Doku über die „36 Boys“: Mit Fäusten gegen Diskriminierung

Die TV-Dokumentation „Die Kings von Kreuzberg“ bietet einen spannende Einblick in das Leben einer migrantischen Gang, das vor Machotum nur so strotzt.

Berlin Sozialer Wohnungsbau Sozialer Wohnungsbau in Berlin Kreuzberg. Hier: Das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ).

Kreuzberg der 90er war das Revier vieler Jugendgangs, die in der RBB-Doku „Kings of Kreuzberg“ porträtiert werden Foto: IMAGO / Christian Ditsch

BERLIN taz | Was aus dem Kreuzberg der 80er und 90er Jahre geworden ist, kann man jeden Tag auf der Straße sehen – viel ist davon nicht übrig. So hat das Haus von Senol Kayaci, in dem er mit seinen fünf Geschwistern wohnte, heute kein Außenklo mehr, verfügt im Gegensatz zu damals über Warmwasser und ist hübsch angemalt. Dafür kann es sich auch kaum noch eine Großfamilie leisten. Was aus Menschen wie Kayaci geworden ist, die damals die Straßen „des härtesten Kiez Westberlins“ beherrschten, kann man in der neuen RBB-Doku „Die Kings von Kreuzberg“ sehen, in der vier ehemalige Mitglieder der berühmt-berüchtigten „36 Boys“ zu Wort kommen.

30 Minuten dauert der spannende Einblick in das Leben der migrantischen Kreuzberger Gang, das vor Machotum nur so strotzt: gewaltsame Initiationsrituale, Revierkämpfe mit anderen Gangs, Überfälle (allerdings laut Ehrenkodex nicht auf ältere Menschen), aber auch Treffen mit der Antifa Gençlik, um sich gegen die zunehmenden rassistischen Übergriffe zu wehren. In den Medien wurden die 36 Boys vor allem als gewalttätig und kriminell dargestellt. Für die Mitglieder selbst, viele von ihnen Kinder von sogenannten Gast­ar­bei­te­r*in­nen aus der Türkei, ging es aber vor allem darum, sich selbstbewusst ihren Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen.

„Das war die erste Generation von Migranten, die gesagt hat: Ey Leute, wir sind auch noch da, und so wie es aussieht, werden wir hier auch bleiben, am besten ihr freundet euch damit an“, sagt Kayaci, der wegen schwerer Körperverletzung und räuberischer Erpressung im Gefängnis war. Auf alten TV-Aufnahmen sieht man den heute 48-Jährigen, wie er mit 15 Wände besprüht und sich über die Rechtsextremen aus dem Osten lustig macht. „Hier ist der migrantische Widerstand gegen Nazis entstanden“, sagt er heute stolz.

Was die Männer eint, die so freimütig über ihre kriminelle Vergangenheit berichten, war der Wunsch, aus der Opferrolle herauszukommen. Auf die Gewalt von Familie, Gesellschaft und Staat reagierten die jungen Männer ihrerseits mit Gewalt. Auch der heutige Sterne-Koch und Fernseh-Promi Tim Raue war Mitglied der 36 Boys. Selbst Opfer familiärer Gewalt und armutsbetroffen, fand er in der Gang eine neue Familie: „Auf der Straße gab es Jugendliche, die auch gedemütigt wurden von diesem Staat, die nicht akzeptiert wurden, nicht integriert wurden, denen nicht zugehört wurde“, sagt Raue. „Wir waren für ganz unten vorgesehen, wir waren die Crew, die sich in die Mitte geboxt hat“, sagt Kayaci.

Als hätte sich nichts getan

Doch bis dahin war es ein langer Weg. „Das wurde so kriminalisiert, als wären die Leute Terroristen“, erinnert sich Neco Celik, einer der Gründer der Gang, der heute Theaterstücke und Filme macht. „Das waren Jugendliche, die Mist gebaut haben, selbstverständlich.“

Migrantische Jugendliche aus armen Familien, vom Bildungssystem an den Rand gedrängt, vom Staat schikaniert und von der Gesellschaft ausgeschlossen, deren Wut über diese Verhältnisse sich in gewaltsamen Aktion entlädt – vieles kommt einem noch heute allzu bekannt vor, als hätte sich in den vergangenen 40 Jahren in diesem Bereich nichts getan. Außer dass der Brennpunkt heute Neukölln und nicht mehr Kreuzberg heißt.

Statt Jugendgewalt nur zu verdammen, zeigen die Macherinnen Carmen Gräf und Susanne Heim, was es wirklich braucht: Hört den Leuten zu und nehmt sie ernst. Es lohnt sich. 30 Minuten reichen dafür natürlich bei Weitem nicht aus. Bleibt zu hoffen, dass der ehemalige 36er Neco Celik sein Versprechen wirklich ernst macht, die Geschichte der Migranten-Gang eines Tages zu verfilmen. Und wer weiß, vielleicht regt die Doku ja doch den einen oder die andere Po­li­ti­ke­r*in dazu an, marginalisierten Personen endlich einmal zuzuhören. Damit es keine Gewalt mehr braucht, damit sie sich Gehör verschaffen.

Die Dokumentation „Die Kings von Kreuzberg“ aus der Reihe „Unser Leben“ ist auf den Seiten des RBB abrufbar.

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