Die Verständnisfrage: Macht die Türen breiter!

Warum drängelt ihr euch in die U-Bahn?, fragt eine Leserin. Das hat immer etwas mit Mangel zu tun, antwortet ein Physiker.

Gedränge auf dem Bahnsteig des U-Bahnhofs Friedrichstrasse in Berlin

Manchmal ist Drängeln aber auch sinnvoll Foto: Schöning/imago

In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine Person, die antwortet.

Pädagogin, 32, aus Stuttgart fragt:

Liebe Drängler:innen, warum wartet ihr nicht, bis alle aus der U-Bahn ausgestiegen sind, bevor ihr selbst einsteigt?

***

Armin Seyfried, 56, Physiker aus Jülich antwortet:

Wir haben für ein Forschungsprojekt jeweils 200 Versuchspersonen an einen nachgebauten Bahnsteig gestellt, um das Gedränge zu simulieren. Dabei haben wir auch den Herzschlag und das Stresslevel der Menschen erfasst. Drängeln hat letztlich immer etwas mit Mangel zu tun. Meist geht es um eine Ressource, die knapp ist. Im Fall von U-Bahnen sind das vielleicht Sitzplätze oder überhaupt Platz um mitzufahren. Solche Mangelsituationen rufen etwas Kompetitives in den Menschen hervor. Dann geht es auf einmal darum, wer sich am ehesten durchsetzt.

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass, je größer die Not in Bezug auf die mangelnde Ressource ist, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit für drängelndes Verhalten. Es könnte sein, dass alte Menschen besonders dringend einen Sitzplatz benötigen und deshalb drängeln. Oder Menschen mit Fahrrädern, weil die viel Platz brauchen. Dabei kommt es auch auf die Qualität des Verkehrsunternehmens an. Wenn ich mich darauf verlassen kann, dass in zehn Minuten die nächste Bahn kommt, bin ich viel entspannter, als wenn ich zwei Stunden warten muss.

Generell hängt das Verhalten in Warteschlangen stark von der Kultur und von der Infrastruktur ab. Als Beispiel kann man sich Japan anschauen. Dort gibt es eine Infrastruktur zum Anstehen: Die Orte, wo sich Türen befinden und man anstehen soll, sind auf dem Boden markiert. Zudem hatten die Ja­pa­ne­r:in­nen schon Zeit, sich an dieses System zu gewöhnen. Es haben sich soziale Regeln etabliert und es herrscht ein anderes Gefühl für Fairness in diesen Situationen.

Das wäre in Deutschland gar nicht so leicht umsetzbar, weil innerhalb von Verkehrsunternehmen oft unterschiedliche Wagen eingesetzt werden, die nur begrenzt standardisiert sind. Die Menschen müssten sich zudem an neue Regeln gewöhnen. Man muss erst lernen, dass das, wie bei anderen Verkehrsregeln auch, letztlich dazu führt, dass alles besser läuft.

Manchmal ist Drängeln aber auch sinnvoll. Wenn die Türen der U-Bahn breit genug sind, ist es physikalisch sogar von Vorteil, wenn gleichzeitig ein- und ausgestiegen wird. Als Physiker analysieren wir zum Beispiel die Dichte, den Fluss oder die Gehgeschwindigkeit der Menschen. Das alles spielt eine Rolle für die Sicherheit des Systems. Manchmal ist es effizienter, wenn Menschen sich beeilen. Wenn die Türen sehr schmal sind, kommt es dagegen leicht zu Verstopfungen.

Größere Türen mit Markierungen zum Ein- und Aussteigen wären also eine Lösung. Eine andere Möglichkeit wären Füllstandsanzeiger für die einzelnen Waggons des nächsten Zuges. Dann könnten sich die Menschen besser am Bahnsteig verteilen und Konflikte vermieden werden.

Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.