Frauenstudium: "Theoretisch gleichberechtigt"

Seit 100 Jahren dürfen Frauen ganz offiziell an preußischen Hochschulen studieren. Allerdings hatten Dozenten ein Vetorecht, sagt die Politologin Claudia von Gélieu.

Bild: dpa

Claudia von Gélieu bietet regelmäßig mit ihrer Kollegin Beate Neubauer thematische Führungen und Vorträge zur Frauengeschichte in Berlin und Brandenburg an. Dabei erzählen sie beispielsweise über die Rolle der Frauen im Scheunenviertel (am 20.8.08) oder zur Frage "Morden Frauen anders - Hexen, Kindsmörderinnen, Giftmischerinnen" (am 22.8.08). Die nächste Führung zum Thema "100 Jahre Frauenstudium in Berlin. Von der Ausnahme zur Mehrheit" beginnt am 18.. August um 18 Uhr am Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt, und dann wieder am 28. Oktober.

Infos zu allen Angeboten finden Sie unter www.frauentouren.de.

taz: Frau von Gélieu, erzählen Sie doch mal, was vor 100 Jahren an der Berliner Uni los war.

Claudia von Gélieu: Eigentlich gar nichts. Da waren Semesterferien wie heute auch. Allerdings: Das Wintersemester 1908 brachte dann in der Tat Bewegung an die Berliner Universität.

Wieso?

Weil per Erlass des preußischen Kultusministers vom 18. August 1908 Frauen an preußischen Hochschulen zum Studium zugelassen wurden - und damit auch an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, dem Vorläufer der Humboldt-Uni.

Aber es gab doch auch vor 1908 schon Frauen in Berlin, die später sehr berühmt wurden …

Ja, Frauen wie Helene Stöcker oder Alice Salomon, die in der Frauenbewegung wichtige Rollen gespielt haben, machten schon vor 1908 ihren Doktor an der Berliner Universität. Die erste war 1899 Else Neumann, eine Physikerin. Auch die Kernphysikerin Lise Meitner, 1926 erste außerordentliche Professorin in Berlin, kam schon 1907 nach Berlin. Seit 1895 waren Frauen als Gasthörerinnen zugelassen. Aber sie konnten ihren Abschluss immer nur mit Sondergenehmigungen machen und waren immer abhängig vom Wohlwollen der einzelnen männlichen Dozenten.

Was änderte sich denn 1908?

Frauen waren endlich grundsätzlich zum Studium in Preußen zugelassen - und damit zumindest theoretisch gleichberechtigt.

Na, das klingt doch nach einer kleinen Revolution?

Eigentlich ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Preußen gehörte zu den Spätzündern, was die Zulassung des Frauenstudiums angeht. In beinahe allen anderen deutschen Ländern konnten Frauen Jahre vorher schon studieren. Die Widerstände dagegen waren gerade in Berlin sehr groß - und so blieb es auch nach 1908 bei der Einschränkung, dass Dozenten keine Frauen in ihren Veranstaltungen akzeptieren mussten. Es gibt dazu viele spannende Geschichten.

Erzählen Sie mal eine.

Die Frauenrechtlerin Ottilie von Hansemann bot der Friedrich-Wilhelms-Universität eine Spende in Höhe von 200.000 Reichsmark an, wenn die Uni diese Regelung streichen würde. Das war viel Geld. Aber in dem Fall hat ausnahmsweise nicht das Geld bestimmt. Da waren die Herren in ihrem Antifeminismus konsequent.

Also war der Erlass nur Makulatur?

Das kann man auch nicht sagen. Innerhalb kürzester Zeit machten die Frauen immerhin 10 Prozent der Studierenden in Berlin aus.

Was waren denn die Fächer, die Frauen damals wählten?

Das ist ganz interessant: Viele Frauen, die um diese Zeit ihr Studium in Berlin aufnahmen, taten sich durch ihre Leistungen in Fächern wie Physik und Chemie hervor. Das zeigt ja zumindest: dass es nichts mit angeborenen Genen zu tun hat, wenn Frauen sich heute nur wenig für naturwissenschaftliche Fächer interessieren.

Dennoch: Auch heute gibt es in Berlin noch Studiengänge, an denen gerade einmal 6 Prozent der Studierenden weiblich sind …

Das hat natürlich damit zu tun, dass viele Männerkulturen sich beständig gehalten haben. Auch an den Universitäten. Wenn in vielen Studiengängen beharrlich nichts unternommen wird, um auch die Interessen von Frauen aufzugreifen, dann verwundert das nicht. Es hat sich zwar viel verbessert, aber manches ist eben auch nach 100 Jahren noch steinzeitlich geblieben.

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