Dokumentarfilme in Duisburg: Von Brüllaffen und Plüschkaninchen

Bei der diesjährigen Duisburger Filmwoche stand der Nachwuchs im Mittelpunkt, es gab erstaunlich viele Hochschulfilme.

Halten Ausschau nach dem Fuchs: die Großmutter und die Großtante (rechts) der Filmemacherin Serpil Turhan in „Dilim Dönmüyor – Mein Zunge dreht sich nicht“. Bild: Duisburger Filmwoche

Die echten Stars der Duisburger Filmwoche kamen dieses Jahr aus der Fauna: ein kurdischer Fuchs, ein Papagei, der auch nach dem Ende der Diktatur fröhlich „Heil Hitler“ kräht, Ziegen, die sich wie Models vor der Kamera positionieren. Oder der Brüllaffe, der in einer deutschen Kolonie im nördlichen Argentinien angeblich mit dem Onkel des Filmemachers Gerardo Naumann Tischtennis spielte.

Eines Tages biss er dem Onkel einen Finger ab, der Mann erwürgte daraufhin das Tier. Jetzt dient diese Geschichte als Ursprungsmythos eines Films um das Filmemachen selbst, der die naive Inszenierung eines weihnachtlichen Krippenspiels des Baptistenpredigers Ricardo Bär als Vorlage nutzt und Ko-Regisseurin Nele Wohlatz zum zweiten Mal den Förderpreis einbrachte.

Ein wenig streberhaft ist „Ricardo Bär“ in seiner ausgestellten Selbstreflexivität dabei schon angelegt. Fast klassisch dagegen ist „Making of Heimat“ von Jörg Adolph und Anja Pohl, ein erhellender Film über die Wagnisse und Untiefen des Spielfilmmachens. Denn obwohl die Filmemacher von Regisseur Edgar Reitz persönlich angefragt wurden, die Dreharbeiten zu seinem jüngsten Film im Hunsrück zu begleiten, liefert ihre Arbeit eine kein bisschen offiziöse Sicht auf das Geschehen, die um vieles amüsanter (und zwei Stunden kürzer) als das Referenzobjekt ist.

Deutlich verjüngt

Adolph trat bereits zum siebten Mal in Duisburg an und war so neben Harun Farocki („Sauerbruch Hutton Architekten“) und Thomas Heise („Gegenwart“) einer der wenigen Stammgäste der diesjährigen Filmwoche, die sich nach der Neubesetzung der Auswahlkommission letztes Jahr auf allen Positionen deutlich verjüngt hat. So standen bei den üblichen Diskussionen den vielen Studierenden im Saal oft auch auf dem Podium Studierende Rede und Antwort.

Hatten manche vor fünf Jahren noch Angst, der neu gegründete deutsche Wettbewerb beim Dok Leipzig könnte der Filmwoche zur Konkurrenz erwachsen, so sieht es jetzt eher so aus, als würde das Duisburger Festival so vom – manchmal zwanghaften – Abspielen der Jahresproduktionen deutscher Fernsehanstalten entlastet.

Viele Hochschulfilme also. Und die geschlossene Anstalt auf der Leinwand als auffällig häufig besuchtes Terrain, wobei die Lesart von Marcin Malaszczaks metaphern- und anspielungsreicher Reise ins nahe Polen („Sieniawka“, Arte-Preis) bis zu „Andere Welt“ von Christa Pfafferott führt, der mit nüchternem Blick den Horror einer ganz heutigen deutschen Psychiatrie entdeckt, die der Fall Mollath ein wenig öffentlicher gemacht hat.

Eine Anstalt der besonderen Art war der Friedrichshof der Muehl-Kommune, dessen von den Erwachsenen freiwillig mitgetragenes autoritäres Zwangssystem Paul-Julien Roberts „Meine keine Familie“ aus Kinderperspektive untersucht: eine Suche auf Spuren einer Nichtfamilie.

Kurdische Verluste

Als Roberts Mutter von Muehl zum Geldverdienen in die Schweiz geschickt wurde, musste sie ihren Sohn in der Kommune zurücklassen. Direkten ökonomischen Zwang, sich – zeitweilig – von ihren Kindern zu trennen, gab es für die Eltern der Berliner Filmemacherin Serpil Turhan, als diese aus dem türkischen Kurdistan zum Arbeiten nach Deutschland gingen.

2011 geht die Tochter den umgekehrten Weg und reist für ihren Diplomfilm mit der Kamera und den Großeltern in das Heimatdorf zurück, forscht später dann auch in Gesprächen mit den Eltern der Familiengeschichte nach. Dabei erzählt die mit zartem Humor und viel Gespür für dokumentarische Situationen inszenierte Geschichte der Familie Turhan auch (der Titel „Dilim Dönmüyor – Mein Zunge dreht sich nicht“ deutet es an) den Verlust der eigenen kurdischen Sprache und Kultur. Ein Film, der hoffentlich den Weg ins Kino findet.

Ähnlich anrührend ein urschweizerischer Elternfilm von einem, der selbst schon im Großvateralter ist. Vielleicht macht das wirklich weise, denn Peter Liechtis wunderklug gemachtes Familienstück „Vaters Garten“ (ab 21. November im Kino) schafft das Kunststück, autoritäre Zwänge in aller Härte zu zeigen, ohne selbst jemals anklagend oder hart zu sein. Dazu tragen auch zwei plüschige Kaninchenfiguren bei. Viele hatten sich gewünscht, dass Liechtis Film einen der beiden von Arte und 3sat gestifteten Hauptpreise erhalten würde.

Sie wurden enttäuscht, denn die 3sat-Jury entschied sich mit „Betongold“ von Katrin Rothe für einen formal eher gängigen Film, der das erzwungene Selbstexperiment der Berliner Filmemacherin in Sachen Zwangsentmietung formal als mit Animationen gespicktes Reality-TV erzählt. Ein Film (derzeit in der 3sat-Mediathek zu sehen), dem man ein großes Publikum wünscht, der als „bester deutschsprachiger Dokumentarfilm“ aber deutlich fehlbesetzt ist. Interessant, dass Rothe ihr Projekt anfangs erfolglos dem Fernsehen anbot, die Sender RBB und 3sat später dann aber dankbar zugriffen, als das Thema Wohnungsnot medial krass nach oben gedriftet war.

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