EU-Flüchtlingspolitik in Afrika: Durchsichtige Afrikaner

Mit Geld und Technologie aus Europa wird Afrika biometrisiert. EU-Grenzschutz und afrikanische Staatsräson finden so zusammen.

In handschuhen gehüllte Hände pressen zwei Finger auf einen Bildschirm

Ein Beamter scannt die Fingerabdrücke eines Geflüchteten in der Erstaufnahmestelle Erding Foto: reuters

BERLIN taz | Menschen, die aus Afrika Richtung Europa fliehen, haben zwei Möglichkeiten: Sie können den Weg über Libyen und das Mittelmeer nehmen, bei dem die Sterberate in diesem Jahr bei etwa 1:40 liegt. Oder mit einem geliehenen, gemieteten oder gefälschten Pass reisen.

8.373 Menschen haben europäische Grenzschützer 2015 bei der Einreise in den Schengenraum mit solchen Reisedokumenten erwischt. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. In Deutschland lag die Quote von Asylverfahren „ohne jegliche Identitätsdokumente“ nach Zählung des Ausländerzentralregisters (AZR) Anfang 2015 bei über 70 Prozent. Fehlende Dokumente sind „nach wie vor das quantitativ bedeutendste Problem“ bei Abschiebungen, heißt es in einer Evaluation der Bund-Länder AG Rückführungen.

Ein Zugriff auf Biometriedatenbanken der afrikanischen Herkunftsstaaten ist deshalb der Traum der EU-Innenminister. Das Problem: Viele Staaten Afrikas wissen zu wenig über die eigenen Bürger. Etwa ein Drittel der Bevölkerung Afrikas ist nach jüngsten Zahlen der Weltbank überhaupt nicht staatlich registriert. Entweder fehlt ein Meldeverzeichnis, die letzte Volkszählung ist Jahrzehnte her oder die Regierung stellt keine Personalausweise aus. Oder alles zusammen.

Weil die Einwohnermeldeämter keine digitalen Datenbanken haben, türmen sich in vielen afrikanischen Behörden Ordner und Registerbücher in feuchten Kellern bis unter die Decke. Ähnlich geht es an den Grenzen zu: Server, Fingerabdruckscanner, Digitalkameras, Lesegeräte fehlen. Mancherorts werden die Daten der Aus- und Einreisenden bis heute per Hand in große Kladden eingetragen.

Ein Aktionsplan der EU-Kommission

Das soll jetzt anders werden. Europa hat sich die Biometrisierung Afrikas vorgenommen. Im September kündigte die EU-Kommission einen „Aktionsplan“ für „solidere und intelligentere Informationssysteme für das Grenzmanagement“ an. Als sich vor einem Jahr auf Malta die EU-Staatschefs mit 30 afrikanischen Präsidenten trafen, versprachen sie „moderne“ Melderegister und „sichere“ Ausweisdokumente. Dafür sollen Gelder aus einem milliardenschweren Trustfonds bereitstehen.

Vor „dramatischer“ Migration aus Afrika warnt die deutsche Regierung, von einem „Marshallplan“ ist die Rede. Doch die Milliardensummen, die Europa in Afrika ausgeben will, dienen nicht nur dem Kampf gegen Armut. Erklärtes Ziel der neuen EU-Afrikapolitik ist es, Flüchtlinge und Migranten schon tief im Innern des Kontintents aufzuhalten. Die taz berichtet seit Mitte November in einem Rechercheschwerpunkt darüber, zu finden unter taz.de/migcontrol.

Die Recherche wurde gefördert von Fleiß und Mut e. V. (cja)

In Westafrika beginnt die Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) gerade mit der Einführung biometrischer Personalausweise, die dann zukünftig den visafreien Grenzübertritt ermöglichen. Gleichzeitig steckt die EU 5 Millionen Euro in die Entwicklung des polizeilichen Informationssystems Wapis. Bis zu 17 Staaten zwischen Mauretanien und Nigeria sollen künftig die bei Polizeiermittlungen gesammelten Fingerabdrücke zentral speichern und Interpol zugänglich machen.

In Ghana, Mali, Niger und Benin laufen seit 2015 Pilotprojekte dafür. Das System ist auch für Grenzkontrollen vorgesehen und soll helfen, gefälschte Dokumente zu identifizieren. „Damit rückt ein Sammelabgleich von Daten papierloser afrikanischer Migranten für Abschiebezwecke in greifbare Nähe“, sagt Eric Töpfer vom Institut für Menschenrechte der taz.

Beauftragte Bundesdruckerei

Wie nah, das hat der deutsche Innenminister Thomas de Maizière Anfang des Jahres auf seiner Maghreb-Reise bewiesen. Marokko habe einem biometrischen Datenabgleich für Abschiebungen zugestimmt, verkündete er. Etwa zwei Wochen später gab Veridos, ein Gemeinschaftsunternehmen der Bundesdruckerei und der deutschen IT-Firma Giesecke & Devrient, bekannt, von Marokko mit der „Entwicklung und Umsetzung eines nationalen Grenzkontrollsystems“ beauftragt worden zu sein. Geliefert werden unter anderem biometrische Scanner, Passlesegeräte, Kontrollschleusen und Server für 1.600 Kontrollposten.

Außerdem, so bestätigt die Bundesdruckerei der taz, druckt sie für Libyens Übergangsregierung aktuell Rohpässe. Auch eine Delegation der Immigrationsbehörde Sudans stattete ihr jüngst einen Besuch ab.

Das Marktforschungsinstitut MarketsandMarkets schätzt, dass die globale Biometriebranche bis 2020 um fast 18 Prozent jährlich wächst. Afrika ist der ideale Absatzmarkt: Die Bevölkerung dort soll bis Mitte des Jahrhunderts von 1,1 Milliarden auf 2,4 Milliarden Menschen steigen, nirgends brauchen mehr Menschen künftig Personalausweise, Reisepässe oder Führerscheine – am besten digital lesbar.

Das UNHCR unter Druck

Über tausend Menschen retten sich derzeit täglich aus dem Südsudan in die Nachbarländer, meist Uganda. Wenn sie ausgezehrt mit ihren Habseligkeiten in einem Auffanglager des UN-Flüchtlingshilfswerks in Grenznähe aufschlagen, müssen sie ihre Fingerabdrücke abgeben, ihr Foto wird gespeichert, und sie erhalten eine Plastikkarte, auf welcher alle Merkmale gespeichert sind. Nur damit haben sie dann Anspruch auf Schutz und Zugang zu Hilfe.

Über eine Million Geflüchtete hat das UNHCR mit seinem neuen Registrierungssystem (BIMS) bereits weltweit biometrisch erfasst. Ihre Daten werden zentral auf einer UN-Datenbank im schweizerischen Genf gespeichert. Bis zu 34 Millionen Flüchtlinge aus 125 Ländern könnten hier zukünftig registriert sein, schätzt der Hersteller des Systems Accenture in einer Werbebroschüre. In 14 afrikanischen Staaten wird BIMS bereits angewendet.

Das UNHCR gerät dabei immer wieder in Konflikt mit den staatlichen Behörden. Seit somalische Islamisten Anschläge in Kenia verüben, fordern die kenianischen Behörden Zugriff auf die UNHCR-Datenbanken, die Informationen über 600.000 Flüchtlinge im Land enthalten, darunter viele Somalier. Auf taz-Anfrage heißt es, das UNHCR „teilt keine Daten mit Staaten oder Institutionen“.

Die Bekämpfung des Terrors und der irregulären Migration berühren sich zunehmend. In Europa fürchtet man, mit den Syrien-Flüchtlingen könnten IS-Schläfer gekommen sein. Als Gegenmaßnahme werden eingehende Identitätsprüfungen empfohlen. Im Einklang mit den EU-Leitlinien wollen die von Boko Haram und al-Qaida geplagten Sahel-Staaten die beginnende Biometrisierung auch als Antiterrormaßnahme ausbauen.

Europa hilft gern

Viele afrikanische Staaten können sich die teuren Druckmaschinen eigentlich gar nicht leisten. Europa hilft gern – mit Geld und Technologie. Weltmarktführer der Biometrie ist die französisch-niederländische Firma Gemalto, die in vier afrikanischen Ländern Niederlassungen betreibt. Mit einem Jahresumsatz von über 2 Milliarden Euro beliefert Gemalto zahlreiche afrikanische Länder von Algerien bis Südafrika mit biometrischen Ausweiskarten und registriert Wähler, ein besonders heikles Thema.

Europäische Grenzschutz- und afrikanische Governance-Politik finden so zusammen. „Wir arbeiten bei der Biometrisierung mit der Afrikanischen Union zusammen“, heißt es bei der EU-Kommission. Dabei gehe es auch um Dinge wie die bessere Abwicklung von Wahlen, die Registrierung von Kindern oder den Aufbau von Personenstandsregistern. „Aber natürlich müssen die Daten auch für das Migrationsmanagement genutzt werden.“

Etwa in Nigeria. Das Land gilt als Hochburg der Passfälscher, Nigerianer stellen in diesem Jahr die zweitgrößte Gruppe irregulärer Migranten aus Afrika in der EU. Seit 2014 werden die 180 Millionen Einwohner mit biometrischen Personalausweisen ausgestattet. Die eindeutige Identifizierbarkeit nigerianischer Staatsbürger dürfte die Umsetzung des Rücknahmeabkommens erheblich vereinfachen, das die EU mit Nigeria aushandelt. Im Februar 2016 schlug die EU in einem internen Strategiepapier europäische Unterstützung für den Ausbau des nigerianischen Melderegisters mit biometrischer Erfassung vor.

Bislang wurden nur die Daten von elf Millionen Nigerianern erfasst, jetzt rückt der Ecowas-Personalausweis an die Stelle des ursprünglichen Projekts. Umstritten war es ohnehin: Die Ausweise sollten als elektronische Zahlungskarte dienen, mit Mastercard als Partner.

Geplatzter Deal in Uganda

Auch in anderen Ländern sorgen die Verträge zwischen Regierungen und Technologiekonzernen für Streit, wegen der hohen Kosten und undurchsichtiger Auftragsvergabe. In Gabun klagt die Opposition gegen den ihrer Meinung nach überteuerten Vertrag der Regierung mit Gemalto. In Uganda geriet 2010 das bayrische Technologieunternehmen Mühlbauer in die Schlagzeilen, als sich Firmenchef Josef Mühlbauer mitten in der Nacht mit Ugandas Präsident Yoweri Museveni traf, in Begleitung des deutschen Botschafters, um einen 64-Millionen-Euro-Vertrag über biometrische Personalausweise abzuschließen. Nachdem die Deutschen bis 2012 nach ugandischen Angaben nur 400 Ausweiskarten lieferten, platzte der Deal.

Der größte Mühlbauer-Kunde in Afrika war bis vor Kurzem Algerien, das nun von Gemalto übernommen wurde. „Hoch skeptisch“ sei das Land gegenüber einem Rückführungsabkommen mit der EU, heißt es in einem internen Strategiepapier der EU-Kommission, das der taz vorliegt. Nur ein Viertel der geplanten Abschiebungen von Algeriern im Jahr 2014 sei tatsächlich erfolgt. Die Abgeschobenen will das Land nicht, die Biometriepässe hingegen schon. Hier finden die Interessen wieder zusammen.

Wie die EU Algier zu mehr Engagement bewegen will, steht auch in dem Papier: Brüssel will Geld für eine „biometrische Datenbank“ springen lassen.

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