Fotoschau zur innerdeutschen Grenze: Vom Tod der Dörfer

Anne Heinlein und Göran Gnaudschun haben die frühere innerdeutsche Grenze aufgesucht. „Wüstungen“ zeigt die Geschichte der Umsiedelungen.

Ein schwarz-rot-gold bemalter Pfahl vor einem Zaun. Dahinter ein Wachturm

Wie die innerdeutsche Grenze aussah, ist nur noch an wenigen Stellen zu sehen Foto: dpa

Die nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Teilung Deutschlands entstandene innerdeutsche Grenze war aufseiten der DDR ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Menschenrechtscharta. Denn sie war nach innen gerichtet, gegen ihre Bürger, die sie daran hindern wollte, die DDR zu verlassen.

Da die Menschen immer wieder zu fliehen versuchten, bauten die Machthaber die Grenze zu einer nahezu undurchdringlichen Festung aus. Mit der Berliner Mauer, 1971 auf einer DDR-Briefmarke unter dem gänzlich unironischen Motto „10 Jahre Antifaschistischer Schutzwall“ gefeiert, war die innerdeutsche Grenze 1.539 Kilometer lang. Hinter dem eigentlichen mit Selbstschussanlagen ausgerüsteten Grenzzaun erstreckte sich ein fünfhundert Meter breiter Schutzstreifen mit Wachtürmen, Erdbunkern, Scheinwerfern und Hundelaufanlagen.

Daran schloss sich ein Sperrgebiet mit einer Breite von fünf Kilometern an, in das man nur mit Passierschein gelangte. 1989, nach dem Fall der Mauer, wurde der gewaltige Komplex in kürzester Zeit geschleift und damit zur Wüstung.

Von 2008 bis 2016 fuhren Anne Heinlein und Göran Gnau­dschun diesen Grenzverlauf ab. Beide stammen aus Potsdam, beide waren Meisterschüler von Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Immer wieder baute Anne Heinlein während ihrer Exkursionen ihre Plattenkamera auf und fotografierte die Landschaft.

„Wüstungen“ nannten die beiden ihren Bildband, das Resultat ihrer Reise. Doch die ungeheuer differenzierten schwarz-weißen Landschaftsaufnahmen von Anne Heinlein sehen nicht einfach Gras, Buschwerk und Bäume über jüngste deutsche Geschichte wachsen, sie blicken weiter zurück, bis zum Beginn des ganzen Wahnsinns.

Vergilbte und geknickte Familienfotos

Denn wie es der Titel der begleitenden Ausstellung im Haus am Kleistpark in Berlin sagt, blicken sie auf „Wüstungen – geschleifte Orte an der innerdeutschen Grenze“. Heinleins verwunschene schwarz-weiße Großformate, in denen der Wald manchmal auch wie eine unheimliche Wand vor einem steht, werden deshalb von alten, schon vergilbten und geknickten Familienfotos begleitet. Sie zeigen die Bauernhöfe, die Bewohner, die Feste und Familienfeiern in den Dörfern, die nahe an der Grenze lagen, weswegen ihre Bewohner umgesiedelt und ihre Heimatdörfer zu Wüstungen gemacht werden mussten.

„Wüstungen“ ist auch eine Reise in die Archive, die Grundbuch- und Standesämter, die Polizei­archive und natürlich zur Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen

Das Regime wollte freies Schussfeld haben. Wie sehr es im geistigen Fahrwasser der vorangegangene Diktatur schwamm, belegt der Name der ersten Umsiedlungsmaßnahme 1952: „Aktion Ungeziefer“. (Hier sei noch erwähnt, dass die Selbstschussanlage eine Erfindung des SS-Sturmbannführers Erich Lutter ist, um damit die Umzäunungsanlage von Konzentrationslagern zu sichern. )

Zeitzeugen, die oft gewaltsam und binnen weniger Stunden umgesiedelt worden waren, stellten Anna Heinlein und Göran Gnaudschun, die so völlig unerwartet bei ihnen auftauchten, ihre privaten Bilder zur Verfügung. Die Fotos, die schöne blonde Kinder beim Ringelreigen zeigen oder Bauern beim Schlachten eines Schweins, lassen in der Ausstellung ganz beiläufig ein rühriges Dorfleben wiederauferstehen.

Konterkariert werden sie von Privatbriefen der Dorfbewohner, die vom Tod der Dörfer, also von der Zwangsaussiedlung handeln. Als maschinengetippte Abschriften der Staatssicherheit hängen sie an der Wand, handeln also auch von der Bespitzelung durch den Überwachungsapparat, der selbst natürlich ebenfalls fotografierte – wie die Luftaufnahmen von Lenschow vor und nach der Räumung und die Bilder weiterer Grenzpanoramen zeigen.

Refugium Jahrsau

„Wüstungen“ ist nicht einfach eine Reise ins Grüne, zu den Wiesen, den Lichtungen oder dem Weiher im dichten Wald. „Wüstungen“ ist vor allem auch eine Reise in die Archive, die Grundbuch- und Standesämter, die Polizeiarchive und natürlich zur Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Diese Reisen zu dokumentieren war Göran Gnau­dschuns Beitrag zum gemeinsamen aufwendigen Kunstprojekt, das von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert wurde. Gnaudschun fasste seine Recherchen in kurzen, anschaulichen Erzählungen zusammen, die im Buch den einzelnen Dorfschicksalen vorangestellt sind.

Über den Ort Jahrsau, urkundlich erstmals 1375 erwähnt, schreibt er, dass er ihn nicht finde, aber „Jahrsau war schon immer schwer zu finden. […] Abgelegen von anderen Orten und umgeben von Sümpfen, war das Dorf weder im Dreißigjährigen Krieg noch während der Napoleonischen Kriege von den plündernden, brandschatzenden und marodierenden Heeren gefunden worden. Die Bewohner des Nachbardorfes Jeebel meinten am Ende des Zweiten Weltkriegs, wenn die Russen kommen, gäbe es noch die Möglichkeit, sich in Jahrsau zu verstecken.“

Bis 5. März, Haus am Kleistpark, Berlin. Buchvorstellung „Wüstungen“ (Distanz Verlag) am Mittwoch um 19 Uhr, Infos: hausamkleistpark.de

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie hilfreich hier die Natur der Camouflage der Wüstung beisteht. Die Freifläche, als die sich hier wie an den anderen Orten die Wüstung andeutet, ist zugewuchert wie sonst nie. Hier zeigt die Fotografie keine Bühne mehr − vor dem Hintergrund dicht gewachsener, mächtiger Bäume −, um darauf die verschwundenen Häuser, Gärten, Straßen, Katzen, Hühner und Gänse zu imaginieren. Das Drama, dass es für die Vertriebenen kein Zurückkommen gibt, kein glückliches Ende, dass ihr Heimat für immer ausgelöscht ist, wird dafür umso deutlicher.

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