Enissa Amani über die Lage im Iran: „Ich muss von hier aus laut sein“

Ihre Familie stammt aus dem Iran, als Aktivistin berichtet sie über den Aufstand. Enissa Amani fordert mehr Unterstützung für die Protestierenden.

Mädchen mit langem Haar zeigen den Ayatollas den Stinkefinger

Schülerinnen in Teheran skandieren „Tod dem Diktator“ Foto: Salam Pix/Abaca/ddp

taz am wochenende: Frau Amani, vor etwa drei Wochen starb in Iran die junge Kurdin Jina Mahsa Amini, nachdem sie verhaftet und mutmaßlich misshandelt wurde. Seither sind die Menschen im ganzen Land auf der Straße. Sie berichten quasi rund um die Uhr davon, auf Twitter, Instagram oder auf Kundgebungen. Warum?

Enissa Amani: Ich habe so Momente – ich denke wie jeder von uns, der diese Bilder sieht –, da will ich mir ein Ticket kaufen, nach Teheran fliegen und mich in die erste Reihe stellen. Aber dann denke ich an meinen Papa, der in Iran als Sozialist politisch verfolgt wurde. Seit ich als 20-jährige Studentin angefangen habe, mich öffentlich deutlich zur politischen Situation in Iran zu äußern, sagt er mir, dass ich nie wieder in das Land einreisen darf. Und dann bin ich doch nicht mutig genug. Diese Frauen da in Iran, oder die, die solidarisch in Afghanistan auf die Straße gehen, unter dem Talibanregime: Vor denen können wir uns nur verneigen. Das ist Mut. Dann muss ich doch wenigstens von hier aus laut sein.

ist Comedian und Aktivistin. Sie wurde in Teheran geboren. Ihre Eltern wurden als Linke politisch verfolgt, die Familie floh 1987 aus Iran. Amani gewann 2015 den Deutschen Comedy Preis als bester Newcomer, hatte als erste Europäerin ein eigenes Netflix-Special und gewann mit ihrer Diskussionssendung „Die beste Instanz“ 2021 den Grimme Online Award. Auf Instagram, wo sie gerade intensiv über die Proteste in Iran informiert, hat sie mehr als eine Million Follower.

Sie teilen Videos, haben diese Woche bei einer Kundgebung auf dem Römerberg in Frankfurt gesprochen und einen Solidaritätsbrief deutscher Künst­le­r*in­nen an die Protestierenden in Iran mit unterzeichnet. Können solche Aktionen wirklich etwas bewirken gegen ein Regime, das allein in den vergangenen Tagen wieder zahlreiche Tote in Kauf genommen hat?

Das alleine reicht selbstverständlich nicht, auch die Politik muss handeln. Und zwar mehr und deutlicher als bisher. Aber auf diese Art weiß das Regime, dass seine Verbrechen gesehen werden. Das übt Druck aus. Vor allem aber gibt es den Menschen Hoffnung. Und ein Mensch in Not braucht Hoffnung. Damit er weiß: Vielleicht sterbe ich hier, aber mein Sterben wird gesehen. Das Unrecht wird gesehen. Deswegen bitte ich auch den letzten Zyniker, der sagt, es wird sich eh nie etwas ändern: Schenkt den Menschen doch wenigstens diese Hoffnung.

„Auf diese Art weiß das Regime, dass seine Verbrechen gesehen werden. Das übt Druck aus„

Aber haben Sie wirklich Hoffnung, dass sich etwas ändert? Große Proteste gab es in Iran ja schon früher.

Ich werde immer wieder mit dieser Haltung konfrontiert: Das wird immer so bleiben. Sei es bei Rassismus, Sexismus, egal. Das ist doch Quatsch! Ich glaube extrem an die Menschheit, trotz aller Gräueltaten und Horrorszenarien, die wir entwickelt und durchgezogen haben. Aber wir haben auch die Vereinten Nationen geschaffen und den Internationalen Strafgerichtshof. Natürlich funktioniert das alles nicht makellos, im Gegenteil. Aber vor diesem Gerichtshof will ich die Verantwortlichen aus Iran sehen. Die Menschen werden das Regime in Iran stürzen, irgendwann. Ob es jetzt passiert, hängt davon ab, ob wir weggucken und denken: Das wird sowieso blutig niedergeschlagen. Oder ob wir eben hingucken und den Motor am Laufen halten. Dass die internationale Aufmerksamkeit etwas bewirkt, sieht man ja jetzt schon.

Woran?

Zum Beispiel an der Freilassung des Sängers Shervin Hajipour. Er wurde verhaftet, nachdem ein Lied von ihm viral ging, das zur Hymne der Proteste wurde. Am Dienstag dann hieß es, dass er freigekommen ist. Er hat ein Statement gepostet, so im Sinne von: Danke, dass ihr den Song feiert, aber er wurde instrumentalisiert und ich liebe mein Land. Das ist bizarr, in dem Lied heißt es: Wir dürfen auf den Straßen nicht tanzen, nicht küssen, wir wollen Freiheit. Das Lied endet auf den Satz „Für die Freiheit“! Es ist klar, dass er gezwungen wurde. Aber ohne dass Millionen diesen Song gepostet hätten, wäre er hingerichtet worden. Die internationale Aufmerksamkeit hat ihn gerettet. Und dieses Vorgehen – das ist die iranische Regierung par excellence.

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Wie meinen Sie das?

Mein Vater sagt immer, er werde niemals nach Iran reisen, solange das Regime nicht gestürzt wird. Ich habe mal zu ihm gesagt, dass andere politische Köpfe inzwischen ja auch wieder eingereist sind, ohne, dass sie hingerichtet wurden. Und er hat geantwortet: „Aber sie nehmen dich mit zum Verhör und zwingen dich, ein falsches Statement abzugeben. Dass du falsch lagst mit der Kritik, dass du den Staat und die Regierung liebst. Das nimmt allen anderen, die kämpfen, die Kraft und den Mut.“ Mein Vater kann entscheiden, nicht einzureisen. Shervin Hajipour, der in Iran lebt, hatte keine andere Wahl.

Eigentlich sind Sie Künstlerin. Plötzlich aber ist Ihre Hauptbeschäftigung, Menschen mit Informationen zu versorgen. Wie ist dieser Rollenwechsel für Sie?

Eigentlich fühlt es sich sehr natürlich an. Klar, ich weiß zur Zeit oft nicht so recht, wie ich mich Leuten vorstellen soll. Denn trotz allem Aktivismus bin ich ja immer noch Künstlerin, das ist mir wichtig. Ich schreibe Drehbücher, ich stehe seit acht Jahren durchgehend deutschlandweit mit großer Tour auf der Bühne. Aber ich bin eben mit Politik und Menschenrechtlern groß geworden.

Das hat Sie von früh auf geprägt?

Wenn du als kleines Mädchen deinen Vater ganz abgemagert mit 30 anderen Männern beim Hungerstreik siehst, das brennt sich ein. Wenn du als Fünfjährige mit deinen Eltern und ihren Freunden bei einer Kundgebung auf dem Römerberg stehst und eigentlich nichts verstehst, nur, dass es gegen eine ungerechte Regierung geht. Und 30 Jahre später sind wir, die nächste Generation, dran zu sprechen. Und unsere Eltern und alle diese Onkels und Tanten stehen da und hören zu. Sie haben fast alle das Land nie wieder gesehen. Diese Diktatur hat seit vier Jahrzehnten ein ganzes Land mit allen darin lebenden Völkern gekidnappt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ist diese Multiplikatorinnenrolle nicht auch belastend?

Doch, klar. Aber das ist auch nicht neu. Einerseits ehrt es mich total, wenn mir junge Menschen schreiben, dass sie schon lange meine Videos gucken und jetzt entschieden haben, Politikwissenschaft oder Völkerrecht zu studieren. Das ist so unfassbar schön, dass man einen jungen Kopf so prägen durfte. Die werden mal viel gebildeter, als ich es bin. Aber ich habe halt auch manchmal 500 Nachrichten im Postfach, ich solle doch bitte die Situation in Kuba erklären und man wünsche sich meine Perspektive, und ich komme aber grade von sieben Tagen Tour ohne Pause und muss erst mal eine Zeitung aufschlagen und gucken, was auf Kuba überhaupt los ist. Ich bin weder Journalistin noch ein Nachrichtensender. Und ich kann auch nicht zu allem eine Position beziehen. Weil mir die Kenntnisse fehlen, weil ich auch noch einen Beruf habe, oder einfach auch ein Leben. Trotzdem empfinde ich Dankbarkeit, das ist alles auch wunderschön. Man muss es nur mit größerer Ruhe betrachten.

Eine Frau im grünen Kleid und lagen Haaren vor einem Gemälde

Enissa Amani (hier im Städel Museum) will Mut machen Foto: Neven Allgeier

Die sogenannte Sittenpolizei behauptete, Aminis Kopftuch habe nicht richtig gesessen. Jetzt reißen überall im Land Frauen ihr Kopftuch herunter. Welche Rolle spielt bei diesen Protesten, das Jina Mahsa Amini eine Frau war?

Das ist sehr wichtig. Schon 2009 gab es in Iran große Demonstrationen, und auch damals war eine Frau das Gesicht der Bewegung: Neda Aghan-Soltan, die bei Protesten nach der Präsidentschaftswahl erschossen wurde. Und diesmal ist es Jina. Das Kopftuch steht symbolisch für Patriarchat, Unterdrückung, dafür, dass ein Land den Menschen einen Glauben vorschreiben will. Die einfachsten frauenrechtlichen Dinge sind in Iran nicht gegeben; dass eine Frau sich etwa von einem prügelnden Ehemann trennen kann. Aber es ist kein Protest gegen das Kopftuch an sich: Es gehen auch viele Frauen mit Kopftuch auf die Straße. Sie wollen ihres tragen und kämpfen Seite an Seite mit ihren Freundinnen für deren Recht, es abzulegen. Und noch etwas ist ganz wichtig: Jina war nicht nur Frau, sie war auch Kurdin.

Warum ist das so wichtig?

Es gibt so viele Minderheiten im Iran. Falludschen, Kurden, Aramäer, Assyrer, Armenier, Aserbeidschaner … Diese Minderheiten sind so ungesehen und haben mit enorm viel Rassismus innerhalb Irans zu kämpfen. Das Wort „Afghane“ zum Beispiel wird als Schimpfwort benutzt! In der Person von Jina kommen zwei Unterdrückungsformen zusammen, und das ist für die Proteste wichtig. Das zeigt auch der Slogan der Proteste: „Jin, jiyan, azadî“, also „Frau, Leben, Freiheit“ – und zwar auf Kurdisch.

Normalerweise ist es ja leider so, dass für die Rechte Marginalisierter vor allem diese selber kämpfen müssen.

Stimmt, das sehen wir ja auch hier in Deutschland. Doch die Proteste richten sich gegen ein System, das alle betrifft: Unterdrückung, Korruption, Armut, Hunger und Durst. Aber viele haben Angst. Mein Papa hat früher schon immer gesagt: Die Minderheiten haben den meisten Mut. Weil sie an einem Punkt sind, wo sie nicht mehr viel verlieren können. Von ihnen ging der erste Funke aus. Die Minderheiten haben in Iran gerade Großartiges möglich gemacht.

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