Digitale Überwachung der Ostsee: Umweltzustand in Echtzeit

Der Ostsee geht es schlecht. Forschende des Kieler Geomar und der Kieler Uni überwachen ihren Zustand künftig mithilfe von künstlicher Intelligenz.

Der Himmel spiegelt sich auf der Ostsee in der Eckernförder Bucht.

Die Eckernförder Bucht: schon länger observiert und deshalb der Ort, an dem das Projekt Insyst startet Foto: dpa | Marcus Brandt

RENDSBURG taz | Die Ostsee mit ihrem flachen Wasser, dicht besiedelten Ufern und starkem Schiffsverkehr leidet besonders unter der Klimaerwärmung: „Das Brackwassermeer Ostsee erwärmt sich schneller als jedes andere“, heißt es in einer Stellungnahme des Naturschutzbundes Nabu. „Das Ökosystem kippt“, warnt auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Das heißt: Wäre das Meer eine Person, gehörte sie auf eine Intensivstation. Eine Behandlung der Patientin – etwa Fischereiverbote oder mehr geschützte Zonen durch den Status als Nationalpark – wird seit Jahren diskutiert, ist aber bislang nicht in Sicht.

Zumindest eine genaue Überwachung soll die Schwerkranke nun erhalten. Forschende des Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) setzen dafür auf ein gemeinsames Projekt namens Insyst. Die Abkürzung steht für „Intelligentes System“. Es soll helfen, die Küstengewässer der Ostsee, wo sich die Probleme besonders stark zeigen, mithilfe künstlicher Intelligenz zu überwachen.

Für das Pilotprojekt hat das Team die Eckernförder Bucht ausgewählt. Kein Zufall, erklärt Projektleiterin Helmke Hepach. Denn am Ausgang der Bucht, am Boknis Eck, werden seit 1957 regelmäßig Proben genommen. Die Messung zählt nach Mitteilung des Geomar zu den ältesten Zeitreihen dieser Art weltweit, bei denen kontinuierlich physikalische, chemische und biologische Parameter erfasst werden.

Die Forschenden wollen in der Eckernförder Bucht ein Unterwasser-Observatorium aufbauen

Interessant für die Forschenden sind Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoff und Methankonzentrationen. Allerdings finden bisher vor allem sogenannte „diskrete“ Messungen statt, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung von Geomar und CAU. Gemeint ist, dass von einem Schiff aus Wasserproben genommen und anschließend zur Auswertung ins Labor gebracht werden. Das Problem: Die Ergebnisse liegen erst nach Tagen oder gar Monaten vor.

2016 hat das Geomar ein Observatorium am Meeresboden aufgebaut. Der Bocknis-Eck-Knoten sammelte automatisch Daten und schickte sie per Kabel an die Oberfläche. Allerdings verschwanden 2019 die beiden etwa schreibtischgroßen Kästen, die das Observatorium bilden, spurlos. Im Februar 2020 fand ein Wracksuch- und Forschungsschiff des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie eines der Gestelle wieder, es lag rund 200 Meter vom ursprünglichen Standort entfernt.

Wie es dorthin kam, bleibt unklar. Aber nun wollen Hepach und ihr Team für Insyst ein neues Unterwasser-Observatorium aufbauen. Dessen Daten fließen beständig in ein Computermodell der Ostsee ein, das dann die physikalischen Parameter in der Eckernförder Bucht abbildet. Hinzu kommen Daten aus anderen Quellen, die bisher einzeln erfasst und erst allmählich zusammengebracht wurden. Die KI soll sie sofort verknüpfen und auswerten. Damit entsteht im Computer ein Profil des Meeres, mit dem sich der „Umweltzustand künftig annähernd in Echtzeit erfassen“ lasse, versprechen die Forschenden.

„Herkömmliche statistische Verfahren können diesen großen Datenmengen nicht mehr gerecht werden“, sagt Olaf Landsiedel, Professor an der technischen Fakultät der CAU und im Projekt für die KI-Methodik zuständig. Und je mehr Daten, desto genauer werde das Ergebnis, so Landsiedel. Auf Grundlage der echten Werte können die Forschenden am Rechner hypothetische Szenarien durchspielen und testen, welche Maßnahmen helfen, um die Bedingungen für die bedrohte Tier- und Pflanzenwelt zu verbessern.

Bereits heute finden sich in der Ostsee „Todeszonen“, in denen kein Leben mehr möglich ist. Sie entstehen durch Überdüngung, die zu einer überproportionalen Algenblüte führen. Wenn sie sich zersetzen, verbrauchen sie Sauerstoff, der dann am Meeresgrund fehlt. Immer noch gelangten jährlich mehr als 825.000 Tonnen Stickstoff, das entspricht etwa 44.000 LKW-Ladungen zusätzlicher Nährstoffe, in die Ostsee, schreibt der Nabu, der vor weiterer Überdüngung und ihren Folgen, der sogenannten Eutrophie, warnt.

Datensammlung via App

Wenn Insyst läuft, werden die Forschenden zumindest genau wissen, wie der Status des Meeres ist. Die gesammelten Daten sollen allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden, dazu werde noch eine Kommunika­tionsplattform entwickelt, kündigen Geomar und CAU an. Zudem wird eine App erstellt, über die sich andere Forschende oder Gruppen mit eigenen Beobachtungen an der Datensammlung beteiligen können.

Die schwarz-grüne schleswig-holsteinische Landesregierung fördert das Projekt mit 750.000 Euro, die aus der KI-Strategie des Landes stammen. Bei der Übergabe der Fördermittel erinnerte Digitalisierungsminister Dirk Schrödter (CDU) an den Plan, Schleswig-Holstein zur „digitalen Vorzeigeregion“ zu machen. „Umweltschutz, Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind untrennbar miteinander verbunden“, sagte Schrödter.

Geomar-Direktorin Katja Matthes nennt das Projekt wegweisend: „Die Integration von künstlicher Intelligenz in Meeres-Monitoring-Konzepte bietet sich als vielversprechender Ansatz an, der jedoch bisher noch kaum genutzt wird.“ Das „Intelligente System“ aus Kiel könne einen Beitrag leisten, solche Methoden generell weiterzuentwickeln. Sie könnten in Zukunft „dabei helfen, unsere marinen Ökosysteme zu schützen und zu bewahren“, sagte Matthes bei der Übergabe des Förderbescheids.

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