Film zum Tod im Hambacher Forst: Wenn Realismus schmerzhaft wird

2018 verstarb der Filmemacher und Aktivist Steffen Meyn im Hambacher Forst. Mit „Vergiss Meyn nicht“ bekommt er nun seinen eigenen Dokumentarfilm.

Ein junger Mann mit hellen Haaren und schwarzumrandeter Brille schaut in eine Kamera mit Fischaugenobjektiv und fotografiert sich so selbst

In „Vergiss Meyn nicht“ wirkt Steffen Meyn ungemein sympathisch, zuweilen sogar schüchtern Foto: W-Film

Die Fischaugenlinse lässt Steffen Meyn ein wenig befremdlich erscheinen. Ohnehin sieht jedes Gesicht nahe einer solchen Weitwinkellinse verfremdet aus. Doch wirkt er mit seiner Brille, dem blauen Schal und den hellen Haaren unscheinbar. Die Kunsthochschule für Medien Köln, an der er Film studierte, spricht nur in den höchsten Tönen von ihrem ehemaligen Studiker. Er sei „unvoreingenommen und offenherzig“ gewesen, künstlerisch begabt und sozial engagiert.

Der Film „Vergiss Meyn nicht“ soll nun ebendiesen Menschen darstellen und sein Engagement für den Hambacher Wald. Anfang 2017 nahm er Kontakt mit den Ak­ti­vis­t:in­nen dort auf. Mit dem Ziel, einen Dokumentarfilm über die Proteste zu drehen, wurde er Teil des Widerstands. Die Re­gis­seu­r:in­nen Kilian Kuhlendahl, Fabiana Fragale und Jens Mühlhoff haben sich nach Meyns Tod dazu entschlossen, seine gedrehten Aufnahmen für ihren Film zu verwenden.

Man muss den Film nicht einmal gesehen haben, um die in ihm liegende Tragik zu erkennen. Das Leben schreibt nicht nur die besten, sondern auch die bittersten Drehbücher. „Vergiss Meyn nicht“ durchläuft den Hambacher Wald, zeigt aber ebenso die Freunde und das Privatleben von Steffen.

Zwei Jahre lang war der Filmstudent Teil des Protests vor Ort und begleitete das Geschehen mit seiner 360°-Kamera. Als Zu­schaue­r:in lernen wir nicht allein die Organisation hinter den Ak­ti­vis­t:in­nen kennen, auch Steffens Wohnung und seine regelrecht kindliche Freude über eine neue Kamera sind dokumentiert.

Kritik sich selbst und der linken Szene gegenüber

Immer wieder werden Interviews und Gesprächsfetzen in Meyns Aufnahmen hineingeschnitten. Es sind Freun­d:in­nen von Steffen und solche, die sich am Protest beteiligt haben. Sie sprechen über ihre Begegnungen mit Steffen, über ihre Fehler während des Protests, ihr eigenes Verhalten, ihre Hoffnungen und Ängste. Das alles wirkt schonungslos ehrlich, im Speziellen die Kritik sich selbst und der linken Szene gegenüber, die maßgeblich den Widerstand organisiert hat.

Durch seine authentischen Aufnahmen bekommt der Film ganz unweigerlich einen kompromisslosen Realismus, an manchen Stellen sogar einen schmerzhaften. Gleichzeitig nimmt er sich für seine Erzählung viel Zeit, lässt Bilder lange stehen und für sich sprechen. Es ist ein schmaler Grat zwischen atmosphärischen und zu langen Einstellungen.

Doch nutzt er seine Plattform nicht, um über politische Entscheidungen zu urteilen. „Vergiss Meyn nicht“ bleibt überraschend wertfrei und fokussiert sich statt politischer Grabenkämpfe auf die Schicksale, die der Wald beheimatet hat. Bei Auseinandersetzungen zwischen Ak­ti­vis­t:in­nen und Po­li­zis­t:in­nen ist Steffen distanziert. Er ist ein stiller Beobachter, der das Geschehen und das Aufeinanderprallen zweier Fronten dokumentiert. Seine Aufnahmen sind weder wertend noch kritisch. Stattdessen stehen sie für sich.

Durch die atmosphärische Verflechtung der vielen Aufnahmen, Menschen und Meinungen wirkt der Film wie eine Art Blätterdach und die vielen Positionen und Emotionen sind untrennbar miteinander verbunden. Das Publikum weiß, dass dieser Film naturgetreu ist – dem Wald und seinen Be­set­ze­r:in­nen gegenüber.

Er hatte ein Gespür für Bilder und die darin liegenden Emotionen, wertend oder kritisch war Meyn dabei nicht

Stirbt am 7. Tag der Räumung

Dabei bedeutet Realismus nicht gleich Trägheit oder starre Bilder. Im Gegenteil, sind Meyns Aufnahmen doch ungewöhnlich und überraschend. Wenn seine Kamera von der Spitze eines Baums plötzlich herunterfällt und sie den Fall aufzeichnet, ist das so nah an der Wirklichkeit wie möglich.

Ein nächtlicher Wald, erhellt durch Scheinwerfer, ein roter Kran, der durch die Baumkronen bricht oder auch nur der morgendliche 360°-Blick in den Horizont, Steffen Meyn hatte ein gutes Gespür für Bilder und die darin liegenden Emotionen. Der junge Filmemacher verunglückt am siebten Tag der Räumung.

Im Herbst 2018 stürzt er in die Tiefe. Er hatte sich nicht gesichert, und der Boden einer Holzbrücke gab nach. Das Publikum wird mit einem melancholischen Gefühl und den erwartbaren moralischen Fragen zurückgelassen.

„Vergiss Meyn nicht“. Regie: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff. Deutschland 2023, 102 Min.

Tatsächlich lernt man Steffen Meyn als den Menschen kennen, den seine Hochschule beschrieben hat. Er ist hilfsbereit, überall beliebt, fragt die Leute, wie es ihnen geht und wie die Zukunft ihres Protests aussieht. Steffen wirkt ungemein sympathisch, zuweilen sogar schüchtern und zurückhaltend. Doch merken wir zu jedem Moment, wie viel Liebe er in seine Bilder und Geschichte gesteckt hat.

„Vergiss Meyn nicht“ ist ein kraftvoller und differenzierter Film, der zuweilen unter erzählerischem Leerlauf leidet. Doch ist auch dieser Teil der Authentizität, die der Film ganz selbstverständlich über knapp 100 Minuten präsentiert. Das Publikum wird Meyn jedenfalls nicht so schnell vergessen.

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