Gehirn-Computer-Schnittstellen: Der dritte Daumen

Alle Hände voll zu tun? Brain-Computer-Interfaces ermöglichen es, zusätzliche Körperteile zu schaffen. Dabei stellen sich auch ethische Fragen.

Eine Person hält das Modell eines Gehirns mit einem Chip in der Schädeldecke

Implantate, die einem Patienten mit beschädigtem Rückenmark das Laufen wieder ermöglicht haben Foto: Jean Christophe Bott/epa

BERLIN taz | Als sich kürzlich die Nachricht verbreitete, dass ein gelähmter Patient durch eine implantierte Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle wieder einige Schritte gehen kann, war die Begeisterung groß. Dass Menschen mit Querschnittslähmung wieder laufen können – ist das nicht einer der alten Träume der Medizin? Und bei diesem Patienten klappte es nicht mit Hilfe eines Exoskeletts, einer Art außen am Körper anliegendem Gehroboter, der die Bewegung übernimmt. Stattdessen konnte dieser Patient mit Hilfe der Schnittstelle tatsächlich die Bewegungssignale aus dem Gehirn an seine Beine weitergeben. Das Forschungsteam aus Lausanne geht davon aus, dass die Technologie auch anderen Menschen in der gleichen Situation helfen kann. Zumal der Patient die Schnittstelle auch selbstständig zu Hause nutzte.

Rainer Abel, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Querschnittsgelähmte am Klinikum Bayreuth, ist dennoch vorsichtig. Zwar handele es sich um einen „großen Fortschritt“ bei der Technologie. Aber es komme auf die Details an. Der Patient habe keine wesentlichen Begleiterkrankungen, sei diszipliniert und auch risikobereit. „Wir haben beispielsweise schon bei vielen Brain-Computer-Interfaces gesehen, dass sich Narben um die Elektroden bilden, die die Funktionsweise beeinträchtigen können“, sagt Abel. Und nicht jede und jeder sei bereit, sich unter anderem Teile der Schädeldecke mit Implantaten ersetzen zu lassen und eine lange Zeit mit entsprechenden Trainings zuzubringen, ohne dass ein Therapieerfolg garantiert werden könne.

Manche For­sche­r:in­nen denken derweil bereits über Implantate oder Prothesen als Ersatz für nicht mehr vorhandene Körperteile oder -funktionen hinaus: Warum sollten Prothesen nicht auch Körperteile sein können, die Menschen bislang nicht haben? So arbeitet beispielsweise eine Forscherin im Plasticity Lab der University of Cambridge an einem Projekt, bei dem Pro­ban­d:in­nen einen dritten Daumen bekommen. Testpersonen haben schnell gelernt, damit umzugehen – und konnten nach kurzer Zeit etwa ein Glas oder ein Ei halten, Bausteine greifen oder Brillenbügel zuklappen. Eine Operation ist dafür nicht nötig, der Daumen wird mit einer Art Manschette am Handgelenk befestigt und über Drucksensoren an den Füßen gesteuert. Die Forschung könnte Menschen mit anspruchsvollen händischen Tätigkeiten wie Fabrikarbeitern oder Chirurginnen eines Tages helfen, präziser zu arbeiten und die anderen Finger zu entlasten.

Prothesen werfen ethische Fragen auf

Doch je mehr Implantate und Prothesen in der Medizin und medizinischen Forschung verwendet werden, desto mehr Fragen stellen sich auch. Zum Beispiel: Wem gehört das Implantat, das jemand im Körper trägt? So musste beispielsweise eine Patientin mit Epilepsie ein Implantat, das sie vor bevorstehenden Anfällen warnte und ihr so ermöglichte, rechtzeitig mit Medikamenten gegenzusteuern, wieder abgeben.

Der Hersteller war pleitegegangen. „Ich hätte alles getan, um es zu behalten“, wird die Patientin in einem im Mai veröffentlichten Forschungspapier zitiert. Die Autoren beschreiben die Verbindung zwischen Schnittstelle und Patientin darin als „symbiotisch“. Die Entfernung des Implantats könne eine Verletzung des Rechts auf geistige Unversehrtheit sein – und damit ein möglicher Verstoß gegen die Menschenrechte.

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