Gedenkkultur: „Das ist befremdlich“

Künstler Ben Wagin verlegt „Denksteine“ in der Stadt, um an das Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ zu erinnern. Mitte-Kulturstadträtin Sabine Weißler hält davon wenig.

Gedenken bedeutet nicht, dass Kranzabwurfstellen daraus werden Bild: dpa

taz: Frau Weißler, gibt es auch in Mitte „Denksteine“

Sabine Weißler: Ja, einer liegt im Tiergarten.

Mit Ihrem Einverständnis?

Nein. Mit mir war das nicht abgesprochen. Ich habe davon durch eine Pressemitteilung erfahren.

Der Bezirk wurde in die Entscheidung nicht einbezogen?

Normalerweise haben wir eine Arbeitsgruppe, die sich inhaltlich mit solchen Projekten beschäftigt. Diese Verlegung ging vollkommen an den fachlichen Gremien des Bezirks vorbei.

Das Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“, das unter anderem mit einer Open-Air-Ausstellung auf Litfaßsäulen an die NS-Zeit erinnert, geht zu Ende. Derzeit verlegen der Künstler Ben Wagin und die am Themenjahr beteiligte Kulturprojekte Berlin GmbH „Denksteine“, die an die Veranstaltungsreihe erinnern sollen: Platten von rund einem Quadratmeter Größe. Acht Stück wurden bereits ins Pflaster eingelassen. Sabine Weißler (55) leitete lange das Kulturamt Steglitz, seit 2011 ist die Grünen-Politikerin in Mitte Stadträtin für Kultur und Umwelt.

Könnte es damit zu tun haben, dass die Platten umstritten sind? Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Verlegung explizit abgelehnt.

Das Problem ist: Diese Denksteine im Gewand typischer Gedenkzeichen beziehen sich gar nicht auf ein historisches Datum, sondern auf eine aktuelle Veranstaltungsreihe. Bis auf Logo und Titel des Themenjahres, die Jahreszahlen 1933, 1938, 1945 und mitunter den Namen des Sponsors gibt es darauf keine Informationen. Dass sich eine Veranstaltungsreihe Gedenkplatten legt, sich quasi ihr eigenes Denkmal schafft, ist befremdlich.

Aber Zahlen wie 1933, 1938 und 1945 sind doch nicht neutral.

Machen wir uns keine Illusionen. Vielleicht löst die Zahl 1933 noch etwas in den Betrachtern aus, bei 1938 wird es schon schwieriger. Nein, die Tafeln erklären nichts. Sie kopieren eine bekannte Form und transportieren eine Marke. In fünf Jahren weiß kein Mensch mehr, warum die hier liegen.

Laut den Initiatoren erklärt der „Denkstein“ nichts, ist aber ein Mittler, um nachzudenken. Kann man das nicht als Ergänzung zu den Formen unserer ausgeprägten Berliner Gedenkkultur gelten lassen?

Es gibt aktuell wirklich intelligentere Systeme. Wir erarbeiten etwa gerade Informationen zur Topographie des Afrikanischen Viertels: die reichen von der klassischen Form der Wissensvermittlung bis hin zu elektronischen Medien, etwa mit Smartphone-Rundgängen. Zu den Basics in der Erinnerungskultur zur NS-Geschichte zählt, dass am authentischen Ort an eine Person oder ein Ereignis erinnert und das in den historischen Kontext gestellt wird.

Sollte man die Platten noch mit Informationen ergänzen?

Wozu? Der Denkstein im Tiergarten liegt am ungefähren Ort der früheren Krolloper. Aber dort existiert bereits eine Tafel, die über das Ausweichquartier für die Reichstagssitzungen der Nazis nach dem Reichstagsbrand informiert.

Für Ben Wagin stellt der Denkstein am Savignyplatz einen Zusammenhang mit seiner „Weltenbaum“-Wandinstallation auf dem S-Bahnhof zur Erinnerung an die jüdischen Bürger des Quartiers her.

Die Installation wirkt doch als solche für das Gedächtnis: Sie hat Ort und Aussage, einen historischen Bezug, es gibt den Künstler. Braucht es diese Fußnote?

Welches Konzept verfolgen Sie für die vielen „Denkzeichen“, die es in Mitte bereits gibt?

Es gibt hier etwa 280 bis 300 Gedenktafeln, dazu kommen zahlreiche Platten, Stelen, Markierungen – die Stolpersteine nicht eingerechnet. Wir gehen von rund 1.800 Objekten zu unserer langen Geschichte im Bezirk aus. Das ist eine große Gedenklandschaft. Unser Ziel ist, diese Orte gut sichtbar zu halten und über ein Mehr an Informationen wie Angebote im Netz oder Apps in einen räumlichen oder stadtgeschichtlichen Gesamtzusammenhang zu bringen. Das sollen ja keine Orte sein, wo Kränze niedergelegt werden, sondern Orte für Bürgerinnen und Bürger, die an Geschichte und Themen der Erinnerung interessiert sind. Ein Beispiel: Wer den Wedding durchstreift, sollte die Möglichkeit haben, etwas über den „Roten Wedding“ zu erfahren. Dafür braucht man nicht einmal viel Platz. Es regt aber an dem Ort an, den thematischen Zusammenhang zu suchen.

Das klingt, als wollten Sie den Erinnerungsboom der letzten Jahre wieder einfangen.

Ich will die Frage nach der Qualität wieder in den Mittelpunkt stellen. Wenn die „Denksteine“ einen Sinn haben, dann den, dass wir eine Diskussion führen, die Antworten auf diese Frage findet und deren Ergebnisse zu Grundlagen für die Gestaltung unserer Gedenklandschaft werden können. 1.000 Gedenkplatten mehr sind nicht gleichzusetzen mit tausendfacher Erkenntnis.

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