Ende des Lockdowns in Shanghai: Öffnung nach Albtraum

Chinas Metropole Shanghai kehrt in Minischritten in die Normalität zurück. Doch der brutale zweimonatige Lockdown wird noch lange nachwirken.

Fahradfahrer:innen vor der Kulisse Shanghais.

Fahr­rad­fah­re­r:in­nen sind auch schon ein paar unterwegs: Kulisse in Shanghai am 31. Mai Foto: Aly Song/reuters

SEOUL taz | Allmählich kehren die Menschen wieder zurück: Auf den Straßen Shanghais bieten Hobby-Friseure ihre Dienste unter freiem Himmel an, Influencerinnen laufen mit ihren Selfie-Kameras durch die Gassen der französischen Konzession und auf den Trottoirs stoßen junge Expats wieder mit Bierdosen an.

Nach zwei Monaten brutalem Horror-Lockdown kehrt in Chinas größter Metropole wieder so etwas wie Normalität zurück. Für den 1. Juni haben die Behörden schließlich eine Lockerung der rigiden Maßnahmen versprochen, und zumindest schrittweise halten sie ihr Versprechen: Die Busse und U-Bahnen fahren ab Mittwoch wieder, auch einige Supermärkte öffnen ihre Pforten. Doch um diese zu betreten, müssen sich die Bewohner auch weiterhin mehrmals die Woche zum PCR-Test anstellen: Ohne negatives Ergebnis innerhalb von 72 Stunden ist man vom öffentlichen Leben vollkommen ausgeschlossen.

Mit einem Alltag, wie er vor der Pandemie gang und gebe war, hat Shanghais neue Normalität also reichlich wenig zu tun. Im Vergleich zu den vergangenen Wochen mutet sie jedoch geradezu paradiesisch ab: Ab dem 1 April an wurden die meisten der 26 Millionen Bewohner in ihre Wohnungen eingeschlossen und sämtliche Infizierte in Massenunterkünften mit Pritschenbetten verschleppt. Wer auf dem Höhepunkt der Ausgangssperren keine Vorratskammer angehäuft hatte, musste den Gürtel enger schnallen: Über Wochen waren ganze Bezirke von den spärlichen Essensrationen der Regierung abhängig.

Vergessen sind ebenfalls nicht die horrenden Schicksale, die sich ausgerechnet in Chinas wohlhabendster Stadt ereigneten: Diabetes-Patienten, die auf offener Straße krepierten, da sie von den Krankenhäusern wegen fehlender PCR-Tests verwehrt wurden. Hunde, die aus Angst vor einer Übertragung des Virus von Seuchenschutzarbeitern gekeult wurden. Oder die unzähligen Kleinkinder, die sich mit dem Virus infizierten – und unter Zwang von ihren Eltern getrennt in Corona-Stationen verfrachtet wurden.

Historischer Wirtschaftseinbruch

In der kollektiven Psyche hat jene Zeit tiefe Narben hinterlassen. Doch nach außen soll daran nichts mehr erinnern: Die Stadtregierung hat nun Landschaftsgärtner angeheuert, um die Blumenbeete in den Prachtalleen neu anzupflanzen und das Unkraut entlang der Verkehrsstraßen zu beseitigen. Die Nachbarschaftskomitees bauen die Gitterzäune vor den Wohnsiedlungen ab und Restaurantbesitzer putzen ihre Fensterfassaden blank.

Bis Ende Juni soll es schrittweise mit den Öffnungen weitergehen – und laut Plan sämtliche Maßnahmen fallen. Doch ob es wirklich dazu kommt, ist mehr als fraglich: Denn auch wenn die Gesundheitsbehörden in der letzten Woche außerhalb der Quarantäne-Gebiete nur mehr eine Handvoll Infektionen in Shanghai registriert haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich das Virus wieder ausbreiten wird. Covid wird nicht verschwinden, doch die Staatsführung an ihrer dogmatischen „Null Covid“-Strategie weiterhin festhalten.

Dabei hat diese in den letzten Monaten für einen historischen Wirtschaftseinbruch gesorgt, der ähnlich drastisch ausfiel wie während der ersten Welle 2020: Von Industrieproduktion über Binnenkonsum deuten alle Indikatoren auf eine temporäre Rezession hin. Doch während vor zwei Jahren die ökonomische Erholung rasch erfolgte, ist der Aufwärtstrend seit diesem Mai jedoch nur sehr zögerlich. China, der einstige Pandemie-Gewinner, ist unlängst zum Corona-Sorgenkind mutiert.

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