Erneuerbare Energien in den USA: Wind, Sonne, Massachusetts

Kalifornien und Massachusetts sind die Zentren von Forschung und Entwicklung für erneuerbarer Energien in den USA. Allerdings gibt es auch Widerstände.

Seit zwei Jahren gibt es aus Washington kein Geld mehr für Erneuerbare Energien: Barack Obama bei einer Solaranlage in Florida. Bild: reuters

MASSACHUSETTS taz | "Naturwissenschaftler meiner Generation, die sich keine Gedanken über die Zukunft des Planeten und über neue Energiequellen machen, verstecken sich unter einem Felsen", sagt Trisha Andrew. Sie selbst hat das Ozonloch für sich mit 15 entdeckt, in ihrer Schule im Bundesstaat Washington im Nordwesten der USA. Sie hatte das Glück, einen aufgeklärten Lehrer zu haben statt einen jener Eiferer, die alles leugnen, was im Widerspruch zur Bibel steht: von der Evolution bis zur Klimakrise.

Mit 26 ist Trisha Andrew Doktorin der Chemie und in einer der renommiertesten naturwissenschaftlichen Universitäten der Welt angekommen. Sie forscht im Energielabor des Massachusetts Institute of Technology (MIT) an der Ostküste und sagt von sich selbst: "Ich liebe die organische Synthese."

Strom aus Fensterscheiben

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Tschernobyl ist die größte Katastrophe der Industriegeschichte und wird es hoffentlich auch bleiben. Doch die Energie der Atomkerne ist etwa eine Million Mal stärker als die des üblichen Feuers und hat deshalb immer wieder unerwartete Schäden angerichtet. Was genau 1986 in Tschernobyl passiert ist und wie viele Menschen vor Ort als Liquidatoren eingesetzt waren, wird nach wie vor in Moskau geheim gehalten. Die Zahl der Liquidatoren liegt zwischen einer halben und einer ganzen Million Menschen.

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Laut der Atomenergieagentur IAEO sind nur 62 Strahlentote nachgewiesen. Nach unabhängigen Berechnungen sind es jedoch mehrere hunderttausend bisher. Dabei sind es nicht nur Krebsfälle, die Tschernobyl-Opfer zu beklagen hatten; die Haupttodesursache sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese werden unter anderem auf das radioaktive Cäsium im Herzmuskel zurückgeführt.

Ihr Spezialgebiet sind Farbmoleküle, die fluoreszierend auf bestimmte Reize reagieren. In ihrem letzten Projekt hat sie mit dieser Technik Landminendetektoren entworfen, die inzwischen in Afghanistan eingesetzt werden. Jetzt arbeitet sie an der Entwicklung von Farben, die auf Glasfenster appliziert werden. Sie konzentrieren das Licht und leiten es zu den Rändern der Fensterscheibe, wo es auf kleine Solarzellen trifft. Der "organic solar concentrator" soll Solarzellen sparen und die aufwendigen Spiegelinstallationen ersetzen. Die Fenster können nicht nur liegend, sondern auch senkrecht eingebaut werden, zum Beispiel in vertikale Hausfassaden. Langfristig ist angestrebt, sie komplett farbneutral und durchsichtig zu machen. Aber vorerst haben Trisha Andrews Fenster noch einen Hauch von Orange, Blau oder Violett.

Das Projekt, an dem die junge Frau mitarbeitet, wird von einem Investor finanziert. Der Industrielle Arunas Chesonis, selbst Absolvent des MIT, hat 10 Millionen Dollar gezahlt. Das Projekt reiht sich ein in hunderte anderer Forschungs- und Entwicklungsvorhaben über erneuerbare Energien, die gegenwärtig in den USA laufen. Sie experimentieren mit optimierter Nutzung von Sonne, Wind, Kompost und Wasser, mit Flüssigbatterien zur Energiespeicherung und mit neuen Leitermaterialien, die Elektrizität effizienter transportieren und in die Netze einspeisen.

Die Investitionen in Solaranlagen, Windräder und Biomasse betrugen in den USA 2010 34 Milliarden Dollar - ein Zuwachs von 51 Prozent binnen eines Jahres. Doch anderswo wächst die Branche noch schneller. Im Vergleich sackten die USA vom zweiten auf den dritten Platz ab - hinter China und Deutschland.

Eine von der Bundesregierung in Washington definierte Energiepolitik wie bei den großen Konkurrenten gibt es in den USA nicht. Vielmehr lassen sich die Investoren bei ihren Entscheidungen von den günstigsten lokalen Bedingungen leiten. Mancherorts ziehen Bundesstaaten mit geringen Investitionsanreizen für erneuerbare Energien dennoch große Investoren an. Starker Wind und niedrige Grundstückspreise machen Windräder in Texas und im Mittleren Westen attraktiv. Die Sonne ist das Hauptargument für Arizona. Und der Bau von Biomasseanlagen ist in Georgia und South Carolina besonders günstig. Umgekehrt hat New Jersey zwar weniger Sonne als der Südwesten, aber der Staat an der Ostküste bietet finanzielle Anreize für die Installation von Sonnenkollektoren, die nun überall auf New Jerseys Dächern zu finden sind.

Anders verhält es sich mit der Forschung und Entwicklung. Sie ist auf zwei Zentren konzentriert - auf das kalifornische Silicon Valley und auf die Region rund um Boston und Cambridge im nordöstlichen Massachusetts. Zwischen Kalifornien mit seinen mehr als 37 Millionen Einwohnern und Massachusetts mit 6,5 Millionen Einwohnern liegen fast 5.000 Kilometer. Der eine Bundesstaat grenzt an den Pazifik und hat nie wirklich Winter. Der andere liegt am Atlantik und ist monatelang schneebedeckt. Aber beide haben traditionsreiche und dynamische Universitäten, eine reformfreudige Bevölkerungen und eine große Zahl von Risikokapitalisten, die bereit sind, Geld in Experimente zu investieren, und zudem Erfahrungen haben mit Start-ups. Und es gibt Politiker, die früher als andere gegen den US-amerikanischen Mainstream geschwommen sind und auf Alternativen zu Öl, Kohle und Atom gesetzt haben.

Windräder in Zeppelinen

Adam Rein ist ein typischer Vertreter der Start-up-Kultur in Massachusetts. Der 29-Jährige hat an der Eliteuniversität Harvard studiert und fünf Jahre lang als Unternehmensberater gearbeitet. Bei einem Aufbaustudium am MIT trifft er auf den angehenden Ingenieur Ben Glass. Der Businessfachmann Rein erkennt sofort das Potenzial der Idee, die sein Kommilitone hat: eines mit Helium gefüllten Zeppelins, der in der Mitte einen offenen Hohlraum hat, in dem eine Windturbine installiert ist. Im gefalteten Zustand passt das mobile Windkraftwerk in einen Container. Es lässt sich weltweit einsetzen, braucht wenig Platz am Boden und nutzt die stärkeren Winde in der Höhe. "So etwas ist ideal für Katastropheneinsätze", sagt Adam Rein, "oder zur Gasförderung in abgelegenen Gebieten."

Die beiden Männer entwickeln einen "Businessplan", wie sie es an der Universität gelernt haben. Bei einem Start-up-Wettbewerb gewinnen sie mietfreien Werkstattraum für ein Jahr, und unter Ehemaligen des MIT finden sie drei "Angel Investors", die "zwischen 10.000 und 300.000 Dollar" investieren. Wenn es klappt, verdienen die Investoren am Ende mit. Falls nicht, verlieren sie ihren Einsatz. Zwölf Beschäftigte beginnen bei "Altaeros Energies". Sie verdienen wenig, erhalten aber Optionen, mit denen sie an einem Gewinn beteiligt sind.

Während Ben Glass immer größere Modelle der Windturbine baut, schreibt Adam Rein Verträge, schaut sich nach Produktionsstätten um und sucht Kunden. Den ersten Vertrag unterzeichnet er mit der US Navy. Die Navy muss bis zum Jahr 2020 die Hälfte ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen. Das ist das ehrgeizigste Ziel einer öffentlichen Institution in den USA - und es macht die Navy zum ersten Kunden vieler Start-ups der Branche. Dicht gefolgt vom übrigen US-Militär, das bis 2020 immerhin 20 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen muss. Daneben verhandelt Adam Rein mit einem Mineralölunternehmen. Den Namen will er nicht preisgeben, solange der Vertrag nicht unterzeichnet ist.

Nach dem klimatisierten Büro in der Innenstadt von Boston ist Adam Reins neuer Arbeitsplatz eine zugige ehemalige Lagerhalle in Cambridge. "Geld ist nicht das erste Ziel im Leben", sagt der junge Mann, "dies hier stiftet mehr Sinn." Eine stärkere Finanzierung mit öffentlichen Geldern ist für ihn kein Thema. "Wir versuchen, billigere Energie zu finanzieren", sagt er, "dafür brauchen wir die Regierung nicht." Die Regierungen in den Bundesstaaten Kalifornien und Massachusetts haben eine Menge getan, um ein Umfeld für erneuerbare Energien zu schaffen. Beide haben Quoten für erneuerbare Energiequellen fixiert. In Massachusetts müssen die Stromversorger bis zum Jahr 2020 mindestens 15 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen. Und beide Staaten ermuntern ihre Gemeinden und öffentlichen Einrichtungen, auf Wind, Sonne und andere erneuerbare Energien umzustellen. In einem Land, das vorerst nur 1 Prozent seiner Elektrizität aus Erneuerbaren bezieht, mögen das Kleinigkeiten sein - doch sie haben Signalwirkung.

In Massachusetts haben 53 Städte das Label "Grüne Gemeinde" bekommen. Sie haben öffentliche Gelder erhalten, um Windräder auf Schulhöfen und hinter Rathäusern zu installieren und Solarzellen auf einem Gefängnisdach in Concord. Kommissar Mark Sylvia in der Abteilung für Energieressourcen bemerkt, dass das Label begehrt ist. Mitte des letzten Jahrzehntes hat Massachusetts die Umwelt- und die Energieabteilung vereinigt. Jetzt laufen dort alle Fäden zusammen. "In der Finanzkrise wollen die Gemeinden sparen", sagt Sylvia, "zugleich ist das Label attraktiv. Es verbessert das Image."

Pioniere aus der Provinz

Auch bei den Produzenten spürt Mark Sylvia in seinem Bundesstaat Interesse an der Energiepolitik. Mindestens zweimal wöchentlich kommen Anfragen von Unternehmen, die erwägen, sich in Massachusetts niederzulassen. Von dem Konjunkturprogramm, das Präsident Barack Obama vor zwei Jahren auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise aufgelegt hat, bekam Massachusetts 70 Millionen für erneuerbare Energien. Seitdem sind rund 11.000 neue Arbeitsplätze in der Branche entstanden. "Wir sind Pioniere", sagt der Politiker, "wir zeigen, wo es langgeht."

Darüber, dass im vergangenen Jahr mit "Evergreen Solar" erstmals ein Unternehmen aus dem Bereich erneuerbarer Energien seine Produktion aus Massachusetts nach China verlagert hat, geht der Politiker schnell hinweg. "Da rücken zahlreiche neue nach", versichert er. Zumal an Cape Cod, vor der Küste des Bundesstaates gerade die größte Windanlage der Welt entsteht. Zehn Jahre hat der Streit darüber gedauert, am Ende haben die Gegner, darunter prominente Villenbesitzer vom Strand, verloren. Bis zum nächsten Jahr sollen neun Kilometer vor der Küste mehr als 150 Windräder entstehen.

Aufbruchstimmung ist auch bei dem "New England Clean Energy Council" zu spüren. Die erst vor vier Jahren gegründete Lobbyorganisation der alternativen Energieerzeuger in Massachusetts und den anderen Neu-England-Staaten haben im vergangenen Sommer ein neues Büro im Finanzzentrum von Boston bezogen. Vorsitzender Peter Rothstein, ein Risikokapitalist, der oft in Start-ups investiert hat, glaubt, dass die Kontroverse über die Windmühlen vor Cape Cod den Weg für weitere Investitionen öffnet. "Es gab bislang keine Regeln für diesen Prozess", sagt er, "die nächsten Projekte werden schneller gehen." Zugleich nennt er es "unglücklich", dass die Märkte außerhalb der USA schneller wachsen.

Von der Bundespolitik ist Peter Rothstein enttäuscht. Seit dem Konjunkturpaket vor zwei Jahren sind keine großen Anschubfinanzierungen mehr für erneuerbare Energien aus Washington gekommen. Und im letzten Jahr kam auch die von Obama angekündigte Energie- und Klimapolitik nicht zustande. Mit der jetzt starken republikanischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus erwartet Rothstein nicht, dass sich in diesem Jahr etwas ändern wird.

Starke Lobby für Fossile

Erneuerbare Energien sind in den USA Sache der Bundesstaaten - der großen wie der kleinen. Das macht die Entwicklung eines Binnenmarktes für die Branche schwierig und unübersichtlich. In jedem Bundesstaat gelten andere Regeln, und überall ist die Lobby für fossile Energien älter und stärker vertreten.

In Hörsaal 4-163 laden in Boston Chevron, Exxon und DC Energy Studenten zu einem Abend mit den "World Top Energy Firms" ein. Bei Pizza und Erfrischungsgetränken warnen fünf Vertreter der Mineralölbranche die Studenten, alles zu glauben, was in den Zeitungen steht. Sie bestreiten, dass es Engpässe bei der Versorgung mit fossilen Energien geben wird. Und sie nennen Barack Obamas Ankündigung, bis zum Jahr 2030 zu 80 Prozent auf erneuerbare Energien umzustellen, einen "Witz". Die Veranstaltung findet fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Explosion der Bohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko statt. Doch niemand im Hörsaal spricht von den Risiken der fossilen Energie. "Wir engagieren gern Leute vom MIT", sagt der Vertreter von DC Energy, "sie sind smart." Am Ende der Vorlesung reihen sich die Studenten in die Schlangen vor den Konzernvertretern ein, um ihre Visitenkarten zu überreichen.

Frank van Mierlo kennt beide Seiten der Energiewirtschaft. Die alte und die neue. Der aus den Niederlanden stammende Ingenieur hat seine Karriere in Kalifornien bei einem Mineralölkonzern begonnen, wo er für Ölbohrungen zuständig war, offshore und an Land. Später gründete er das Start-up-Unternehmen "Bluefin Robotics", das er 2005 mit Gewinn verkaufte. Jetzt leitet er "1366". Zusammen mit seinem Geschäftspartner, dem Erfinder und MIT-Professor Ely Sachs, will er "Sonne zum Preis von Kohle machen". Seit zwei Jahren arbeiten die beiden mit einer von Ely Sachs entwickelten neuen Schmelztechnik zur Herstellung von Solarzellen. Diese Technik soll helfen, den Ausschuss von Siliconplatten um die Hälfte zu verringern. Frank van Mierlo sagt: "Am Ende können wir Sonnenergie zum Preis von 5 Cent pro Kilowattstunde liefern."

Eine Schautafel an der Wand des Konferenzraums zeigt die Kurve der Preisentwicklung von Sonnenenergie in den letzten dreißig Jahren. Sie nähert sich kontinuierlich der Kohlelinie an. Das ist der Maßstab aller Dinge: Energie zum Preis von Kohle liefern.

"1366" hat mit einer Startfinanzierung von 5 Millionen Dollar aus dem Konjunkturpaket von Obama begonnen. Doch schon zu Anfang waren die privaten Investitionen viermal so hoch. "Wir haben 30 Millionen auf dem Konto", sagt Frank van Mierlo. Doch ein Firmenschild hat er im Gewerbegebiet von Lexington, Massachusetts noch nicht aufstellen lassen. Die 3.000 Dollar dafür erscheinen ihm zu teuer. Besuchern führt er den großen, offenen Büroraum vor, zeigt ein paar Maschinenräume, die Küche und einen kleinen Schlafraum mit Stockbetten. Der Einblick in die hinteren Hallen, wo Ely Sachs an der Herstellung der neuen Siliconplatten arbeitet, bleibt verwehrt. Bei ihrer Einstellung verpflichten sich die Beschäftigten, dass sie keine Geheimnisse preisgeben werden.

Forscher und Darwinisten

Frank van Mierlo ist der deutschen Energiepolitik dankbar. "Sie hat einen Markt geschaffen, der jetzt auch in den USA die Investoren davon überzeugt hat, dass sie mit erneuerbarer Energie Geld verdienen können", sagt er. Aber die US-amerikanische Kultur der Forschung und Entwicklung, bei der jeder Wissenschaftler zugleich auch Fundraising machen muss, um Geld für seine Projekte zu bekommen, findet er effizienter und dynamischer als alles, was es in Europa gebe. Er hält die Suche nach Finanzen für einen Kontrollmechanismus, bei dem sich zeigt, ob ein Projekt sinvoll ist. "Dies ist Darwinismus", sagt van Mierlo, "die Schwachen sterben. Die Starken verdienen viel Geld."

Um den Binnenmarkt für alternative Energien in den USA zu entwickeln, setzt auch Frank van Mierlo auf etwas politische Unterstützung aus Washington: "Mit einer Kohlesteuer würden die erneuerbaren Energien in die Höhe gehen."

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