Dozenten über Subkultur-Akademie: „Kultur braucht blühende Subkulturen“

Wie betreibt man einen Club? An der Academy for Subcultural Understanding soll man das lernen. Anastasia Schmidt und Martin Fuller unterrichten dort.

Eine Gruppe Menschen vor der Tür des Clubs Tresor

Akademie-Team: Sundus Mehrez, Johann Freitag, Leonard Raffel, Martin Fuller, Lena Ladig, Greta Bukowski, Marlon Reltoff, Bea Burk Foto: Greta Bukowski

An der neu gegründeten Academy for Subcultural Understanding im Berliner Club Tresor sollen Club­grün­de­r:in­nen aus kleinen und mittelgroßen deutschen Städten lernen, wie man einen Club führt und als nachhaltiges Projekt betreibt. Geführt wird die Akademie nicht nur vom Tresormastermind Dimitri Hegemann, sondern auch von Soziolog:innen, die meinen, Soziologie könnte der Techno-Subkultur von Nutzen sein. Aber braucht die Subkultur diese Art von institutioneller Hilfe überhaupt?

taz: Subkultur als Begriff und Forschungsbereich ist tief verwurzelt in der Soziologie. Umgekehrt spielen So­zio­lo­gen und Soziologinnen bislang keine besondere Rolle in Subkulturen. Was interessiert Sie an dem Thema?

Anastasia Schmidt: Subkulturen sind unter anderem deswegen spannend, weil ganz verschiedene soziologische Interessen dort sichtbar werden. Ein Beispiel, das uns sehr interessiert, ist der räumliche Aspekt: Subkulturen brauchen physische Räume. Ohne diese geht es nicht. Das knüpft an viele wichtige Themen an: Bürokratie, Hierarchien, Zugang.

Martin Fuller ist Soziologe, Urbanist und Dekan der Akademie. Er hat in Cambridge promoviert und hat mehr als fünfzehn Jahre Erfahrung in der Forschung und Lehre zu kulturellen, urbanen und räumlichen Themen, unter anderem an der TU Berlin.

Martin Fuller: Es gibt eine großartige Forschungsgeschichte zu Subkulturen, von der Chicagoer Schule bis zu Dick Hebdige und der Universität von Birmingham im Centre for Contemporary Cultural Studies. Die alte Denkweise betrachtete Subkulturen als Abweichler. Später erst entwickelte sich die Sichtweise, dass Subkulturen einen bereichernden Teil von Kultur darstellen, besonders der städtischen Kultur. Viele marginalisierte Menschen werden durch die Gemeinschaften, die sich um Subkulturen bilden, ermächtigt, wie man an allen möglichen Musikrichtungen erkennen kann. Subkulturen sind faszinierend im Hinblick darauf, soziale Ungleichheit anzugehen und wie Menschen Handlungsfähigkeit behaupten, wenn sie sonst wenig Einfluss haben.

In der Academy for Subcultural Understanding sollen Menschen lernen, wie man einen Club führt. Was kann Soziologie dazu beitragen?

AS: Als Akademie versuchen wir nicht unseren Teiln­ehme­r:in­nen beizubringen, was Subkultur ist – auch nicht aus soziologischer Sicht. Das wissen sie bereits. Aber ich glaube schon, dass soziologisches Wissen in konkreten Fällen eingesetzt werden kann, um der Subkultur zu helfen, zum Beispiel auch, um ein gesellschaftliches Verständnis herzustellen, warum Subkulturen wichtig sind.

Anastasia Schmidt ist Soziologin mit dem Fokus auf Raum und Kultur. Sie hat durch die Mitarbeit am Lehrstuhl Planungs- und Architektursoziologie der Technischen Universität Berlin Erfahrung in der Organisation von Lehrveranstaltungen.

MF: Subkulturen gedeihen auch ohne die Hilfe von Soziolog:innen. Sie brauchen uns nicht so, wie wir sie brauchen. Und einige For­sche­r:in­nen haben manchmal eine Art, das Geheimnisvolle zu entzaubern und diese wunderbaren Momente in Subkulturen zu entmystifizieren. Was wir aber zu tun versuchen, ist, jungen Leuten, die in deutschen Städten kleinerer und mittlerer Größe – wie Erfurt, Bremerhaven, Brandenburg an der Havel oder Münster – Clubs, Veranstaltungsorte und Partys starten, Werkzeuge an die Hand zu geben. Die Soziologie kann eine Reihe von guten Argumenten liefern, warum Clubs wichtig sind. Zum Beispiel wissen wir als Soziologen, dass kreative Menschen auch ein Wirtschaftsfaktor sind. Das ist aber natürlich nicht der Hauptgrund, warum Städte Subkulturen unterstützen sollten – wir brauchen Subkulturen vor allem, weil sie Kulturen und soziales Leben bereichern.

Und was ist mit dem soziologischen Überbau? Welche Rolle spielt der in der Akademie?

MF: Kürzlich hielt ich einen Vortrag über Raum und kollektive Erfahrungen von Vergnügen. Ich sprach über eine soziologische und philosophische Grundlage, die besagt, dass kollektive Erfahrungen des Vergnügens in fast allen Gesellschaften als wichtig angesehen werden. Clubkultur ist keine Ausnahme, sondern Teil eines allgemeineren soziologischen Phänomens der Ekstasis – altgriechisch für Selbstverlust, Transzendenz, Ego-Verlust, oft in Verbindung mit Gemeinschaften. Anstelle eines typischen Universitätskurses habe ich erörtert, wie diese soziologischen Konzepte nützlich sind, um zu argumentieren, dass Sub- und Clubkulturen in der realen Welt von Bedeutung sind. Wenn man mit einem Bürgermeister oder mit einer Bürgermeisterin spricht, ist es gut, begründen zu können, warum sie einen Veranstaltungsort unterstützen sollten. Zum Beispiel ziehen Clubkulturen Individuen und Gemeinschaften an und halten sie fest: In Berlin wissen wir, wie dies eine Stadt verändert und welche Probleme durch Gentrifizierung entstehen können. In kleineren Städten kann eine lebendige Gemeinschaft rund um Subkulturen jedoch einige der brillanten jungen Leute davon abhalten, wegzuziehen. Außerdem lindern Clubs und Veranstaltungsorte Langeweile, eine der Hauptursachen für soziale Probleme. Sie stärken gleichzeitig das Gemeinschaftsgefühl der Einheimischen, insbesondere der Randgruppen.

Was bedroht eigentlich Subkultur?

AS: Bürokratie, Eigentumsstreitigkeiten, rein profitorientierte Tätigkeiten. Es geht um den Verlust von Räumen. Tourismus halte ich für keine große Bedrohung. Eine der größten Gefahren in kleinen und mittelgroßen deutschen Städten ist, dass viele junge Leute einfach wegziehen. Das trifft den Kern der Akademie: Es gibt Menschen, die in diesen Städten leben und bleiben wollen, die aber das Gefühl haben, dass es für sie nichts zu tun gibt. Deshalb ziehen sie doch irgendwann nach Berlin oder in eine andere Großstadt. Viele von uns kommen aus kleineren Städten und wissen, dass Veranstaltungsorte einen großen Unterschied für lokale Szenen und Gemeinschaften machen.

Wie vermitteln Sie solches Wissen konkret? Was steht auf dem Lehrplan?

MF: Wir haben drei Tage pro Woche Seminare und Training. Freitags und samstags übernehmen die Academy-Teil­neh­me­r:in­nen Schichten im Tresor und können so etwas Geld verdienen. Booking, Kuratierung, Geschichte der elektronischen Musik in Berlin und Detroit, Awareness-Teams, Teambuilding – solche Inhalte sind genauso wichtig wie Lektionen von unserem Bar-Chef, der den Leuten beibringt, wie man sich in einer belebten Nacht verhält. Das gilt auch für die Selektion an der Tür. Einlasskontrolle ist überhaupt ein gutes Beispiel. Wie macht man das etwa in einer kleineren oder mittelgroßen Stadt mit einer nennenswerten rechtsextremen Szene? Setzt man einen großen, weißen Typ mit riesigen Muskeln an die Tür? Oder doch lieber eine FLINTA-, BIPOC-, LGBTQIA+-Person, um gleich beim ersten Kontaktpunkt ein Zeichen zu setzen? Die Tür ist eine gute Möglichkeit, einige Leute willkommen zu heißen und andere nicht. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Rechtsextremer und das erste, was Sie tun müssen, ist, Ihre Autonomie jemandem zu übergeben, den Sie normalerweise diskriminieren. Die Strategie kann rassistische und homophobe Leute fernhalten. Und sie schafft einen sicheren Raum für Gäste.

Ist Clubmusik heute überhaupt noch subkulturell?

AS: Das fällt vielleicht gar nicht so einfach nur von „der“ Clubmusik“ oder „dem Techno“ zu sprechen, weil es so viele verschiedene Richtungen im Spektrum von Mainstream bis Underground gibt.

MF: Es wird immer Mainstream-Versionen von etwas geben, das weniger glaubwürdig erscheint als das Original. Einige DJs werden erfolgreich, machen aber immer noch Musik, die mit der Geschichte und Gegenwart einer bestimmten Subkultur verbunden ist. Sicher ist: Kultur gibt es nur wegen blühender Subkulturen. Es geht nicht nur um Geld oder Popularität, sondern um grundlegende Werte.

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