Fünf Jahre Irak-Kriegs-Proteste: "Das ist Heuchelei!"

Fünf Jahre Irak-Krieg bedeutet für einige Amerikaner auch: fünf Jahre Protest. Selbst bei Regen demonstrieren sie in Washington und nehmen in Kauf, verhaftet zu werden.

Carol G. von der Frauen-Friedensgruppe "Codepink".

WASHINGTON taz Tage des Aufstandes gibt es in Washington nicht oft. Anders als die deutsche Hauptstadt, wo täglich irgendwo demonstriert wird, ist es die US-Hauptstadt nicht gewohnt, dass lautstarke Demonstranten den Verkehr lahmlegen und Widerstand feiern. Dass es am fünften Jahrestag des Irakkriegs in warmen Strömen regnet, bekümmert die, die an diesem Tag durch die Stadt ziehen, wenig. Schon am Dienstag hatten in zahlreichen US-Städten Tausende ihren Frust und ihre Wut über die Bush-Administration kundgetan. In Washington ist es dann nur noch ein kleiner, übersichtlicher Haufen, der den ganzen Tag über mit Fantasie und Dekor Aktionen vor symbolhaften Gebäuden startet, bis die zahlenmässig weit überlegene Polizei sie vertreibt. Klar, sei das ein bisschen enttäuschend, sagt Carol G. Aber längst hat sie es aufgegeben, sich über die "unfassbare Apathie meiner Landsleute" zu echauffieren. Gerade hat sie das pinkfarbene Bett zusammen mit anderen von der Frauen-Friedensgruppe "Codepink" von der Kreuzung vor Dick Cheneys Amtssitz wegrollen müssen, um es der Polizei auszuhändigen. Auf dem Bett steht: "Amerika, wach auf!"

Manche legen sich als Straßenblockade auf die verregnete Kreuzung. Sie spekulieren an diesem Tag drauf, verhaftet zu werden. "Sie erhoffen sich davon, ihren Unmut über die Politik zu Protokoll geben zu können," sagt Carol, die ihren Nachnamen nicht nennen will, weil sie gerade eine Arbeitserlaubnis in Kanada beantragt. Carol und ihr Mann haben wenige Tage nach der US-Invasion in den Irak aus Protest ihr Haus verkauft und sind ausgewandert. "Ich hatte so die Nase voll von meinem Land", sagt sie und marschiert hinter den singenden und tanzenden Codepink-Ladies her. Die wandern gerade vom Weißen Haus Richtung K-Straße, wo unter anderen die Lobbyisten der Rüstungsindustrie ihre Büros haben. Erst wollte sie nur sechs Monate im kanadischen Exil ausharren - bis der Krieg zu Ende ist.

Arielle Randers von der Gruppe "Künstler gegen den Krieg". Bild: veit medick

Daraus sind schon fünf Jahre, eine neue Existenz und ein hauptberufliches Antikriegs-Engagement im Nachbarland geworden. Carol arbeitet mittlerweile in Vancouver für die "War resisters support campaign", eine kanadische Organisation, die US-Kriegs-Deserteuren Unterschlupf und Hilfe bietet. Nach Washington ist sie in dieser Woche zum Demonstrieren und Netzwerken gekommen. Aber auch, um ihre beiden erwachsenen Kinder zu besuchen. In dieser Zeit wohnt sie im Codepink-Haus, in dem schon morgens am Frühstückstisch Plakate gebastelt und Diskussionen geführt werden. Die drehen sich meist um Clinton und Obama und wen man bloß wählen soll, in diesem "Land, dass völlig auf dem falschen Weg ist." Clinton jedenfalls nicht. "Obama ist auch nur die andere Seite der Medaille," die Carol den militärisch-industriellen Komplex nennt, in den beide US-Parteien gleichermaßen verstrickt seien. Dass Zbginiew Breszinsky einer von Obamas Außenpolitikberatern sei - ausgerechnet einer der Architekten des Kalten Krieges - "das sagt schon alles über Obama", meint sie enttäuscht. Im November will sie daher Ralph Nader wählen, "was soll man sonst tun? Ich weiß es wirklich nicht mehr."

Gegen Abend sind rund 500 Kriegsgegner vor das Kapitol gezogen. Gerade ist wieder einer festgenommen worden, woraufhin die Menge jubelt, als wäre soeben der letzte Soldat nach Hause zurückgekehrt. Alles, was es braucht, um die Maßlosigkeit der Sicherheitsorgane bloßzustellen, ist eine Prise zivilen Ungehorsams. Dieses sich und der Öffentlichkeit zu beweisen - darauf legen manche an diesem Tag großen Wert.

Begonnen hatte der Jahrestag mit einer Rede von Präsident Bush, der am Vormittag gesagt hatte, dass er den Einmarsch in den Irak nicht bereue und dass seine Strategie der Truppenaufstockung ein Erfolg sei. Überraschen konnte das die entschlossenen Demonstranten vor dem US-Kongress nicht mehr. Zu oft haben sie diesen Sermon schon gehört. So wie Arielle Randers. Das 32jährige Mitglied der Gruppe "Künstler gegen den Krieg", verteilt dutzende weißer Masken, schwarzer Umhänge und Schilder mit Namen getöteter Iraker. Es seien Utensilien für den "Todesmarsch ums Kapitol", wie sie sagt. "Wir zerbomben nicht nur einen anderen Staat", erklärt sie, "sondern spalten mit dem Krieg auch unsere eigene Gesellschaft. Dagegen muss ich mich einfach wehren, auch bei beschissenem Wetter."

Ein Truppenabzug sei das einzige, was ihre Liebe zu den USA noch retten könne. Auch sie will weder Barack Obama noch Hillary Clinton wählen. Im November will Arielle der grünen Kandidatin Cynthia McKinney ihre Stimme geben, denn die sei die einzige echte Kriegsgegnerin in Washington.

Bob Califf, ein 58-jähriger Buchhändler meint, es sei ihm so ziemlich egal, wer nach Bush ins Weiße Haus einzieht. "Schlimmer kann es ja nicht mehr werden. Der Irakkrieg war nichts als ein weiteres Kapitel des US-Imperialismus." Mit den anderen brüllt Bob in Richtung Kapitol "Bringt die Truppen nach Hause!" Seine Stimme klingt inzwischen etwas kratzig, denn er ist schon seit dem frühen Morgen unterwegs.

Jenna Kanterras Stimme ist noch einwandfrei. Übung, lacht sie und erzählt stolz die Geschichte ihrer Festnahme im Jahr 2002, noch vor Beginn des Krieges. "Ich habe gewusst, dass das eine Katastrophe wird", sagt die 29jährige, die extra aus Florida angereist ist. "Wir betteln mit dem Krieg doch geradezu um einen weiteren Terroranschlag." Jenna ist Obama-Fan, macht sich aber mit Blick auf den November mächtig Sorgen. Wer gewinnen wird? Sie tippt auf den Republikaner John McCain. Der sei aber noch gefährlicher als Bush, denn mit seiner Kriegserfahrungen sei er für viele ein Held. "Die werden ihm wie blind folgen", fürchtet Jenna. "Wahrscheinlich in den nächsten Krieg - der hat's doch auf Iran abgesehen."

Hinter ihr brechen die verbliebenen Protestler urplötzlich in Jubelstürme aus. Gerade wird wieder ein Demonstrant in Handschellen abgeführt. Die Hälfte der Gruppe wechselt die Straßenseite und brüllt: "Was ist Heuchelei?" Die Gruppe gegenüber antwortet im Chor: "Das ist Heuchelei!" Und alle gemeinsam zeigen sie auf die Polizisten in der Mitte.

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