Faeser auf Wahlkampftour in Hessen: Kanzler will „Nancy for President“

Die Bundesinnenministerin möchte Hessens erste Ministerpräsidentin werden. Dabei erhält sie die volle Unterstützung von Olaf Scholz.

Olaf Scholz und Nancy Faeser stehen nebeneinander vor einem roten Hintergrund

Eine Frage für Olaf Scholz: „Die Nancy will weg von Dir, wie sehr wünschst Du ihr Erfolg?“ Foto: Andreas Arnold/dpa

WIESBADEN/MÜHLHEIM/FRANKFURT AM MAIN taz | Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat am Freitag zur Halbzeit der Schulferien in Hessen ihre Wahlkampagne gestartet. Nach 25 Jahren in der Opposition will die SPD in Wiesbaden wieder mitregieren. Faeser ist mit demonstrativer Unterstützung von Bundeskanzler Olaf Scholz unterwegs, ihr Chef gibt ihr Rückendeckung auch für die Ankündigung, nur dann nach Wiesbaden zu wechseln, wenn sie Ministerpräsidentin wird.

Es ist eine Reise mit vielen Stationen: Auf dem Frankfurter Flughafen haben Faeser und Scholz mit Sicherheitspersonal gesprochen und sich die neuesten Geräte zur Gepäckkontrolle vorführen lassen, in Mühlheim am Main eine familiengeführte Bau- und Möbelschreinerei besichtigt. Im Gewerkschaftshaus in Frankfurt gab es eine Diskussion mit SozialdemokratInnen und BetriebsrätInnen. Zum Abschied dieses Heimspiels haben sie „Nancy“ mit stehenden Ovationen bereits als „nächste hessische Ministerpräsidentin“ gefeiert. Es bleiben ihr noch acht Wochen in der von manchen kritisierten Doppelrolle als Wahlkämpferin und Ministerin. In den Umfragen liegt die CDU mit Ministerpräsident Boris Rhein vorn. Die SPD rangiert in Hessen aber immerhin auf Platz zwei, besser als im Bundestrend.

Am Vormittag steht in Wiesbaden ein Termin mit VertreterInnen des hessischen Gastgewerbes und Handels an. Auf der Terrasse des Hotels Oranien, mit Blick ins Grüne, diskutieren die Gäste bei sommerlichen Temperaturen mit UnternehmerInnen, die sicher nicht zur KernwählerInnenschaft der SPD zählen. Der Kanzler erntet freundlichen Beifall, als er die Herausforderungen der Coronapandemie und der Krise, die der russische Angriffskrieg ausgelöst habe, auflistet. „Wir sind durchgekommen, die allermeisten haben es geschafft“, erinnert er an die dreistelligen Milliardenhilfen, die Bundesregierung und Bundestag gestemmt hätten. „Die Schulden sind da“ dämpft er die Erwartungen der GastronomInnen, die eine dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer für Speisen auf 7 Prozent erwarten und verspricht wohlwollende Prüfung: „Mal ist was drin, mal nicht“, sagt er mit seinem verschmitzten Grinsen.

Seine Innenministerin lobt er für das „modernste Einwanderungsgesetz“, das endlich die nötige Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ermöglicht. Der Fachkräftemangel ist Thema Nummer eins bei den Gesprächen mit Gastronomie, Handel und Handwerk. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, davon ist der Kanzler überzeugt, hat die vielgeschmähte Ampelregierung im Allgemeinen und seine Innenministerin im Besonderen geliefert und Punkte gemacht. Nancy Faeser verspricht nachzuarbeiten, um bürokratische Hürden abzubauen. Das sei gar nicht so einfach, ergänzt der Kanzler, da müssten auch die Länder und hunderte Ausländerbehörden ihren Beitrag leisten, spielt er den Ball zurück.

Der Fahrzeugkolonne des Kanzlers folgen ein Dutzend FotografInnen und Kamerateams. Überall ergeben sich schöne Motive. Der Kanzler, sichtlich gut gelaunt und erholt aus dem Urlaub zurück, gibt sich leger, mit offenem Hemdkragen, die Innenministerin an seiner Seite strahlt im hellblauen Blazer.

Während der nichtöffentlichen Gespräche warten die JournalistInnen meist vor der Tür. Das auffällige helle Lachen von Nancy Faeser dringt immer wieder nach draußen. Den Kanzler kennen die GesprächsteilnehmerInnen in der Regel aus dem Fernsehen. Nancy Faeser kann viele von ihnen mit Namen begrüßen, weil sie sie schon bei anderer Gelegenheit getroffen hat. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist die SPD-Kandidatin im Land unterwegs. Nur deshalb kann sie sich für die Landtagswahl am 8. Oktober Chancen ausrechnen, als erste hessische Ministerpräsidentin in die Wiesbadener Staatskanzlei einzuziehen.

Immer noch in Schwalbach zu Hause

Die Bundesinnenministerin ist noch immer im nahen Schwalbach zu Hause. Dort wohnt sie mit ihrem Mann und dem 9-jährigen Sohn. Sie pendelt zwischen Berlin und dem Taunusstädtchen. Ihre Familie besucht sie gelegentlich in Berlin. Dass sie das bedeutende Amt in der Hauptstadt aufgeben würde, um in Hessen Regierungsverantwortung zu übernehmen, hat auch mit ihrer Familie zu tun. In Schwalbach war ihr Vater Bürgermeister, später stieg er zum Chef des Regionalverbands auf, bis zu seinem frühen Tod war er ein Kümmerer. So sieht sich auch die Tochter.

Die hessischen GenossInnen trauen „ Nancy“ einen Wahlsieg zu. Nicht dass die SPD vor der CDU landen, aber dass eine Mehrheit ohne CDU und AfD rechnerisch möglich sein wird. Das sagen sie nicht nur vor der Kamera, wenn es von ihnen erwartet wird, sondern auch ernsthaft in Hintergrundgesprächen. 18 Jahre lang hat Faeser im Wiesbadener Landtag Politik gemacht, unfreiwillig in der Opposition. Sie hat als innenpolitische Sprecherin der SPD wohl jede Polizeistation mindestens einmal besucht. Sie ist bekannt und bei den meisten anerkannt, als Zuhörerin, Nachfragende und gelegentlich auch als Ratgeberin.

Im November 2008 sollte sie Landesjustizministerin im Kabinett der damaligen SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti werden, als SPD und Grüne mit Unterstützung der Linkspartei Roland Koch in Rente schicken wollten. Der Versuch scheiterte an vier SPD-Abgeordneten, die dem eher rechten Flügel der Partei angehörten. Zu dem zählte damals auch Faeser, die aber anders als die anderen zu Ypsilanti stand. Von diesem Desaster hat sich die Hessen-SPD nur schwer erholt. Die Parteiflügel wurden zwar aufgelöst, doch in drei Anläufen blieb Ypsilantis Nachfolger Thorsten Schäfer-Gümbel ohne Chancen. Bei der Wahl vor fünf Jahren landete die Partei mit 19,8% sogar noch hinter den Grünen, auf Platz drei. Die regieren seit zehn Jahren zusammen mit der CDU. „Wenn es eine belastbare und glaubwürdige Mehrheit für ein Reformbündnis gibt, werden die der Grünen ihrer Basis nicht eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der CDU zumuten können“, versichert SPD-Generalsekretär und Wahlkampfmanager Christoph Degen im Begleitbus der Tour von Faeser und Scholz.

In Mühlheim am Main besuchen Scholz und Faeser die Bau- und Möbelschreinerei Kramwinkel. Scholz löst eine Zusage ein, die er dem Firmenchef als Kanzlerkandidat in einer ZDF-Sendung gemacht hat. „Versprochen Gehalten!“ strahlt Faeser, die auch hier viele kennt. Das mittelständische Unternehmen arbeitet gerade einen großen Auftrag für die Innenausstattung eines neuen Bürohochhauses in Frankfurt ab. Die Mitarbeitenden fertigen maßgeschneiderte Raumteiler, die später mit Blumenkästen bestückt werden, und Küchenblöcke. Scholz und Faeser schauen zu, fragen nach. Am Ende bei Streuselkuchen und Kaffee eine Gesprächsrunde. „Es war eine sehr freundliche Atmosphäre“, berichtet Halil Öztas, der örtliche Wahlkreiskandidat der SPD.

„Hambelbambel“ und „Dorschennanner“

Obwohl der Rechtsanwalt nur auf einem hinteren Listenplatz kandidiert, hat er seine Hoffnung auf ein Landtagsmandat nicht aufgegeben. „Nancy kommt gut an“, sagt er. 1999 war der heute 46-jährige Sohn türkischer Eltern in die SPD eingetreten, aus Empörung über die ausländerfeindliche Kampagne des CDU-Hardliners Roland Koch gegen den Doppelpass. Was denkt er heute, wenn Faeser als Bundesinnenministerin, die Ausweisung von Clan-Mitgliedern erleichtern will? Öztas findet das in Ordnung. „Das zielt auf kriminelle Strukturen, unabhängig vom Migrationshintergrund. Genauso konsequent ist Nancy gegen die Reichsbürger vorgegangen“, sagt er der taz

Auf der Terrasse der Lohrbergschänke, mit Blick auf die Frankfurter Skyline, empfängt bei „Bembel und Gebabbel“ Sportmanager und Entertainer Bernd Reisig den Kanzler. Vor zwei Jahren hatte „Olaf“ versprochen, als Kanzler wieder in die Show zu kommen. Damals habe er gedacht, „was raucht der Mann“, sagt Reisig lachend. Niemand hatte ihn damals auf dem Zettel. Reisigs Smoking ziert ein schwarz-rot-goldenes Revers, auf dem Kopf trägt er einen hohen Zylinder. „Nancy“, die mit dem Gastgeber befreundet ist, sitzt am Nachbartisch. Sie darf dem Kanzler bei der Übersetzung aus dem Hessischen helfen, als Publikumsjoker. Wer versteht schon auf Anhieb „Hambelbambel oder „Dorschennanner“?

In dem launigen Format, irgendwo zwischen „Blauer Bock“, Fassenacht und Politik-Talk, das nur im Netz gestreamt wird, kommt es dann doch noch zur ernsten Gretchenfrage: „Die Nancy will weg von Dir, wie sehr wünschst Du ihr Erfolg?“ fragt Reisig. Der Kanzler lobt seine „erstklassige Bundesinnenministerin“ über den grünen Klee, würde sie aber gleichwohl gerne als Ministerpräsidentin nach Hessen ziehen lassen. „Dann musst Du ja eine Neue suchen?“, sorgt sich der Moderator. „Dann habe ich ein Problem“, räumt Scholz mit ernster Miene ein und verspricht – wieder heiter – auch dieses zu lösen, wie die vielen anderen Probleme, über die er an diesem Tag schon geredet hat.

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