Emil Noldes NS-Vergangenheit: Expressionist in Grau

Mischa Kuball setzt in Kassel seine Forschung zur NS-Tätigkeit von Emil Nolde fort. In seinem Konzeptkunstwerk wird der Maler entzaubert.

Installationsansicht aus dem documenta-Archiv in Kassel

Rehabilitiert? Emil Noldes Vergangenheit im Nationalsozialismus wird hier mal anders beleuchtet Foto: Nicolas Wefers

Es sind die kraftvollen Farben von Emil Noldes Gemälden, die einen regelrecht in den Bann ziehen. Für sein Konzeptkunstwerk „nolde/kritik/documenta“ platziert Mischa Kuball sie hinter optischen Filtern und entzieht ihnen die Farbe. Andere Bilder hängt er gleich nur in Schwarzweiß reproduziert auf Wellpappe an die Wände. Nolde ist entzaubert.

Kuball nahm seine künstlerische Forschung zu Nolde angeregt von der Draiflessen Collection in Mettingen auf, wo eine erste Version des Projekts 2021 präsentiert wurde. Auf Einladung des documenta Archivs setzt er sie jetzt im Fridericianum in Kassel fort, dem Ort, an dem das Narrativ vom verfemten und rehabilitierten Emil Nolde (1867–1956), das rund 50 Jahre vorherrschte, mitgestrickt wurde.

Seit der Öffnung von Noldes Archiv 2010 ist bekannt, dass er ein glühender Nazi und Antisemit war, der lediglich an Hitlers Kunstgeschmack scheiterte. Wie umgehen mit diesem Wissen? Mit der Präsentation von Forschungsergebnissen in einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin 2019 erfuhr auch eine breite Öffentlichkeit von der politischen Gesinnung des gefeierten Expressionisten. Sie war allerdings genauso Werkschau und zeigte über 100 Originale, teilweise in Hängungen, die Nolde selbst entwickelt hatte.

Radikaler Ansatz

Kuballs Ansatz ist radikaler, auch weil er die Rolle von Museen und Kunstschauen selbst in den Mittelpunkt seiner Reflexionen rückt. Noldes Werke, die an den ersten drei Ausgaben der documenta in den Jahren 1955, 1959 und 1964 gezeigt wurden, hatten ihn auch postum zu einer Art Staatskünstler der jungen BRD gemacht. Danach hingen seine Werke bei Bundeskanzler Helmut Schmidt im Arbeitszimmer, auch Angela Merkel verschönerte das Kanzleramt mit Nolde-Gemälden.

Mischa Kuball: „nolde/kritik/documenta“, documenta-Archiv Fridericianum, Kassel, bis 19. Februar 2023

Dass diese Renaissance gelang, war nicht nur Ergebnis seiner Selbststilisierung als Opfer des Nationalsozialismus, für die er Unterlagen säuberte und biografische Texte umschrieb. Erst die Vertuschung durch die Institution documenta – federführend durch den Kunsthistoriker Werner Haftmann, selbst ehemaliges SA- und NSDAP-Mitglied – machte sie möglich.

Kuball zeigt ausschließlich Nolde-Werke, die auch damals in Kassel zu sehen waren, darunter die „Ungemalten Bilder“. Nolde schuf die Serie kleinformatiger Aquarelle während seines Berufsverbots, um sie später in Öl auszuführen. Haftmann schrieb 1958, sie seien in einer Zeit bitterster Verfolgung in der NS-Zeit entstanden, als Nolde sogar das Malen polizeilich verboten worden sei. Verkaufen oder ausstellen durfte er zwar offiziell nicht, malen aber durchaus. Und Nolde malte, sogar große Formate. Er verkaufte auch.

Schachteln auspacken

Am Eingang zur Kasseler Ausstellung zeigt eine Videoprojektion Hände in weißen Handschuhen beim Auspacken der „Ungemalten Bilder“ aus Schachteln. Auf Fotografien sind vergrößerte Dokumente, Zeitungsartikel und Seiten aus frühen documenta-Katalogen zu sehen. Weitere Videos zeigen Bilder im Depot, in Scannern, beim Bearbeiten am Computer.

Links und rechts säumen von der Forschungsgruppe Mnemosyne rekonstruierte Bild­tafeln aus Aby Warburgs „Atlas“ die Wände. Inspiriert von Ideen des Kunsthistorikers und Nolde-Zeitgenossen zu einer distanzierten Betrachtung von Kunst, plädiert Kuball für eine Kritik, die sich von linearen Erzählungen löst. Be­su­che­r:in­nen müssen ganz ohne Text auskommen, Informationen finden sie erst im Katalog. All das mag sperrig sein, eröffnet aber auch einen erweiterten Blick auf die Verschränkung von Kunst und ihren Institutionen.

Auf einem Bildschirm sieht man, wie ethnografische Objekte aus der Sammlung Noldes in den Ringtunnel eines CT-Scanners geschoben werden. An der Wand hängen die Ergebnisse: Bilder mit schwarzen Flächen, auf denen nur noch weiße Spuren der Objekte auszumachen sind. Es piepst und rauscht, als stünde man mitten im Geschehen. Auch das zeigt Kuballs Projekt: Die Auseinandersetzung mit dem Künstler ist nicht abgeschlossen. Die Aufarbeitung von Noldes Verhältnis zum Kolonialismus etwa hat gerade erst begonnen.

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