Gefährliche Flussvertiefung: Elbe auf der Kippe

Ein Forscher befürchtet, dass die Elbe durch eine weitere Vertiefung aus dem Lot geraten könnte. Die Dynamik werde in den Plänen berücksichtigt, behaupten Behörden.

In der Elbe könnte den Fischen bald die Luft zum Atmen fehlen. Bild: DPA

HAMBURG taz | Eine erneute Elbvertiefung könnte einen Teufelskreis in Gang setzten. Das legt ein Gutachten nahe, das der Delfter Wissenschaftler Johan Winterwerp für niederländische und belgische Behörden erarbeitet hat. Demnach könnte die Fahrrinnenanpassung einen sich selbst verstärkenden Effekt auslösen, der die Elbe immer stärker trübt. Die Umweltverbände Nabu, WWF und BUND befürchten, dass der Strom infolgedessen „kippen“ könnte: Während des Sommers fänden die Fische keine Luft zum Atmen mehr.

„Wohin die Entwicklung eines Flusses führen kann, der zu stark vertieft wird, ist an der Ems in erschreckendem Maße sichtbar geworden“, sagt Beatrice Claus vom WWF. Die Ems sei über viele Monate im Jahr regelrecht tot. Die Studie beschreibe „nichts weiter als bereits bekannte Wirkungszusammenhänge“, behaupten dagegen die Hamburger Wirtschaftsbehörde und die Wasser und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV).

Zurzeit ruht die Arbeit am Fahrrinnenausbau. Im Herbst hatten die Umweltverbände beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einen vorläufigen Baustopp erwirkt. Die Verbände waren nach dem Urteil kritisiert worden, sie gefährdeten den Wirtschaftsstandort Hamburg. Ihnen müssten öffentliche Gelder gestrichen werden.

Um die Zufahrt zum Hamburger Hafen für die immer größeren Schiffe frei zu halten, muss ständig an der Elbe gearbeitet werden:

Vertiefungen: erstmals 1818 bis 1825 auf 5,4 Meter unter Normalnull (NN), 1999 auf 16,8 Meter, geplant sind 19 Meter.

Laufend anfallendes Baggergut im Hamburger Gebiet: bis 1999 maximal zwei Millionen Kubikmeter, der bisherige Spitzenwert lag 2005 bei acht Millionen.

Kosten der Unterhaltungsbaggerei in der Unterelbe: seit 2006 durchschnittlich knapp 100 Millionen Euro pro Jahr.

Winterwerp sollte klären, ob eine weitere Vertiefung und Verengung der Schelde zu ähnlichen Verhältnissen führen könnte wie in der Loire oder der Ems, die an der Masse ihrer Schwebstoffe ersticken. Dazu verglich er die Wirkung vergangener Baggereien in Elbe, Loire, Ems und Schelde.

Der Forscher stellt fest, dass die Vertiefungen und Eindeichungen dazu führten, dass bei Flut das Wasser kräftiger in die Elbe gedrückt wird, als es bei Ebbe herausströmt. Die Folge ist, dass mit der Flut mehr Sediment stromaufwärts gelangt, als mit der Ebbe herausgeschwemmt wird. Dieser Effekt hat dazu beigetragen, dass sich die Baggergutmengen seit der Elbvertiefung 1999 / 2000 vervielfacht haben. Die Hamburger Wasserbauer haben selbst auf dieses „Tidal Pumping“ hingewiesen.

Nach den Erkenntnissen Winterwerps wird dieser Effekt umso stärker, je mehr Schwebstoffe in der Elbe schwimmen. Diese sänken auf den Flussgrund, wo sie eine Gleitschicht bildeten, die die Flut noch leichter und damit kräftiger elbaufwärts strömen lasse – und mit ihr weiteres Sediment. „Die Analyse lässt den Schluss zu, dass ein kritischer Punkt existiert, bei dessen Überschreiten der Fluss mehr oder weniger in einen Zustand extremer Trübung wechselt“, schreibt Winterwerp.

Bei den Planungen zur Elbvertiefung habe gerade die Sedimentdynamik eine wichtige Rolle gespielt, wehren sich WSA und Wirtschaftsbehörde. „Das den Fahrrinnenausbau begleitende intelligente Strombaukonzept gewährleistet, dass der Sedimenttransport sich nicht negativ, sondern sogar positiv verändert“, beteuern sie.

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