EU-Migrationspolitik: Was bringt der 10-Punkte-Plan?

Meloni und von der Leyen setzen auf Härte und Abschottung: Zehn Punkte sollen die Migration nach Europa bremsen. Doch halten sie einem prüfenden Blick stand?

Menschen aus Afrika sitzen am Boden vor italienischen Polizisten

Migranten und Geflüchtete am 16. September auf der italienischen Insel Lampedusa Foto: Cecilia Fabiano/ap

ROM/BERLIN taz | „Wir entscheiden, wer in die EU kommt – nicht die Schleuser“. Äußerst entschlossen zeigt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich am Sonntag auf Lampedusa, an der Seite der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni. Und die Gastgeberin schien entsprechend erfreut, wollte gar in dem Zehn-Punkte-Plan, den von der Leyen vorstellte, „eine kopernikanische Revolution“ der EU bei der Bekämpfung irregulärer Migration ausmachen.

Haben wir es wirklich mit einer Wende, mit einer radikalen Umkehr der EU-Migrationspolitik hin zu gemeinsamen europäischen Lösungen zu tun?

Ein näherer Blick auf die zehn Punkte gibt Aufschluss:

1. Mehr Unterstützung für Italien bei der Registrierung der eintreffenden Migrant*innen, durch die Europäische Asylagentur und Frontex

Diese Hilfe können die Mitgliedstaaten auch bisher schon erbitten – doch gerade für Italien ist sie ein zweischneidiges Schwert. Denn einmal in Italien registriert, sind die Geflüchteten zum Verbleib dort verpflichtet, so wollen es die Dublin-Regeln.

In den letzten Wochen wurden, auch wegen des schieren Andrangs, viele Ankommende auf Lampedusa nicht erfasst. Der Regierung in Rom dürfte das ganz recht sein, denn so können die Mi­gran­t*in­nen und Geflüchtete in andere Länder, etwa Deutschland, weiterreisen und dort erfasst werden. Im Land der Registrierung werden dann auch die Asylanträge bearbeitet.

2. Unterstützung beim Transfer der Mi­gran­t*in­nen von Lampedusa, auch in andere Mitgliedstaaten

Der Löwenanteil der Mi­gran­t*in­nen und Geflüchteten kommt an den EU-Außengrenzen an, vor allem in Italien. Binnenstaaten wie Deutschland sind weit weniger betroffen. Von der Leyen kann hier viel versprechen – doch am Ende liegt es nicht an ihr, sondern an den anderen EU-Staaten, ob sie bereit sind, Lampedusa-Flüchtlinge aufzunehmen. Bisher hat sich niemand dazu bereit erklärt.

Beim EU-Asylgipfel im Juni 2023 spielte die Verteilung der Angekommenen eine große Rolle. Das Zwischenergebnis: Wer nach einem solidarischen Quotensystem keine Geflüchteten und Mi­gran­t*in­nen aufnehmen will, soll künftig ein Zwangsgeld von 20.000 Euro pro nicht aufgenommener Person berappen müssen. Vor allem Polen und Ungarn lehnen das aber ab.

3. Stärkung der Rückführungen der Mi­gran­t*in­nen in ihre Herkunftsländer

Hierzu solle das Gespräch mit Ländern wie Burkina Faso, Guinea, Senegal, und der Elfenbeinküste gesucht werden. Schon in der Vergangenheit blieben solche Versuche oft erfolglos, die Länder nehmen die Wiederaufnahme ihrer Bür­ge­r*in­nen einfach ab.

Auch in Drittstaaten wie Tunesien abzuschieben gestaltet sich schwierig. – sie verweigern schlicht die Aufnahme. Bei ihrem Migrations-Gipfel im Juni einigte sich die EU dennoch darauf, die Rückführungen in sichere Drittländer auszubauen.

4. Prävention der Abreisen durch operative Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitländern

Eine solche Partnerschaft wurde etwa im Juli mit Tunesien vereinbart – unter großem Protest vieler eher linker und grüner Parteien, sowie Zivilorganisationen in Europa.

Der Deal: Die EU zahlt dem nordafrikanischen Land eine hohe Millionensumme. Dafür stellt es sicher, dass von seiner Küste keine Migrationsboote mehr Richtung Europa ablegen. Wie Tunesien dafür sorgt, zeigen Berichte aus der Wüste im Grenzgebiet zu Libyen: Dort werden Mi­gran­t*in­nen und Geflüchtete bei sengender Hitze sich selbst überlassen. Berühmt sind außerdem die Gefängnisse mit ihren unmenschlichen Haftbedingungen, in denen viele Mi­gran­t*in­nen in Libyen sitzen, die Drohnenangriffe Libyens gegen Ablegestellen der Flüchtlingsboote, sowie die Vertreibung von Subsahara-Afrikanern aus tunesischen Städten.

Trotz – oder gerade wegen – dieser Brutalität steigen die Zahlen der Überfahrten nach Europa weiter an.

5. Stärkung der Grenzüberwachung auf See und der Luftüberwachung durch Frontex

Die Arbeit von Frontex ist grundsätzlich umstritten: Mangelnde Transparenz der Grenzschutzagentur, Billigung von Pushbacks, etwa der griechischen Küstenwache. Fraglich ist auch, was Überwachung an sich bringen soll: Wird ein Boot entdeckt, ist es illegal, die Menschen aus europäischem Gewässer wieder hinauszutreiben. Es landet dann eben unter Beobachtung in Lampedusa an. Konkreter ist da schon die außerdem in Aussicht gestellte weitere logistische Unterstützung der tunesischen Küstenwache.

6. Maßnahmen zur Limitierung des Einsatzes von seeuntauglichen Booten, sowie Vorgehen gegen die Logistik der Schleuser

Diese Aktionen ließen sich nur auf der anderen Seite des Mittelmeers, in den Südanrainerstaaten, bewerkstelligen, denn dort legen die Boote ab. Es darf bezweifelt werden, dass Tunesien oder Libyen eine solche Intervention der EU zulassen würden. Fraglich ist auch, wie der Einsatz seeunfähiger Boote limitiert werden sollte: Soll, überspitzt formuliert, etwa der Verkauf von Schlauchbooten verboten werden?

7. Stärkung schneller Grenzprozeduren unter verstärkter Anwendung des Konzepts der sicheren Herkunftsstaaten, mit Hilfe der europäischen Asylagentur

Darauf setzte auch die EU bei ihrem Asylgipfel im Juni: Menschen mit geringen Aufnahmechancen sollen künftig die EU gar nicht erst betreten dürfen. In geplanten Asylzentren nahe der EU-Außengrenze sollen ihre Anträge direkt verhandelt werden. Diese Regeln sollen für Migrant*innen, die aus Ländern mit einer Asylanerkennungsquote von unter 20 Prozent stammen, gelten. Dazu zählen etwa die Türkei oder Albanien. Es kommen aber weiterhin viele Menschen aus Staaten an, die eben nicht als sicher gelten, etwa aus Syrien.

8. Stärkung von Kommunikationskampagnen, um vor den Gefahren der Mittelmeerroute zu warnen, sowie Angebot sicherer Alternativen wie humanitäre Aufnahme und legale Zugangswege

Wieviel Effekt würde eine solche Kampagne zeigen, etwa ein in Subsahara-Afrika ausgestrahlter TV-Spot, der vor den Gefahren der Reise gen Norden – durch Wüste und Meer – warnt? Der Mehrheit der Mi­gran­t*in­nen und Geflüchteten dürfte durchaus bewusst sein, in welche Situation sie sich begeben. Auch der Ausbau sicherer Alternativen bleibt bisher vor allem ein Lippenbekenntnis.

9. Stärkere Kooperation mit IOM (Internationale Organisation für Migration) und UNHCR (UN-Flüchtlingshilfswerk), um Mi­gran­t*in­nen auf der Fluchtroute besser zu schützen, ebenso wie die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr

Entsprechende Programm gibt es auch bisher schon, auch auf nationaler Ebene innerhalb der EU. Deutschland belohnt etwa die freiwillige Rückkehr finanziell, in Höhe von 1.000 Euro Starthilfe im Heimatland, sowie Reisekosten. Im Jahr 2022 nutzten etwa 7.800 Menschen diese Option – gemessen an beinahe 250.000 im selben Jahr gestellten Asylanträgen wenig.

10. Implementierung des „Memorandums“ mit Tunesien, das von der Leyen und Meloni im Juli mit Tunesiens Präsident Kais Saied vereinbarten

Bisher ist noch kein Geld nach Tunis geflossen, und die Menschenrechtslage im Land ist bedenklich. Sollte die EU das Memorandum tatsächlich implementieren, wird sich diese nicht verbessern, sondern wohl weiter verschlechtern – und die Menschen damit erst weiter Richtung Norden treiben.

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