Gebühren für Rettungswageneinsatz: Gewaltopfer will nicht draufzahlen

Ein Ex-FDP-Politiker aus Hannover geht lieber in Beugehaft, als für einen Rettungswageneinsatz zu zahlen. Er wurde im Wahlkampf niedergeschlagen.

Der 74-jährige Uwe Bretthauer steht in der Fußgängerzone und blickt direkt in die Kamera.

Uwe Bretthauer (FDP) wurde von einem rabiaten Radfahrer niedergeschlagen Foto: Moritz Frankenberg/dpa

HANNOVER taz | Auf den ersten Blick klingt das empörend: Da wird jemand niedergeschlagen und soll anschließend noch die Rechnung für den Krankenwagen zahlen. So sieht der ehemalige FDP-Kommunalpolitiker Uwe Bretthauer das, was ihm geschehen ist, und sorgt damit für Schlagzeilen.

Bretthauer, damals noch Bezirksratsherr für die hannoverschen Stadtteile Ahlem, Badenstedt und Davenstedt, war bei einer FDP-Wahlveranstaltung mit Christian Lindner mitten in der Innenstadt, als sich ein Lastenradfahrer durchdrängeln wollte. Als Bretthauer ihn darauf hinwies, dass er in der Fußgängerzone eh nicht fahren dürfe, schlug der Mann zu. Bretthauer ging zu Boden, andere hielten den Schläger fest. Das war schon im September 2021, doch das Nachspiel zieht sich bis heute.

Der prügelnde Radfahrer ist in der Zwischenzeit verurteilt worden – allerdings nicht für die Tat an Bretthauer, sondern für einen anderen Fall, in dem er eine ebenso kurze Zündschnur gehabt haben soll, berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). Die Vorwürfe im Fall Bretthauer ließ die Staatsanwaltschaft wohl deshalb fallen, weil die andere Tat schwerwiegender war und sich am Gesamtstrafmaß nicht viel geändert hätte.

Bretthauer flatterte dagegen eine Rechnung ins Haus. 317 Euro sollte die Fahrt mit dem Rettungswagen der städtischen Feuerwehr ins Krankenhaus kosten. Dorthin hatte man ihn geschickt, um abzuklären, ob er eine Gehirnerschütterung davon getragen hatte.

Stadt sieht keinen Ermessensspielraum

Bretthauer weigerte sich zu zahlen – deshalb ist die Summe mittlerweile auf 475 Euro gestiegen, inklusive Mahngebühren und Säumniszuschlag. Der 74-Jährige schrieb stattdessen Briefe an die Stadtspitze, insbesondere an Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne).

Der habe sich doch immer gegen die zunehmende Gewalt gegen Politiker und andere Ehrenamtliche ausgesprochen, argumentiert Bretthauer. Dann solle die Stadt doch jetzt auch bitteschön auf diese Rechnung verzichten. Die sieht sich dazu allerdings außerstande, weil die entsprechende Kostensatzung keinen solchen Ermessensspielraum vorsieht.

Bei jedem anderen hätte ohnehin die Krankenkasse diese Kosten übernommen. Bretthauer, selbst Zahnarzt im Ruhestand, ist allerdings privat versichert und hat einen relativ hohen Eigenanteil von 1.200 Euro vereinbart, weil er „eigentlich nie krank ist“, wie er der HAZ sagt. Es ginge ihm ja gar nicht ums Geld, sondern ums Prinzip, erklärt er außerdem.

Er könnte natürlich versuchen, sich das Geld durch eine Zivilklage beim Täter wiederzuholen – das dauert aber, kostet auch erst einmal Geld und Nerven und kann nur erfolgreich sein, wenn auf der anderen Seite überhaupt etwas zu holen ist. Er sähe das nicht ein, sagte Bretthauer der Deutschen Presse-Agentur, dass er hier als Opfer auch noch aktiv werden müsse.

Sich das Geld wiederzuholen ist kompliziert

Das beklagt auch der Opferverband Weißer Ring, der sich zu dem sehr speziellen Einzelfall aber lieber nicht äußern möchte. Generell lasse sich aber festhalten, dass der Staat es den Betroffenen sehr schwer mache, Hilfen zu beantragen, sagt die Göttinger Rechtsanwältin Helen Wienands als Sprecherin für den Weißen Ring Niedersachsen der HAZ.

Neben einem Antrag im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes gebe es aber noch verschiedene andere Möglichkeiten: So könne man prüfen, ob die Haftpflichtversicherung aufkommt oder die FDP einspringt, für die Bretthauer ja immerhin im Einsatz war.

Eigentlich seien ehrenamtlich Tätige auch gesetzlich unfallversichert, ergänzt Niedersachsens Landesbeauftragter für Opferschutz, Thomas Pfleiderer. Auch er räumt ein, dass viele Entschädigungsverfahren nervtötend, bürokratisch und kompliziert seien. Seine Geschäftsstelle vermittele aber gern an die entsprechenden Hilfestellen im ganzen Land.

Das Spektrum der Hilfsmöglichkeiten sei mittlerweile sehr groß und reiche von psychosozialen Angeboten über rechtliche Beratung bis hin zu praktischer und finanzieller Unterstützung. Allerdings seien diese Angebote oft nicht genug bekannt.

Stadt will auf Beugehaft nun verzichten

Und es reiche eben auch nicht, den Betroffenen bei der Anzeigeerstattung ein Faltblatt in die Hand zu drücken – in einer Situation, in der viele aufgeregt und verängstigt seien, dringe diese Information nicht immer durch.

Der betroffene Bretthauer hat jedenfalls auf stur geschaltet: Mittlerweile droht ihm Beugehaft, aber auch die wolle er lieber in Kauf nehmen, als diese Rechnung zu bezahlen, sagt er. Die zuständige Obergerichtsvollzieherin hat ihn für kommenden Montag vorgeladen.

Am Freitagnachmittag gab dann eine Sprecher der Stadt bekannt, dass die Stadt eine andere Vollstreckungsmöglichkeit gefunden hat. Auf welchem Weg sie zu ihrem Geld kommen will, teilte der Sprecher nicht mit. In vergleichbaren Fällen habe es eine Aufrechnung mit anderen Forderungen oder Guthaben gegeben. Möglich sei aber auch die Pfändung von Wertsachen oder eine Kontopfändung.

„Es besteht seitens der Verwaltung jedoch kein Interesse, Herrn Bretthauer in Haft nehmen zu lassen“, teilte der Stadtsprecher der Deutschen Presse-Agentur mit.

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