Die Unsichtbarkeit des älteren Mannes: Hotness zur Aushilfe

Männer machen Männern keine Komplimente? Stimmt so nicht – aber leicht fällt es ihnen auch nicht. Und wie alles legt sich auch das im Alter.

Eine Hand macht ein Victory-Zeichen und spiegelt

„Gegen die Nacht können wir nicht ankämpfen, aber wir können ein Licht anzünden.“ Foto: Rika Rahayu/EyeEm/getty images

Hot und hysterisch zur Aushilfe – eine Vertretung für die verehrte, leider derzeit verhinderte Kollegin Lou Zucker sollte einen provisorischen Charakter haben, ein eben ganz anderes Ich etablieren. Auch ich, sage ich also, war mal hot; aber es ist ein bisschen her.

Im Herbst 1989 radelte ich von Verona nach Triest und landete eines Abends in einem im Nebel verlorenen Städtchen. Dort gab es eine Art Hostel in alten Gemäuern. Ein Bett im Dormitorium war noch frei, der Rest war belegt von einer schwulen Radlergruppe aus Kalifornien.

Sie luden mich zu ihrem Abendessen, sie waren nett und lustig und sehr angetan vom gerade sich vollziehenden Zusammenbruch des realen Sozialismus. Ich ging mal eine rauchen. Von draußen hörte ich, wie sie sich über mich austauschten („he is so beautiful“), und war angenehm überrascht – das hatte noch nie jemand über mich gesagt.

Und auch später, fällt mir beim Nachdenken über diese Episode ein, waren es die insgesamt seltenen Male, dass ich Komplimente bekam (es war eine andere Zeit!), meist Männer, die mein Aussehen positiv kommentierten, bis sich mit dem Alter auch das erledigte. Als ich dann vor ein paar Jahren zu einem Fest mit alten Theaterkollegen fuhr, schrieb eine Freundin einen Artikel darüber und hielt zu mir im Wesentlichen fest, dass ich ganz schön moppelig geworden sei.

Eine Maxime

So wird alles immer anders, heute erfreue ich mich an der Schönheit meiner Kinder und akzeptiere für mich als älteren Mann, was von meinen Altersgenossinnen als die „Unsichtbarkeit der älteren Frau“ mal konstatiert, mal beklagt wird. Nicht, dass ich nicht manchmal erschrecken würde, wenn ich in den Spiegel schaue; aber wenn ich es als Maxime formulieren wollte, würde ich sagen: Wer mal gut dagestanden hat, der verfällt auch besser. Und vielleicht deswegen habe ich immer gut verstanden, warum Frauen den Spruch: „Du bist so wunderschön“, abturnend fanden, zumindest die Frauen, die mich interessierten.

Die Komplimente der Männer meine frühere Hotness betreffend waren übrigens selten Anmache; sie kamen von Heteromännern, aus denen eine gewisse spontane Verunsicherung hervorschoss – so als ich einmal von einem La-Palma-Urlaub zu einer Lesung ins winterliche Berlin zurückkehrte und der Veranstalter es irgendwie nicht glauben mochte, dass man Anfang Januar gut aussehen konnte. Er war eben ein Deutscher. Denn in Italien wurde ich durchaus „bellezza“ genannt, wobei da neben dem puren Gefallen an der Schönheit des Anderen immer schon das katholisch-rationale memento mori mitschwingt.

Eigentlich habe ich zum Schluss ein anderes Zitat gesucht, aber dann das gefunden, von Franz von Assisi: „Gegen die Nacht können wir nicht ankämpfen, aber wir können ein Licht anzünden.“ Deswegen habe ich, seit ich 50 geworden bin, ein Regal voller Pflegeprodukte im Bad. Weil man ja weiterhin eine Freude sein will – insbesondere für sein Gegenüber.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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