Eine Begegnung in der U-Bahn: Mein Leben, dein Leben

Unterhaltungen zwischen Fremden haben am Anfang oft etwas Ungelenkes. Schön zu beobachten, wenn das Ungelenke langsam einem Lächeln Platz macht.

Eine U-Bahn fährt an der Station am Baumwall ein.

Ausgangspunkt einer gelungenen Begegnung: Die U-Bahn-Haltestelle Baumwall in Hamburg Foto: dpa | Georg Wendt

U3. Immer wieder ist es ein Zauber, dieser Abschnitt zwischen Baumwall und Landungsbrücken, wenn die Bahn nachts an den Lichtern der Elbe vorbeifährt, den Segelschiffen, die im Dunkeln liegen, den erleuchteten Musicalbauten. An der Station Baumwall sind zwei ältere Herren und eine Dame eingestiegen. Sie mögen um die 70 Jahre alt sein, sitzen einander im Viererabteil gegenüber, scheinen gerade aus der Elbphilharmonie zu kommen, wirken heiter und aufgekratzt.

Hinter ihnen steht eine Gruppe junger Männer, etwa zwischen 17 und 19 Jahren alt, mit weiten Hosen und glatten Gesichtern. Sie lachen laut miteinander. Auf einmal löst sich ein junger Mann aus der Gruppe und läuft zum Abteil der älteren Gruppe.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen“, fragt er. Die Älteren nicken und er setzt sich zu ihnen ins Viererabteil. Ein Freund des jungen Mannes feixt und springt auf einen der Sitze im Nachbarabteil. Das Szenario hat etwas Abgesprochenes. Als würde der junge Mann, der sich zu den Älteren setzt, eine Wette einlösen.

„Woher kommen Sie“, fragt er.

„Von einem Konzert“, sagt der ältere Mann neben ihm.

„Wie war das Konzert“, fragt der junge Mann.

„Schön“, antwortet der Ältere.

„Sind Sie zu Besuch hier“, fragt der junge Mann weiter.

Die Gruppe der Älteren nickt.

„Was machen Sie hier in der Stadt“, fragt der junge Mann.

„Warum fragen Sie“, fragt nun der ältere Mann zurück.

„Ich finde das interessant. Es interessiert mich“, sagt der Jüngere.

Es hat etwas aufgesetztes, wie er fragt. Als würde er eine Metaebene mitdenken, dass es nett ist, wenn er sich für ältere Menschen interessiert. Doch sein Sprechen wirkt eher wie ein Spiel.

Die U-Bahn rattert in den Tunnel. Spannung liegt in der Luft, als könnte hier gleich so etwas wie ein Enkeltrick geschehen. Oder ist der junge Mann einfach nur nett?

Er stellt noch weitere Fragen.

„Was haben Sie für einen Beruf?“

„Ingenieur. Das habe ich früher gemacht.“

„Ingenieur, beeindruckend.“

„Und Sie?“, fragt der ältere Mann zurück.

„Also, wir waren schon auf dem Absprung, Mo wollte gehen. Aber dann haben wir das Ruder nochmal herumgerissen. Und jetzt scheint es schönerweise weiterzugehen mit dem Abend“, sagt der jüngere Mann. Auch jetzt wirkt sein Sprechen wieder wie aus einer Metaebene, als würde er sich selbst betrachten, sie als junge Gruppe beim Feiern.

„Das ist ja schön.“ Der ältere Mann fragt weiter. Und auf einmal, ganz sachte, unmerklich, lockert sich etwas, entsteht aus der Situation ein Gespräch. Der jüngere Mann erzählt, was sie vorhaben, und sein Sprechen hat nun zum ersten Mal etwas Natürliches. Und das hat der jüngere Mann geschafft. Das Fremde, Ungelenke am Anfang zu überwinden, das oft zu Beginn jeder Begegnung steht. Vielleicht funktioniert es nur so. Auf einmal sitzen da einander fremde Menschen mit mehr als 50 Jahren Altersunterschied und sprechen lächelnd über ihr Leben.

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Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.

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