Ehemaliger Berliner Staatssekretär: Nilson Kirchner ist tot

Er erfand die Ekelliste für die Gastronomie und wollte Verkehrssenator werden. Nun ist der Grünen-Politiker Jens-Holger Kirchner gestorben. Ein Nachruf.

Jens-Holger Kirchner bei der Vorstellung eines Gutachtens zur Öffnung des Gleimtunnels 2016 Foto: Imago/Lars Reimann

BERLIN taz | Er redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Soll heißen, er berlinerte nicht nur, er sagte auch, was er dachte. Einmal ließ Jens-Holger Kirchner im Interview mit dem Autor dieser Zeilen sogar seinem angestauten Ärger über eine Bürgerinitiative zur Verkehrsberuhigung in Prenzlauer Berg freien Lauf. „Da kommen die Wortführer der Bürgerinitiative im Geländewagen vorgefahren, packen ihre Brut und Transparente vom Rücksitz und gehen gegen den Autoverkehr auf die Straße.“ In solchen Momenten, sagte Kirchner, „ringe ich um professionelle Distanz“.

2010, als er genüsslich von grünem Anspruch und grüner Wirklichkeit in Prenzlauer Berg erzählte, war Kirchner, der sich selbst nach der schwedischen Kinderbuchfigur Nils Holgersson „Nilson“ nannte, Stadtrat für öffentliche Ordnung. Nach der Bezirkswahl von 2006 hatten SPD und Linke den Pankower Grünen die Stadtentwicklung verweigert, und Kirchner war plötzlich für Falschparker zuständig.

Dass er dann mit der „Ekelliste“ Schlagzeilen machte, die erste bezirkliche Auflistung hygienischer Mängel in Gastronomiebetrieben, zeigt, welches politische Talent Kirchner hatte. Er redete nicht nur Klartext, er handelte auch als Politiker mit überraschender Klarheit.

Natürlich ecken politische Ausnahmetalente an. Nach der Abgeordnetenhauswahl 2016 wollte Kirchner im neuen rot-rot-grünen Senat nichts sehnlicher als Verkehrssenator werden. Doch das Amt war einer Frau vorbehalten, und so wurde Kirchner Staatssekretär unter der von außen geholten, zunächst parteilosen Senatorin Regine Günther.

Als Kirchner 2018 an Krebs erkrankte, entließ Günther ihn gegen seinen Willen. Seine letzten Jahre verbrachte er in der Senatskanzlei, wo er sich als Planer um Großprojekte wie den Campus in der Siemensstadt kümmerte.

Streitbarer Politiker

Dass er zum streitbaren Politiker wurde, war Kirchner nicht in die Wiege gelegt. 1959 in Brandenburg an der Havel geboren, hatte er zunächst Tischler an der Komischen Oper gelernt, weil er nicht zum Abitur zugelassen worden war. In den stürmischen Wendezeiten gründete er das „Netzwerk Spielkultur“, ohne das es heute nicht den Abenteuerspielplatz in der Kollwitzstraße gäbe.

Den Blick von unten hat Kirchner immer beibehalten, aber nicht selten auch mit dem Blick des Machbaren konfrontiert, zum Beispiel beim Umbau der Kastanienallee oder der Oderberger Straße. Ein bisschen altersweise war er da schon geworden. Das mit der „Brut“ aus dem Gespräch mit dem Autor änderte er beim Autorisieren dann doch in „Kinder“.

Nun ist Nilson im Alter von 64 Jahren am Krebs gestorben, der er zwischenzeitlich überwunden hatte. Die Grünen, die er zuletzt verlassen hatte, würdigten Kirchner als „Macher, der dafür gebrannt hat, unsere Stadt besser zu machen“.

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