Gastgeber Katar scheidet vorzeitig aus: Schlecht kicken, gut klotzen

Das klägliche Scheitern von Katars Nationalteam mag die Machthaber im Emirat schmerzen. Ein wichtigeres Ziel haben sie bereits erreicht.

Katarischer Spieler legt Mitspieler tröstend Hand auf den Kopf

Nicht konkurrenzfähig: Der Frust bei den katarischen Nationalspielern ist groß Foto: Petr Josek/ap

Katar ist raus. Nach zwei Spielen in der Vorrunde. Das ist einem WM-Gastgeber bisher nur einmal passiert: den Südafrikanern 2010 nach drei Partien. Das Team des spanischen Trainers Félix Sánchez, immerhin Asienmeister, kassierte gegen Senegal die zweite Niederlage – nach dem 0:2 gegen Ecuador zum Auftakt der Weltmeisterschaft. Die Katarer haben alles versucht, den Anschluss an die gewachsene Fußballkultur des Westens zu finden. Sie entwarfen ein weltweites Sichtungsprogramm für Fußballtalente, schickten die Besten in Sportakademien in Senegal und Doha. Der belgische Klub AS Eupen wurde zum Testfeld für katarische Fußballer, doch der Wissens- und Kulturtransfer klappte nur bedingt.

Was den Katarern bei der Handball-WM 2015 mit vielen eingebürgerten Spielern gelang, Platz zwei, scheiterte im Fußball, weil die Fifa – aufgeschreckt von den vielen „Naturalisierungs-Coups“ – bereits im Jahr 2007 ein strenges Regelwerk entwarf: „Um einen Missbrauch zu unterbinden, beschloss das Exekutivkomitee, dass nur Spieler, denen auf dauerhafter Basis eine Staatsbürgerschaft gewährt wurde, für den Verband eines bestimmten Landes spielberechtigt sind.“ Fünf Jahre sollten sie ab dem 18. Lebensjahr in dem Land gewohnt haben, für das sie spielen wollen.

Coach Sánchez glaubt dennoch, einen nachhaltigen Prozess angestoßen zu haben. Nein, der katarische Fußball stehe nicht vorm Ende eines Zyklus, sagte der Spanier nach dem 1:3 gegen Senegal. Es gebe im Land etliche junge Spieler. Er erwarte allerdings einen Umbruch. Generell müsse ein kleines Land wie Katar mit Beschränkungen leben. „Wir haben hier eine andere Situation als ein Land mit einer größeren Bevölkerung.“

Dass Katar fußballerisch früh scheiterte, mag Emir Tamim Al-Thani schmerzen, doch seine übergeordnete Mission war bisher erfolgreich: Katar hat sich spätestens mit diesem Turnier aus der Isolation in der Golfregion befreit. „Katar hat sich positioniert als eine WM der Region“, sagt Abdullah Al-Arian, Professor an der Georgetown-Universität in Doha. Der Historiker hat das Buch „Football in the Middle East“ herausgegeben. Fußball sei ein Soft-Power-Instrument, aber der Sport werde genutzt für Hard-Power-Interessen: bestimmte Player wieder zusammenzuführen.

Annäherung durch die WM

Von 2017 bis 2021 dauerte die Blockade von Katar durch Saudi-Arabien, Bahrain, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Vor allem die Saudis wollten Katar in die Knie zwingen, doch die Katarer retteten sich durch eine Kooperation mit der Türkei und Lieferungen unter anderem aus China über die Zeit. Während der Blockade versuchte Fifa-Präsident Gianni Infantino alles, um Katar die verfeindeten Nachbarstaaten als Co-­Gastgeber aufzuzwingen; mit dem Mittel der um vier Jahre vorgezogenen Erweiterung der WM auf 48 Teilnehmer sollte das funktionieren.

Die WM bringt die Gegner nun aber näher zusammen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der im Mordfall des saudischen Dissidenten Jamal Kashoggi zuletzt Immunität von den USA zugesichert bekam (so viel zu den westlichen Werten), hatte sich beim zweiten Katar-Spiel eine Flagge des Gastgeberlandes umgeworfen. Emir Al-Thani trug eine saudische Fahne beim Überraschungssieg der „Grünen Falken“ gegen Argentinien.

Am Rande des Eröffnungsspiels kamen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der ägyptische Präsident Abdel Fatah al-Sisi zusammen, und sie hätten sich „enthusiastisch“ die Hände geschüttelt“, will die in Saudi-Arabien ansässige Zeitung Arab News beobachtet haben. „Das Turnier hat auch dazu gedient, die Einheit und Solidarität der Golfstaaten deutlich zu festigen.“

Professor Al-Arian ist sich klar darüber, dass der Fußball nur ein Vehikel für die autoritären Führer der Region ist, besser dazustehen und geostrategische Ziele durchzusetzen. So wartet er mit einer interessanten Einschätzung des Wechsels von Neymar zu Paris St. Germain im Jahr 2017 auf. Die damals schier unglaubliche Summe von 222 Millionen Euro sei nicht vordergründig ein Zeichen galoppierender Kommerzialisierung gewesen, sondern von den Katarern gezahlt worden, „um die Isolation zu beenden. Du hast die größte Sportikone fortan in deinen Reihen, die Katarer sehen ihn in Mobilfunk-Spots von Ooredoo, auf Flügen von Qatar Airways, das hat den Leuten Mut gemacht.“

Es ist eine Strategie des Whatever-it-takes, ein Klotzen auf höchstem Niveau, dessen Denkmale in Doha überall zu sehen sind: Stadien, Metro, Infrastruktur, Digitalisierung – alles wurde mit einem 200-Milliarden-Dollar-Entwicklungsplan angeschoben, in nur zwölf Jahren von 2010 an, der Kür Katars zum WM-Ausrichter bis zur Eröffnungsfeier vor einigen Tagen. Dass die Nationalmannschaft jetzt nur noch eine WM-Partie spielen wird? Sei’s drum. Das viel größere Ziel hat Katar mit seinem megalomanen Planungseifer und einer ausufernden Bauwut erreicht: Respekt und Ansehen in der Region.

Was Deutschland oder Dänemark über Katar denken, wird für den Emir zur Marginalie. Und dass die Hüter eines der größten Erdgasschätze der Welt unlängst einen LNG-Deal mit China abgeschlossen haben über 27 Jahre und sie in Zukunft mit bis zu 100 LNG-Tankern ihr Flüssiggas über den Ozean schicken wollen, wird dem Selbstbewusstsein der Katarer auch nicht geschadet haben. Das eine ist der Fußball – und das andere die wirkliche Welt.

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