Einsamkeit, Berlusconi und Trauer: Parteienfamilien und andere Inseln

Unsere Autorin redet mit fremden, einsamen Menschen. Tage danach beklagt sich ein italienischer Freund auch über Einsamkeit – wegen Berlusconi.

Menschenmassen vor dem Mailänder Dom

Das Staatsbegrebnis von Silvio Berlusconi im Mailänder Dom Foto: Stefano Porta/ap

Haben Sie auch nicht gemerkt, oder? Dass gerade die Aktions­woche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ zu Ende ging, meine ich. Sie fand ohne große Öffentlichkeit, von Montag bis Freitag statt, um für das Problem zu sensibilisieren, das laut Bundesfamilienministerium besonders häufig junge Erwachsene und sehr alte Menschen, meist Frauen, betrifft: einen empfundenen Mangel an sozialen Beziehungen zu anderen Menschen.

Von der Website der Aktionswoche geriet ich auf eine Mitmachseite, auf der man einen „Ort der Gemeinsamkeit“ eintragen konnte, um sich einsamen Menschen als Gegenüber zur Verfügung zu stellen. Kurz dachte ich an unseren Küchentisch, der wie geschaffen ist für ausufernde Gespräche und ebenso ausufernde Mahlzeiten – der eben aber auch ein Ort des familiären Chaos ist. Ein Flyer zur Aktionswoche zeigt einen älteren Mann allein beim Essen: „Einsamkeit sitzt mit am Tisch“, so der Slogan.

Ich versuchte mir unseren Küchentisch verwaist vorzustellen, ohne das ganze Gerümpel und das laute Durcheinanderreden drum herum – es gelang mir nicht. Interessant, wie gut Verdrängung funktioniert. Dabei hatte ich mich doch erst letzte Woche mit Kind eins auf Klassenfahrt, Kind zwei und dem Mann ständig auf Achse durchaus mal einsam gefühlt – allerdings nur sehr punktuell, weil es mich eben traurig macht, alleine zu essen.

Echte Einsamkeit aber ist fies, sie macht gleichzeitig mürbe und bedürftig; das merke ich, wenn ich den verwitweten Onkel am Telefon habe oder der alleinstehenden älteren Frau aus der Straße begegne, die nach einem freundlichen „Wie geht’s?“ gar nicht mehr aufhört zu reden.

Klagen über Einsamkeit

Der Mitarbeiter meiner Friseurin hat unlängst gekündigt – er war, so erzählte sie, genervt von den älteren Herrschaften, für die das Waschen, Schneiden, Legen, Föhnen der Höhepunkt ihrer Woche ist. Friseursalons sind auch Orte gegen Einsamkeit, allerdings nur für diejenigen, die es sich leisten können, sie regelmäßig aufzusuchen.

Wer es sich nicht leisten kann, sich temporär auf Inseln der (wenn auch kommerziellen) menschlichen Interaktion zu flüchten, verwelkt in der eigenen Wohnung und lauert auf Kontaktaufnahmen von außen – und sei es nur der Paketbote, der eine Sendung für den Nachbarn dalassen will.

Am Dienstag klagte auch mein ita­lie­ni­scher Freund überraschend über Einsamkeit. Erst war ich etwas besorgt, schließlich entstand unser Kontakt während des ersten Coronalockdowns, als wir, deprimiert und so­zia­ler Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände bedürftig, uns regelmäßig digital zu unterhalten anfingen.

Einsam dürfte der Cavaliere nicht gewesen sein

Job verloren? Freundin weg? – Nein, präzisierte er, es sei politische Einsamkeit, die ihn plage. Nicht nur er, ganz Italien fühle sich wie verwaist, nachdem der ewige „Cavaliere“ das Zeitliche gesegnet hatte: „Mein ganzes Leben lang war Silvio Berlusconi immer da“, barmte er. – Ganz Italien in Trauer und Einsamkeit?

Nun ja. Ich erinnerte ihn dezent an das Buch in seinem Rücken, das er mir bei anderer Gelegenheit einmal gezeigt hatte. „L’odore dei soldi“ (Der Geruch des Geldes), das den zweifelhaften Quellen von Berlusconis immensem Reichtum nachspürt, fand 2001 mehr als 300.000 LeserInnen in Italien. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass es Berlusconi nur dank seiner engen Kontakte zur sizilianischen Mafia gelungen sei, seine Firma Fininvest aufzubauen.

Ja, auch ihn habe das empört, sagte der Freund, aber der Mailänder Geschäftemacher, Medienmogul und Politiker habe es halt immer verstanden, im Spiel zu bleiben, das sei schon eine besondere Lebensleistung. Auch wenn er ein schrecklicher Politiker und ein peinlich gealterter Casanova gewesen sei.

Einsam dürfte Berlusconi auch zuletzt nicht gewesen sein. Seine (natürlich sehr viel jüngere) letzte Lebensgefährtin und seine fünf Kinder waren bei ihm. Und auch seine plötzlich ihrer Überfigur beraubten Parteifreunde von der Forza Italia dürften nicht lange verwaist bleiben: In der Parteienfamilie von Melonis postfaschistischer Regierung dürfte sich für die fünf Abgeordneten bald eine neue Heimat finden.

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Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.

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