Dorf vor Räumung wegen Braunkohle: Die RWE-Maschinen rücken vor

Die BewohnerInnen des Dorfes Lützerath in Nordrhein-Westfalen haben den „Tag X“ ausgerufen. Immer mehr Menschen kommen zur Unterstützung.

Vermummte Personen reihen sich vor einem Tagebau auf

Klimaschutzaktivisten am 3. Januar vor dem Tagebau Garzweiler 2 Foto: Jochen Tack/imago

AACHEN taz | „Läuft ohne Ende“, hieß es am Mittwoch in Lützerath. Immer mehr Menschen kämen, um das Dorf am Braunkohletagebau Garzweiler 2 in letzter Minute vor dem Abbaggern zu retten – oder seine Aufgabe wenigstens möglichst teuer zu verkaufen.

Seit Dienstagnachmittag gilt hier der „Tag X“. Damit haben die Be­woh­ne­rInnen den Aufruf gestartet, dass ab sofort möglichst UnterstützerInnen zu Hilfe eilen sollen. Überraschend früh, denn angekündigt war Tag X immer für den tatsächlichen ersten Räumungstag. Nun ist aber seit Montag eine Art Vorräumung des Terrains direkt vor den Gehöften und 30 Baumhäusern im Gange. „Cops sind seit über 24 Stunden in Lützerath, bauen ihre Strukturen auf und greifen unsere an. Kommt JETZT“, ­schreiben die Besetzer:innen.

Schon am Dienstag selbst war dann nicht mehr von 100, sondern schon von 300 Menschen im Ort die Rede. Lützerath, das zu Hochzeiten 105 feste Einwohner beheimatete, ist wahrscheinlich der letzte Ort in den rheinischen Braunkohlerevieren, der nach Beschlüssen von Politik und dem Kohlekonzern RWE Power noch dem Tagebau weichen muss.

Strohballen brennt auf der Straße

Die Polizei schützt das Vorrücken der RWE-Maschinen in das Vorfeld des Dorfes. Erste Bäume sind weggesägt, provisorische Straßen und Rampen entstehen, Großgerät wird abgestellt. Die Beamten geben sich friedlich – mit Worten. Der Einsatzleiter, Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach, kündigte Transparenz, Kommunikation, Friedfertigkeit und den Wunsch nach Deeskalation an. Immer war die Rede davon, dass das Dorf bis zum 10. Januar abgeriegelt werde – nie, dass man vor Ort bereits eingreifen wolle.

Nun liegt ein brennender Strohballen als Hindernis für die anrückenden Polizeitruppen auf der Straße. Drumherum ein Dutzend Beamte. Sie könnten umgehend löschen. Stattdessen schiebt eines der Räumfahrzeuge den Ballen weiter in Richtung Klimaaktivisten. Die brennende Barriere stoppt direkt vor dem großen Holztor mit dem Schild „Willkommen in Lützerath“. Dadurch weht der Rauch zu der oben fest geketteten Person. Dann kommt das Fahrzeug ein zweites Mal, schiebt feuchtes Geäst auf das brennende Stroh, der Qualm wird schwarz. Und schließlich stochern ein paar Polizisten im Feuer herum, bis es noch ergiebiger brennt.

Die Mahnwache direkt am Dorfeingang hat bis einschließlich 9. Januar ein amtlich verbrieftes Recht zu bleiben. Wer sie von außerhalb besuchen möchte, muss auch dorthin kommen können. RWE torpediert das allerdings, Security-Mitarbeiter versuchen, den Zugang zu verhindern. Und sie werden sogar handgreiflich gegen eine Journalistin. Der Vorfall ist angezeigt.

In seiner Weihnachtsansprache hatte der Heinsberger Landrat Stephan Pusch (CDU) die Polizei als Vollzugshelfer gerufen: Zum Fest des Friedens sprach er davon, die BewohnerInnen Lützeraths wollten „Krieg spielen“, respektive „Krieg führen“, weil sie glaubten, „die Schlacht um das Weltklima“ zu führen. Und dann zählte er Reichsbürger und die Menschen von Lützerath in einem Atemzug als Feinde des Staates auf.

Protestgang am Sonntag

Täglich gibt es in den „Lützi Lebt Wochen“ jetzt Kurse in Klettern und Bauzaunüberwindung, Lock-on-Workshops, Rechtsberatung oder „How to Kleingruppenaktion (basic)“. Externe Gruppen verbreiten Infos zur Lage der Kohlebahnen im Loch und der Pumpstationen in den Feldern. In der winzigen Eibenkapelle vor Ort soll es einen „Gottesdienst an der Kante“ geben, am Dreikönigstag die rituelle Einsegnung der Lützerather Häuser. Naturführer Michael Zobel ruft für Sonntag zu neuerlichem großem Protestgang auf.

Am Mittwoch schlossen sich ein Dutzend Initiativen offiziell zum „Aktionsbündnis Lützerath Unräumbar“ zusammen, darunter Fridays for Future, Extinction und Scientist Rebellion, RWE & Co enteignen, Kirche im Dorf lassen, Ende Gelände und Letzte Generation. Ihr Ziel: bessere Mobilisierung und Koordination gegen die Gewalttaten am Klima.

Am Mittag des gleichen Tages wurde der gigantische Braunkohlebagger, der seit dem Wochenende demonstrativ nah an der Mahnwache arbeitet, vorübergehend gestoppt, als einige Ak­ti­vis­tIn­nen plötzlich im Gelände auftauchten.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger argumentierte vor Ort mit einer anderen Versorgungssicherheit als es ihre klimaverantwortlichen Parteikollegen Robert Habeck (Bund) und Mona Neubaur (NRW) tun. Die Braunkohle tief unter dem Widerstandsdorf könnte frühestens in drei Jahren verfeuert werden.

Auch ob die Räumung gerichtlich ausgeurteilt ist, ist offenbar umstritten. Die Frankfurter Rundschau berichtete, dass drei Klagen mit angeblich guten Erfolgsaussichten vorbereitet seien.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Eine Person sitzt auf einem Ausguck. Sie trägt eine blaue Hose und hat eine goldene Wärmedecke um die Schultern geschlagen. Außerdem trägt sie eine weiße Maske und eine Mütze. Szenerie aus Lützerath

Wie lebt es sich im besetzten Weiler? Die taz-Autor*innen Aron Boks und Annika Reiß waren für die Kolumne Countdown Lützerath vor Ort. Zwischen Plenum, Lagerfeuer und Polizei

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.