Friedensnobelpreisträgerin Mohammadi: Eine Frau, eine Bewegung, ein Preis

Die iranische Aktivistin Narges Mohammadi inspiriert mit ihrem Kampf viele Menschen. Das Nobelkomitee erkennt aber nicht nur ihre Leistung an.

Porträt von Narges Mohammadi mit dunklen Locken ohne Kopftuch

Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi Foto: Mohammadi Family Archive Photos/reuters

BERLIN taz | „Frau, Leben, Freiheit“: Mit diesen drei Worten eröffnete das norwegische Nobelkomitee in Oslo am Freitag die Verleihung des Friedensnobelpreises 2023. In diesem Jahr ging die Auszeichnung an die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi, die in Teheran im Gefängnis sitzt.

Die Begründung für die Ehrung war ebenso deutlich wie bewegend: Mohammadis Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen in Iran und ihr unermüdliches Streben nach Freiheit und Menschenrechten hätten die Welt in ihren Bann gezogen.

Die Komiteevorsitzende Berit Reiss-Andersen betonte, dass der Preis nicht nur die herausragenden Bemühungen Mohammadis würdigen solle, sondern auch den Einsatz der vielen Menschen in Iran, die sich für Frieden und Demokratie engagierten. „Dieser Preis ist in erster Linie eine Anerkennung der sehr wichtigen Arbeit einer ganzen Bewegung in Iran mit ihrer unangefochtenen Anführerin Narges Mohammadi“, so Reiss-Andersen.

Die 51-jährige Mohammadi ist seit 2010 immer wieder zu einer politischen Gefangenen der Islamischen Republik geworden. Insgesamt wurde sie 13-mal festgenommen und 5-mal verurteilt. Zusammengerechnet wurde sie zu 31 Jahren Haft und 154 Peitschenhieben verurteilt. Zuletzt wurde sie im November 2021 festgenommen, seitdem sitzt sie im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Während ihrer Haftstrafen verlegten die iranischen Behörden sie immer wieder von Gefängnis zu Gefängnis, um sie und ihre Familie unter Druck zu setzen. Doch aufgeben kam für die Menschenrechtlerin nie infrage.

Protest selbst im Gefängnis

Für die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung in Iran ist Narges Mohammadi essenziell, selbst aus dem Gefängnis heraus verschafft sie sich Gehör. Ihre Stimme verleiht nicht nur anderen politischen Gefangenen eine internationale Plattform, sondern deckt auch Missstände in den Gefängnissen auf. Im vergangenen Dezember schmuggelte Mohammadi einen Bericht aus dem Evin-Gefängnis heraus, der später von der New York Times veröffentlicht wurde. Darin enthüllte sie das Ausmaß des Einsatzes von Vergewaltigung als Waffe, als Foltermethode und als Mittel zur Einschüchterung, insbesondere von jungen Frauen.

Wenn es einer Gefangenen nicht gut geht, verschafft Mohammadi ihr Aufmerksamkeit. So informierte sie die Welt im Juni über den alarmierenden Gesundheitszustand der deutschen Staatsbürgerin Nahid Taghavi, die seit Oktober 2020 ebenfalls im Evin-Gefängnis inhaftiert ist.

Und erst vor wenigen Wochen, im September, protestierte Mohammadi bei den Gefängniswärtern gegen die anhaltende Inhaftierung einer jungen Frau, die mehrere Selbstmordversuche innerhalb kürzester Zeit unternommen hatte. Die Wärter reagierten mit Gewalt und verletzten Mohammadi – doch entmutigen ließ sie sich nicht.

Mohammadis Protest gipfelte darin, dass sie im Gefängnishof auf das Dach eines Fahrzeugs stieg und die Parole „Nieder mit der Islamischen Republik“ rief. In einem von ihren Angehörigen auf Instagram veröffentlichten Bericht erklärte sie: „Die Islamische Republik ist verantwortlich für alles, was mir widerfährt.“

Vor drei Wochen, zum ersten Jahrestag der Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei, organisierte Mohammadi zusammen mit anderen politischen Gefangenen einen Sitzstreik im Innenhof des Evin-Gefängnisses. Während des Protests nahmen die Frauen ihre Kopftücher ab und verbrannten sie im Gefängnishof.

Bereits früh hat Narges Mohammadi damit begonnen, sich für Menschenrechte und Freiheit einzusetzen. Schon während ihres Physikstudiums in den 90er Jahren schrieb sie Artikel, in denen sie sich für Frauenrechte engagierte. Im Jahr 2003 schloss sie sich dem ­Defenders of Human Rights ­Center an, einer Organisation unter der Leitung der Menschenrechtlerin Schirin Ebadi, die genau vor 20 Jahren die erste iranische Frau war, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Später ernannte die Organisation Mohammadi zu ihrer Vizepräsidentin.

Mohammadi wurde immer wieder zu Haftstrafen und Peitschenhieben verurteilt, auch andere Maßnahmen sollen ihr Engagement für Menschenrechte unterbinden. So darf sie seit acht Jahren ihre Zwillingskinder Ali und ­Kiana weder sprechen noch sehen – und aktuell keinen Besuch im Gefängnis empfangen.

Eine Stütze für andere

Auch in den seltenen Zeiten, in denen sie nicht inhaftiert war, war Mohammadi eine Stütze für politische Gefangene. Wenn jemand eine Haftstrafe antreten musste, begleitete sie die Person bis vor die Tore des Gefängnisses und sang für sie, obwohl das Singen für Frauen in der Öffentlichkeit in Iran verboten ist.

In der Haft führte Mohammadi Interviews mit anderen politischen Gefangenen, während eines Hafturlaubs entstand daraus ein Buch. Ein anderes Mal drehte sie einen Dokumentarfilm über die sogenannte Weiße Folter, als sie für kurze Zeit entlassen wurde. Beide Werke enthüllen die brutalen Praktiken der Islamischen Republik in der Isolationshaft.

Im Gefängnishof stieg sie auf das Dach eines Fahrzeugs und rief: „Nieder mit der Islamischen Republik!“

Gemeinsam mit anderen Ak­ti­vist*in­nen und Ju­ris­t*in­nen startete Mohammadi vor einigen Jahren eine Petition zur Abschaffung der Isolationshaft, was erneut zu ihrer Verhaftung führte. Im vergangenen Januar schließlich veröffentlichte sie einen umfangreichen Bericht aus dem Gefängnis, in dem sie darlegte, wie lange die Frauen des Evin-Gefängnisses Weißer Folter ausgesetzt waren und wie gravierend die bleibenden Schäden sind.

Der Friedensnobelpreis ist nicht die erste Auszeichnung für Mohammadi. Erst im Februar wurde sie mit dem schwedischen Olof-Palme-Preis geehrt, wenig später folgte der Preis für Pressefreiheit der Unesco. Nach der Bekanntgabe des Nobelkomitees am Freitag sprach Mohammadis Familie von einem „historischen Moment für den Kampf des Irans für Freiheit“. Die Ehre gebühre allen Iranern, „insbesondere den mutigen Frauen und Mädchen“, welche die Welt „mit ihrem Mut im Kampf für Freiheit und Gleichheit inspiriert haben“, erklärte sie auf Instagram.

Die 19. Friedensnobelpreisträgerin

Auch aus Deutschland kamen Reaktionen: „Mein Respekt gilt der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerin – für ihren Mut und ihren Kampf für die Rechte der iranischen Frauen“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Plattform X, ehemals Twitter. Außenminister Annalena Baerbock schrieb: „Mohammadis furchtlose Stimme lässt sich nicht wegsperren, die Zukunft des Irans sind seine Frauen.“

Mohammadi ist die 19. Frau, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, seit die Auszeichnung 1901 zum ersten Mal vergeben wurde. Im letzten Jahr war der Preis an den inhaftierten belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki sowie die Menschenrechtsorganisationen Memorial aus Russland und Center for ­Civil ­Liberties aus der Ukraine gegangen. Sie waren für ihren Einsatz für die Zivilgesellschaften in ihren Heimatländern, das Recht auf Machtkritik und den Schutz der Grundrechte geehrt worden.

Überreicht werden soll der Friedensnobelpreis wie immer am 10. Dezember, dem Todestag des schwedischen Dynamiterfinders und Preisstifters ­Alfred Nobel. Dass Mohammadi den mit fast einer Million Euro dotierten Preis wird persönlich entgegennehmen können, ist unwahrscheinlich – auch wenn das Nobelkomitee am Freitag forderte, Mohammadi noch vor der Preisvergabe freizulassen.

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