Die SPD und die Gerechtigkeit: Bitte keine Almosen!

Ob Kurt Beck sich für seine kuschelige Sozialpolitik nun Gefolgschaft in seiner Partei organisiert oder nicht: Ungeklärt bleibt bei den Genossen die Frage, was genau Gerechtigkeit eigentlich ist

Was ist gerecht? Auch für Sozialdemokraten wie Kurt Beck eine schwierige, immer wiederkehrende Frage. Bild: dpa

Das konnten Kurt Beck, Franz Müntefering, Andrea Nahles, Hubertus Heil, Peer Steinbrück und Klaus Wowereit gestern in der Bild am Sonntag lesen: dass man ihnen, sozialdemokratischem Spitzenpersonal, mehrheitlich den Sinn für Fragen der Gerechtigkeit abspricht. Nach einer Umfrage steht der SPD-Parteichef nur bei 46 Prozent für soziale Gerechtigkeit; seines Kontrahenten Werte lagen sogar dahinter: Der Vizekanzler erntete bei nur 43 Prozent der vom Emnid-Institut Ausgehorchten die Antwort, er stünde für sozialen Ausgleich und andere Wohltaten, die den Alltag erträglicher machen.

Ungefragt aber blieb, was überhaupt Gerechtigkeit sei. DGB-Chef Michael Sommer gab nun zu Protokoll: "Ein Land ist sozial gerecht, wenn es Arbeit für alle mit existenzsichernden Löhnen schafft. Es muss Armut ebenso für Kinder wie für Erwerbslose und Rentner verhindern, Verteilungsgerechtigkeit organisieren und eine optimale Gesundheitsversorgung für alle Bürger anbieten." Ein wohlfeiles rhetorisches Mittelgebirge - denn aus der Perspektive der meisten Osteuropäer, wie der tschechische EU-Sozialkommissar Vladimír Ðpidla mitteilte, ist in Deutschland diese Art der Gerechtigkeit längst gültig. Jenseits der deutschen Ostgrenze kommen Arbeitslose nicht einmal in den Genuss eines Hartz-IV-Grundeinkommens, auch muss, beispielsweise, in Polen, in den baltischen Ländern oder der Slowakei jene Art von fest gewebter ärztlicher Notfallversorgung vermisst werden, die alle Deutschen in Anspruch nehmen können.

Was aber in Wahrheit hinter den sozialdemokratischen Hadereien steckt, ist eben ein uralter Streit um das, was unter Gerechtigkeit verstanden werden kann. Ureltern der Partei wie August Bebel, Eduard Bernstein, später Erich Ollenhauer, Kurt Schumacher oder Willy Brandt verstanden darunter nicht in erster Linie die Alimentation von Erwerbslosen mit staatlichen Geldern, sondern die Finanzierung von Strukturen, die es den Proleten ermöglicht, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen: eine gute Schulversorgung, einen Gesundheitsbereich, der die Risiken des Leben minimiert sowie - später - eine Versorgung der Alten, die nicht mehr darauf setzt, als Nichtmehrerwerbstätige zu darben. Mehr stand auf deren Agenden nicht, jedenfalls nicht die biblisch anmutende Paradieshaftigkeit, dass es allen gehe wie im Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließen. Das war das Vorrecht von Kommunisten, die einen Sozialismus versprachen, in dem unabhängig von persönlichen Leistungen jeder irgendwie alles bekommt. Und: Die Almosenfinanzierung war viel eher die Domäne von christlich gewirkter Sozialpolitik.

Der Zwist zwischen Müntefering und Beck geht also nicht allein im Eitelkeiten, sondern um Grundsätzliches: Der amtierende Parteichef bangt vor Einfluss der Linkspartei zu Lasten der SPD - und verspricht alle möglichen guten Dinge. Müntefering hingegen setzt auf Hartz IV in seiner, einer linken Öffentlichkeit zufolge, kalten Ausprägung. Das Quasimindesteinkommen, das Hartz IV ja ist, darf nicht höher liegen als das schlechteste Gehalt von geringqualifiziert Beschäftigten. Der Staat habe sein Geld in die Strukturen zu stecken, welche den Kindern vor allem einen Aufstieg ermöglichen können: in Schulen beispielsweise. Alte Sozialdemokraten finden es brüsk erniedrigend, ein System zu begünstigen, das nicht ermutigt oder zwingt (je nach Lesart), Arbeit anzunehmen. Sozialdemokratie war einst niemals ein Wohlfahrtsbegünstigungsunternehmen um jeden Preis. Wichtiger waren die gesellschaftlichen Satelliten. Mildtätigkeit in der heute geläufigen Form war in den frühen Jahren der Bundesrepublik eine Haltung, die man nur Mündeln oder zu Entmündigenden entgegenbringen wollte.

Die Widersprüche zwischen Beck (und Nahles wie Heil) und Müntefering (und Steinbrück wie Platzeck) ziehen sich durch die ganze Partei: In der einen Ecke murmelt es gegen Hartz-IV-Empfänger, die sich nicht mühen; in der anderen raunt es gegen das Kapital als solches, das gern als heuschreckenhaft dargestellt wird. Als es noch um Hedgefonds ging, war es Müntefering, der die Klaviatur der sozialen Wärme mild anzuschlagen wusste.

Während Müntefering konsequent fördern wie fordern will, möchte Beck handstreichartig die Sozialdemokratie anschmusen, weil die Partei selbst kaum noch Erinnerung hat an echte Lasten ihrer Kundschaft - und an wahre Leidenschaft, lieber billig arbeiten zu gehen, als in arbeitsloser Anspruchshaltung zu verharren.

Die Frage der Gerechtigkeit kann niemals beantwortet worden, sie stellt sich aus jeder Perspektive anders. Westerwelle definiert sie anders als Jürgen Rüttgers und Gregor Gysi noch ganz anders als Reinhard Bütikofer. Müntefering wird verlieren. Das ist keine gute Nachricht für die SPD. Beck gibt Lafontaine und den Seinen Zucker. Zwischen christdemokratischen Almosenofferten und traditionslinken Ideenangeboten der paradiesischen Verheißung wird die Partei zermahlen.

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