Diskriminierung an Berlins Schulen: Schluss mit dem Hundegebell

In Berlin fand am Freitag das erste große Symposium über ethnische Diskriminierung an Schulen statt. Berichte von Ausgrenzungserfahrungen gab es zuhauf.

Hat sich was verändert? Schüler der Neuköllner Rütli-Schule im Jahr 2006. Bild: imago / Christian Schroth

BERLIN taz | 200 TeilnehmerInnen hatten sich angemeldet, doppelt so viele kamen: ein Hinweis auf die Relevanz des Themas, das am Freitag im Rathaus Schöneberg verhandelt wurde. „Diskriminierung an Berliner Schulen benennen: Von Rassismus zu Inklusion“, so der Titel der Veranstaltung, die in mehreren Podiumsdiskussionen und Workshops Formen von Diskriminierung und Benachteiligung sowie Beschwerde- und Klagemöglichkeiten dagegen behandelte. Auf den Podien und im Publikum vor allem LehrerInnen, Studierende, WissenschaftlerInnen, Eltern, VertreterInnen von Behörden und Antidiskriminierungsinitiativen – die Bandbreite an Diskriminierungserfahrungen und –praktiken sowie strukturellen Ausgrenzungsmechanismen in Institutionen, die so bei der ganztägigen Veranstaltung zusammengetragen wurde, war beeindruckend.

Dabei hatten die Bemühungen der mitveranstaltenden Open Society Justice Initiative (OSJI), Teil der weltweit aktiven New Yorker Menschenrechtsorganisation Open Society Foundation, die Debatte über Diskriminierung an Berlins Schulen anzustoßen, zunächst nur langsam Fahrt gewonnen. Lange habe man auf Nachfragen vor allem die Antwort bekommen: „Bei uns kein Problem“, erzählt am Rande der Tagung Maxim Ferschtman, Mitarbeiter der OSJI. Die Begründung: Es gäbe keine diesbezüglichen Gerichtsverfahren.

Warum das so ist – und warum es dennoch keineswegs die Nichtexistenz ethnischer Diskriminierung belegt, erläuterten auf der Tagung unter anderem der Berliner Rechtsanwalt Carsten Ilius, die Leiterin der Landesstelle für Gleichbehandlung, Eren Ünsal, und die Antidiskriminierungsberaterin Nuran Yigit: Es fehlt schlicht die gesetzliche Grundlage für SchülerInnen und Eltern, gegen Diskriminierung an Schulen juristisch vorzugehen.

Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auf dessen Grundlage die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung arbeitet, ermöglicht Klagen gegen Diskriminierungen durch Arbeitgeber oder andere Vertragspartner, nicht aber von Privatpersonen oder Verbänden gegen Behörden und Verwaltungseinrichtungen in ihrer Dienstleisterfunktion: eine „Schutzlücke“, die unbedingt geschlossen werden müsse, befand Nuran Yigit.

Der bislang einzig mögliche Rechtsweg – verwaltungsgerichtliche Klagen gegen konkrete Einzelentscheidungen von Schulen – werde von Eltern äußerst ungern beschritten, so Anwalt Ilius: „Sie haben Angst vor den Folgen einer solchen Klage für ihre Kinder.“ Denn die blieben in der Regel an den Schulen.

Erst kürzlich scheiterte Ilius mit dem bundesweit ersten Versuch einer solchen Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Eltern hatten die Nichtversetzung und den damit verbundenen Verweis ihrer Kinder vom Gymnasium als Folge von Diskriminierung angesehen. Die vier SchülerInnen, alle selbst aus Einwandererfamilien, waren in eine Klasse mit einem Migrantenanteil gekommen, der weit über dem anderer Klassen derselben Jahrgangsstufe an der Schule lag: eine diskriminierende und zu Nachteilen führende Aufteilung der SchülerInnen, fanden die Kläger und ihr Rechtsanwalt. Das Gericht mochte dieser Auffassung nicht folgen und wies die Klage ab.

„Die irrste Klage des Jahres“

Der Prozess hatte in Berlin für teils zynische Reaktionen und Medienberichterstattung gesorgt: Migrantenkinder klagen gegen zuviel Migrantenkinder - „die irrste Klage des Jahres!“ kommentierte der Bürgermeister des betroffenen Bezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), in der Bild-Zeitung.

Ethnische Segregation, also die ungleichmäßige Aufteilung von SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund auf Schulen oder innerhalb von Schulen auf verschiedene Klassen, war ein großes Thema der Veranstaltung. Dass die teils verzweifelten Anstrengungen mancher Schulen mit hohem Migrantenanteil, mehr „deutsche“ Kinder zu gewinnen, wieder zu Diskriminierung führt, fand Erwähnung: Denn es signalisiere denen, die da sind, dass sie die nicht erwünschten, eben „schlechte“ SchülerInnen seien, so eine Teilnehmerin. Ein strukturelles Problem, das sich aus der permanent wiederholten Beschreibung von migrantischen SchülerInnen als Bildungsversager ergibt – und bis dahin führt, dass gleiche Arbeiten schlechter bewertet werden, wenn sie unter einem türkischen statt deutschem Namen abgegeben werden, wie Forscher feststellten.

Ein zweites großes Thema: diskriminierende Äußerungen oder Verhaltensweisen von Lehrkräften gegenüber SchülerInnen – und die Schwierigkeiten, dagegen vorzugehen. „Hört auf mit dem Hundegebell!“: eine Lehrerin zu Schülern, die miteinander Kurdisch sprechen. Auf den Tafeln einer der das Symposium begleitenden Ausstellung, die Diskriminierungsfälle dokumentiert, erzählt ein Vater japanischer Herkunft, wie in der Schulklasse seiner Tochter das Lied von den „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ gesungen wird – und die Lehrerin dabei die Kinder auffordert, die Augenwinkel mit den Fingern nach oben zu ziehen, damit „das typische Schlitzaugengesicht“ entstehe.

Nachdem der Vater sich beim Schulleiter beschwert hat, wird die Tochter – ein Grundschulkind – vor der Klasse gefragt, ob sie das denn beleidigt hätte. Sanchita Basu von der Beratungsstelle für Rassismusopfer ReachOut erzählt, wie diese oft zu Problemverursachern gemacht werden: Eine Mutter, die über Diskriminierung ihrer Kinder klagt, gilt bei den Lehrern als „hysterisch“, einem Kind, das wegen wiederholter rassistischer Übergriffe häufig weint, wird der Besuch beim Schulpsychologen nahegelegt. Die Begründung des Schulleiters dafür, so Basu: Statt zu weinen, könne man sich doch in „zivilisierter Sprache“ unterhalten.

Aueinanderklaffende Erfahrungswelten

Wie weit die Erfahrungswelt von rassistischer Diskriminierung Betroffener und die Umgangspraxis der zuständigen Verwaltungen damit auseinanderklaffen, stellten deren Vertreter auf dem Symposium unter Beweis. Thomas Duveneck, Jurist in der Senatsverwaltung für Bildung, pries etwa die Qualitätsbeauftragte seiner Behörde als Anlaufstelle für Betroffene. Dass er und nicht diese selbst ihre Arbeit auf der Tagung vorstellte, hat allerdings einen nicht unerheblichen Grund: Diese laut Bildungsverwaltung „Ansprechpartnerin für Vorschläge zur Qualitätsentwicklung in Kita und Schule“ darf gar nicht offiziell für die Senatsverwaltung sprechen. Ihr Amt ist nur ein Ehrenamt – eine in der Verwaltung verankerte und mit entsprechenden Befugnissen ausgestattete Beschwerdestelle gibt es nicht.

Und Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) reihte sich beim Abschlusspodium der Tagung in den Chor der Zyniker ein, als er denjenigen, die Rassismus an Schulen abschaffen möchten, spöttisch „viel Spaß dabei“ wünschte: das sei unmöglich, Schule sei nun mal ebenso rassistisch wie die Gesellschaft selbst. Sein Lösungsvorschlag: einfach den Rassismusbegriff enger fassen. „Nicht jeder kulturelle Konflikt ist gleich Rassismus“, so Rackles.

Dabei ist Gleichbehandlung und Chancengerechtigkeit von Kindern das drängendste Thema der deutschen Bildungspolitik – auch in Berlin. Das hatte zu Anfang der Veranstaltung James Goldston, Direktor der OSJI, klar gemacht: Es war die PISA-Studie mit ihrem Ergebnis der Bildungsbenachteiligung von Einwandererkindern, die die Initiative bewogen hat, ihr Augenmerk auch auf Deutschland zu richten. Denn: Nicht nur Bildung ist Menschenrecht, so Goldston, sondern ebenso das Recht, nicht diskriminiert zu werden: „Deutschland verletzt durch diese Benachteiligungen deutsches und internationales Recht.“ Mit ganz realen Folgen für die Betroffenen: Sie haben schlechtere Zukunftschancen.

Unabhängige und dennoch mit den nötigen Befugnissen wie Akteneinsicht und Sanktionsmacht ausgestattete Beschwerdestellen am besten auf Bezirksebene war eine Forderung, die am Ende der Tagung stand. Eine weitere: die Verankerung des Themas in der Ausbildung von Lehrer- und ErzieherInnen, um Bewusstsein für Diskriminierung und Rassismus zu schaffen. Und ganz wichtig: eine juristische Grundlage für Antidiskriminierungsklagen.

In Berlin liegt ein entsprechender Gesetzentwurf übrigens seit 2011 vor: erarbeitet unter der damals rot-roten Landesregierung. Seit Rot-Schwarz die Stadt regiert, liegt der allerdings in der Schublade - obwohl auch SPD und CDU in ihrem Koalitionsvertrag die Verbesserung gesetzlichen Diskriminierungsschutzes gegenüber der Verwaltung als „öffentliche Dienstleisterin“ verankert haben.

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