen Opern- und Theaterbühnen, die repräsentativen Museen und Gedenkstätten durften sich über mehr Geld und Glanz freuen. Trotzdem stellen sich nun existenzielle Fragen: Welche Rolle spielt die Szene, die aus Berlin das Kunst-Mekka gemacht hat? Wie wird sie finanziert? Können gefährdete Institutionen wie das Kunsthaus Tacheles oder die Fotogalerie c/o Berlin gesichert werden. Und welche Strategien muss eine Kulturverwaltung erarbeiten, um dem Negativ-Image der geplanten Kunsthalle, der Landesbibliothek und besonders des Kultur- beziehungsweise Humboldt-Forum eine Wendung zu geben?

Doch in den Parteien gibt es kaum jemanden, der profiliert genug wäre, diese Gewichte zu stemmen. Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) besitzt die größte Erfahrung, Akzente gesetzt in diesen Fragen hat er wenig. Die Linke hat keinen zweiten Thomas Flierl. Monika Grütters von der CDU bleibt im Bundestag. Und die Grünen? Seit der Ankündigung ihrer Kulturexpertin Alice Ströver, sich aus der Politik zu verabschieden, tut sich ein Vakuum in der Partei auf. ROLA

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