Faire Textilproduktion: Das umstrittene Müller-Siegel

Der Entwicklungsminister will ein neues Zertifikat für ökologisch und sozialverträglich hergestellte Kleidung durchsetzen. Aber die Konzerne bremsen.

Wurde sie für ihre Arbeit fair bezahlt? Näherin in Bangladesh. Bild: reuters

BERLIN taz | Das Schildchen am Innenfutter sagt: Die Beschäftigten, die diese Jacke in Bangladesch genäht haben, bekommen ausreichende Löhne, dürfen eine freie Gewerkschaft wählen und arbeiten in sicheren Gebäuden. Unabhängige Organisationen überprüfen das. Utopie? Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will ein Siegel einführen, das Textilien aus ökologischer und sozialverträglicher Produktion kennzeichnet – auch als Orientierung für die Verbraucher. Die Handelskonzerne treten allerdings auf die Bremse.

„Das Siegel stand nicht im Mittelpunkt der Diskussion“, sagte Stefan Wengler, Geschäftsführer der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE). Vor wenigen Tagen nahm er am ersten Workshop des Ministeriums zum Thema teil. „Wir arbeiten konstruktiv an dem Prozess mit“, so Wengler. „Allerdings sind wir sehr skeptisch, ob ein weiteres Siegel sinnvoll ist.“

Müller sieht das Siegel hingegen als einen Beitrag dazu, dass Katastrophen wie die von Rana Plaza seltener vorkommen. Im April 2013 waren bei dem Einsturz des Fabrikgebäudes in Bangladesch über 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter gestorben, die unter anderem Textilien für Deutschland gefertigt hatten. Der Minister will eine „Selbstverpflichtung der Branche“ durchsetzen, damit „die sozialen und ökologischen Mindeststandards von der Produktion bis zum Verkauf“ eingehalten werden. „Wenn das nicht auf freiwilliger Basis funktioniert, werden wir einen gesetzlichen Rahmen vorgeben“, so Müller.

Könnten Konsumenten hierzulande mit Hilfe eines Siegels die soziale und ökologische Qualität der Kleidung besser bewerten, würde dies möglicherweise Fortschritte in der Produktionskette bewirken. Heute findet man aussagekräftige Nachhaltigkeitszertifikate wie Gots (Global Organic Textile Standard), Fairtrade, Fair Wear Foundation und Cotton made in Africa (Otto-Gruppe) nur in wenigen Textilien. Es sind Nischenmärkte.

Bezahlung über dem Mindestlohn

Am Runden Tisch Textil des Ministeriums sind neben großen Handelsfirmen, dem TÜV und der Stiftung Warentest auch Bürgerrechts- und Entwicklungsorganisationen beteiligt. Deren Vorstellungen gehen weit über das hinaus, was in der Industrie heute üblich ist.

Zentrale Kriterien für ein neues Siegel seien „hohe Standards wie beispielsweise existenzsichernde Löhne“, sagte Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero, die zu den Trägern der Kampagne für Saubere Kleidung gehört. Darunter verstehen die Kritiker eine Bezahlung, die über die staatlich festgesetzten Mindestlöhne hinausgeht und den Mitgliedern der Arbeiterfamilien beispielsweise auch Bildung und Altersvorsorge ermöglicht.

Firmenvertreter Wengler hält das für illusorisch. Man könne nicht auf den zahlreichen Stufen der Produktionskette eines T-Shirts – vom Baumwollfeld bis zum Verkauf – höhere Löhne definieren, durchsetzen und kontrollieren. Das sei eine Überforderung der Handelsketten. So steht in den Sternen, ob das Müller-Siegel für gute Textilien jemals Realität wird.

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