Die Wahrheit: Der Realist

Wenn Herr Möhlmann doch nur wüsse, was ihm hielfe, er überwände ganz sicher sämtliche Hindernisse.

Verdrösse ihn nicht sein Beruf, Herr Möhlmann genösse sein Leben. Wäre er Bauer, mit Freuden mölke er die Kuh, drösche das Korn, das auf seinen Äckern sprösse, und die Scheuer bärste vor eingebrachtem Getreide. Selbst wenn es nach Landluft röche – ihm stänke ein Dasein als Bauer nicht.

Oder wäre Herr Möhlmann Schäfer, wie gern schöre er seine Schafe und schösse den Wolf, der sonst seine Tiere fräße! Herr Möhlmann priese sich auch glücklich, wäre er Bäcker. Der Teig quölle unter seinen Händen, und er büke Brot und Kuchen in einer großen, nicht endenden Lust!

Oder als Koch im eigenen Restaurant! Da lüde er täglich zu Tisch, der sich unter der Last der Speisen böge; er sötte das beste Fleisch, führe die besten Weine auf, und die Gäste äßen und tränken bis zum Abwinken.

Oder sogar General! Er schlüge jeden Feind aus dem Feld, kniffe vor keinem und flöhe nie, sondern beföhle stets den siegreichen Vormarsch. Er beschiede sich auch mit dem Rang eines Gefreiten, kröche durchs unwegsame Unterholz und schräke vor keinem Unternehmen zurück, selbst wenn es wie aus Kübeln gösse oder ihm in Eis und Schnee die Zehen abfrören!

Die Flamme der Begeisterung glömme ebenso in ihm, wäre er Sportler und mäße sich mit Rivalen aus der ganzen Welt. Er schünde sich um des Erfolges willen, dass der Schweiß tröffe, ränge als Ringer jeden nieder und würfe sie auf die Matte, als Schwimmer schwämme er schneller als ein Fisch, als Rennfahrer stöbe er allen auf und davon. Kurzum, er überwände sämtliche Konkurrenten, gewönne alle Titel und erwürbe unsterblichen Ruhm, sodass man ihm einen Siegeskranz nach dem andern flöchte und ihn zum Sportler des Jahrtausends köre.

Ihm verdürbe es auch nicht die Laune, wenn er bloß ein Weber wäre, im Gegenteil! Vom Morgen bis zum Abend, erquickend und labend, spönne und wöbe er.

Oder er wüsche als Wäscher die Wäsche weißer als weiß, wränge sie, bis kein Tropfen herausflösse, und bliche sie in der Sonne auf der Trockenwiese. Nichts föchte ihn auch an, wenn er Brauer wäre, denn seine Maische göre gewiss am besten! Hinwieder als Diamantschleifer schliffe er halt Diamanten und würde reich … oder er flöge als Pilot mit seinem Passagierflugzeug die großen Städte der Welt an!

Andererseits pfiffe er auf Ruhm, Geld und ferne Länder, schmölze er in Liebe zu einer Frau dahin. Nie schriee er sie an oder schnöbe vor Wut. Und am allerwenigsten schölte er seine Kinder aus. Deshalb sängen sie ja später alle ein Loblied auf ihn als vorbildlichen Vater!

Was gäbe es alles für Möglichkeiten, wenn Herr Möhlmann nicht Herr Möhlmann wäre! Als Tenor schölle seine Stimme durch alle Opernhäuser der Welt. Als Schriftsteller schriebe er fantasievolle Romane, erklömme den Gipfel des Parnass und gewänne sogar den Nobelpreis. Nie aber grübe er aus Neid einem Kollegen eine Grube, sondern bewöge allein durch seine Meisterwerke die Menschheit, edel, hilfreich und gut zu werden.

Als Literaturkritiker dagegen verschlänge er jede Neuerscheinung und empföhle ausschließlich künstlerisch wertvollen Lesestoff.

Ja, Herrn Möhlmann gelänge alles. Sogar als Pfarrer! Da schiede er mit leichter Hand die Böcke von den Schafen, und gesetzt, er wäre sogar Gott, so erschüfe er glatt eine neue, bessere Welt. Nichtsdestoweniger bliebe er bescheiden – niemals schwölle ihm ob seiner Allmacht der Kamm!

Oder er ergriffe, mehr praktisch gedacht, den Arztberuf: Bei ihm genäsen alle Kranken, und wenn er sich selbst dabei verschlisse. Vielleicht betriebe er auch medizinische Forschung und fände ein Wundermittel, sodass Blutern fortan das Blut geränne. Tierversuche aber verböte er.

Wenn es anders nicht ginge, schisse er aber auf Recht und Gesetz. Ha, was er für Verbrechen verbräche, wie viel er stähle, wie er die Leute betröge und Millionen verschöbe, wobei er selbstverständlich mit der korrupten Polizei unter einer Decke stäke! Wie er als Auftragskiller die Leute abstäche, dass das Blut tröffe! Er ersänne das perfekte Verbrechen, und käme er dennoch vor Gericht, er gestände nie, löge das Blaue vom Himmel herunter, schwöre Meineide und spiee Gift und Galle gegen die Zeugen.

Ja, Herr Möhlmann söge Honig aus jedem Beruf! Aber er war kein Bauer, kein Bäcker, kein Sportler, nichts von alledem. Er konnte sich nichts anderes vorstellen, als was er tatsächlich machte, denn er war knochentrockener Realist und deshalb Politiker geworden. Man spänne doch, höbe man vom Boden der Tatsachen ab!

Aber nein, Herr Möhlmann kannte ausschließlich klare Fakten, Sachzwänge, alternativlose Entscheidungen und den Indikativ. Ach, wenn ihm doch jemand auf die Sprünge hülfe, vielleicht auch hälfe, notfalls hielfe oder sogar hölfe!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.