Einfühlung in Blindheit: Wenn man nur Schwarz sieht

Sich nicht auf den Sehsinn verlassen zu können, ist anstrengend. In einer Hamburger Ausstellung lässt sich Blindheit probeweise spüren. Ein Besuch.

Bild einer partielle Mondfinsternis, mit schwachem Lichtbogen am Mond

Wenn eigentlich nichts zu sehen ist – wie hier bei einer partiellen Mondfinsternis 2021 Foto: dpa/ZUMA Press Wire/Matias Basualdo

Erschrocken zucke ich zusammen, doch dann tritt schnell Erleichterung ein: Es ist nur ein Vorhang. Alles andere in diesem Raum besteht aus härterem Material, ich habe nicht damit gerechnet, ein Stück Stoff zu berühren. Ich taste mich weiter mit meinen Händen an der Wand entlang vor, eine andere Option bleibt mir eh nicht: Ich bin vollkommen auf diesen Sinn angewiesen.

Meine Augen, die mich durch meinen Alltag begleiten, sind hier nutzlos. Hier, das ist der vollkommen verdunkelte Raum des Hamburger Ausstellungsortes „Dialog im Dunkeln“. Zusammen mit einer weiteren Besucherin werde ich durch Räume geführt, die jeweils eine Szene der Außenwelt nachstellen: Park, Wohnung, Stadtverkehr.

Im Park ist Vogelgezwitscher zu hören, der Baum ist aus Kunststoff, das fließende Wasser ist echt. In der Wohnung ertaste ich mit Mühe eine Kaffeemaschine und lasse mich irgendwann erschöpft auf ein Sofa fallen. Sich nicht auf den Sehsinn verlassen zu können, ist anstrengend.

Während der gesamten Ausstellungstour werden wir begleitet von unserem Guide. Sie heißt Jasmin Kahraman und ist sehbehindert. Bereits als Kleinkind wurde bei ihr eine Netzhauterkrankung festgestellt, durch die ihre Sehzellen nach und nach abstarben. Aus ihren Augenwinkeln könne sie noch leichte Umrisse erkennen, im Alltag ist sie aber auf den Blindenstock angewiesen.

Der erste Schreck ist überwunden

In der Ausstellung sind unsere Rollen vertauscht – hier benötigt Kahraman keinen Blindenstock, sie kennt die Räume auswendig. Ich hingegen klammere mich an meinem Stock fest. Mit der Zeit werde ich entspannter und wechsle hin und wieder die Hand, mit der ich ihn halte.

Die Panik, die ich zu Beginn empfunden habe, ist für einen Moment weg – und kommt wieder, als ich im stockfinsteren Raum an der Ampel stehe. Um mich herum höre ich Straßenlärm. Mir ist bewusst, dass der Verkehr nicht real existiert. Dennoch schüchtern mich die auditiven Signale rasender Pkws ein. Als die Ampel das Signal für Grün gibt, stresst mich der hetzende Ton. Ich schaffe es noch rechtzeitig auf die andere Straßenseite, mein Herz rast vor Adrenalin.

Später gibt es die Möglichkeit, mit unserem Guide ein Gespräch zu führen. Ich frage Kahraman, inwiefern sie von Corona betroffen ist. Die Pandemie trifft Sehbehinderte etwas härter, erklärt sie mir. Zu Beginn habe sie nicht alleine das Haus verlassen können, da sie es nicht selbst in der Hand hat, ob jemand genügend Sicherheitsabstand hält. Ihre Mutter habe sie auch anfangs mit ausreichend Desinfektionsmitteln versorgt, da sie außer Haus überall auf ihren Tastsinn angewiesen ist – von den Türen des ÖPNV bis zum Knopf an der Ampel.

Als ich den Ausstellungsort wieder verlasse, scheint draußen die Sonne und es ist grell. An der Ampel höre ich das Signal für Rot, als sie aber auf Grün umspringt, bleibt der hektische Ton aus. Ich mache einen Bogen um einen E-Roller, der auf dem Fußweg an der Bordsteinkante liegt, und überquere die Straße. Ich sehe die Autos bereits anfahren und beschleunige meine letzten Schritte.

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In Tokyo und Hamburg aufgewachsen, Auslandsjahr in Shanghai. Studium in Berlin, Chongqing und Halle. Schreibt seit 2021 für die taz. Kolumnistin des feministischen Magazins an.schläge (Foto: Hella Wittenberg)

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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